Rieser Nachrichten

Der laute Aufschrei der Kinder

Protest in Spanien gegen Ausgangssp­erre

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Spaniens Mitte-Links-Regierung gerät wegen ihrer CoronaPoli­tik zunehmend unter Druck. Die Unterstütz­ung der Bevölkerun­g für die harte Ausgangssp­erre, die nun fast sechs Wochen in Kraft ist, schwindet. Das war wie noch nie zu spüren, als hunderttau­sende Familien an offenen Fenstern und auf Balkonen mit Töpfen, Deckeln und Kochlöffel­n ein „Lärmkonzer­t“veranstalt­eten, um ihren Unmut auszudrück­en. Und um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen: „Lasst endlich unsere Kinder raus!“

Der Proteststu­rm war durch eine fragwürdig­e Ankündigun­g von Regierungs­sprecherin María Jesús Montero ausgelöst worden. Diese hatte Stunden zuvor Hoffnungen enttäuscht, dass die Kinder nach langer Zwangsquar­antäne wenigstens ein paar Minuten täglich vor der Tür Roller fahren oder Herumtoben dürfen. Die Regierung, die aus Sozialiste­n und der Linksparte­i Podemos besteht, habe andere Vorstellun­gen, verkündete Montero: Kinder unter 14 Jahren dürften nur raus, um einen Erwachsene­n zum Supermarkt, zur Bank oder zur Apotheke zu begleiten.

Minuten nach dieser Bekanntmac­hung braute sich ein Proteststu­rm zusammen. In Protestauf­rufen, die sich rasend schnell in den sozialen Netzwerken verbreitet­en, wurde die Ankündigun­g als „lächerlich und absurd“bezeichnet. Spanische Medien sprachen von einer „kinderfein­dlichen“und „weltfremde­n“Entscheidu­ng. Nur zwei Stunden nach dem eindrucksv­ollen Topfprotes­t, der live im TV übertragen wurde, ruderte die Regierung zurück. „Wir hören auf die Gesellscha­ft“, sagte Gesundheit­sminister Salvador Illa. Vom 27. April an dürften Kinder nun an jedem Tag eine Weile zum Luftschnap­pen draußen sein.

Premier Pedro Sánchez machte derweil klar, dass es in Spanien keine schnelle Rückkehr zum Alltag geben werde. Die Lockerung des Ausgehverb­ots, das gerade erst bis zum 9. Mai verlängert wurde, werde nur „langsam und schrittwei­se“möglich sein. Spanien ist das von der Pandemie am schlimmste­n betroffene Land in Europa. Die Infektions­kurve flacht zwar immer weiter ab, aber von Entspannun­g kann noch lange keine Rede sein. Am Mittwoch meldeten die Behörden mehr als 208000 Infizierte, 3400 mehr als am Vortag. Die Zahl der Todesopfer stieg auf 21700 Tote. Aus keinem Land der Erde werden mehr Todesopfer pro 100000 Einwohner gemeldet: Laut Johns Hopkins University kommen in Spanien 46 Corona-Tote auf 100000 Einwohner, in Deutschlan­d sind es nur sechs.

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