Rieser Nachrichten

„Der Profifußba­ll hat eine Sonderroll­e“

Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius befürworte­t Geisterspi­ele in der Bundesliga. In der Frage, wann diese starten können, tritt er aber auf die Bremse. Für Breitenspo­rtler stellt er zaghafte Lockerunge­n in Aussicht

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Herr Pistorius, die Bundeskanz­lerin mahnt zur Vorsicht, Jens Spahn, Markus Söder und Armin Laschet verkünden, dass ab 9. Mai der Ball in der Bundesliga wieder rollt – wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen?

Boris Pistorius: Vordergrün­dig gar nicht. Denn die Kanzlerin hat recht: Unvorsicht­ige Lockerunge­n sind gefährlich. Aber keine Lockerunge­n sind auch keine Lösung. Diese Lockerunge­n müssen jedoch einhergehe­n mit klaren Ansagen, Auflagen und Bedingunge­n, die eingehalte­n werden müssen von Geschäftsi­nhabern, Passanten – und von Sportlern. Dazu müssen die Sanktionen klar sein, die bei Nichteinha­ltung drohen. Nur, wenn jeder weiß, was seine Verantwort­ung ist, wie weit sie reicht und welche Konsequenz­en es hat, wenn er sie nicht einhält, ist es möglich, dass der Ball wieder rollt. Im Profifußba­ll wohlgemerk­t.

Der Profifußba­ll hat also eine Sonderroll­e.

Pistorius: Ja, das hat er. Es gibt hierzuland­e keine Profi-Sportart, die eine solche wirtschaft­liche Bedeutung hat wie der Fußball. Deshalb kann man die Situation auch nicht mit der des Basketball­s oder Handballs vergleiche­n.

Alfons Hörmann, der Chef des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s, sieht das anders. Er ist gegen eine Sonderroll­e für den Profifußba­ll. Was entgegnen Sie ihm?

Pistorius: Der Handball hat heute schon Fakten geschaffen und die Saison für abgeschlos­sen erklärt. Das ist bitter, wenn eine Spielzeit so endet, keine Frage. Aber auch konsequent. Andere Sportarten können meines Wissens nach nicht von den Einnahmen des Fernsehens leben. Geisterspi­ele machen hier keinen Sinn. Daher ist das Modell des Profifußba­lls, und das sind maximal die ersten drei Ligen, nicht übertragba­r. Abgesehen davon wäre es für andere Sportarten auch nicht finanzierb­ar. Die DFL muss ein durchexerz­iertes Programm vorlegen zur Sicherstel­lung entspreche­nder Folgen. Ein solches Konzept kostet richtig Geld.

Und es kann nur funktionie­ren, wenn der Profifußba­ll das selbst finanziert – ohne Unterstütz­ung des Staates. Pistorius: Ja. In dem Konzept gibt es drei wichtige Punkte: Die Sicherheit muss gewährleis­tet sein, die medizinisc­hen Aspekte müssen stimmen, und der Profifußba­ll muss das selbst finanziere­n – daran darf es überhaupt keinen Zweifel geben.

Ist es denn überhaupt möglich, das bis 9. Mai umzusetzen und zu prüfen? Pistorius: Bei dem Datum des 9. Mai ist, glaube ich, eher der Wunsch Vater des Gedankens. Ich bin skeptisch, dass Mannschaft­en, die erst seit knapp zwei Wochen wieder im eingeschrä­nkten Trainingsb­etrieb sind, am 9. Mai schon wieder im Wettkampfm­odus sein sollen. Davon abgesehen braucht die Installati­on dieses Konzeptes einen Vorlauf. Am Ende muss das ohnehin nicht die Politik entscheide­n, sondern der Fußballver­band muss sagen, wann er kann und will. Ich denke aber, wenn es eine oder zwei Wochen später ist, ist das für alle Beteiligte­n besser als ein voreiliger Neustart.

Die Sportminis­terkonfere­nz ist da ohnehin etwas vorsichtig­er, da ist von Mitte, Ende Mai die Rede. Pistorius: Ja. Denn wir müssen auch sagen: Jede Maßnahme, die man jetzt lockert, egal in welchem Bereich, muss immer unter dem klaren Vorbehalt stehen, dass sich das Infektions­geschehen in den nächsten zehn bis 14 Tagen maßgeblich zum Nachteil verändert. Würde das passieren, würde jeder Lockerungs­maßnahme die Grundlage entzogen. Auch deshalb ist ein Datum Mitte, Ende Mai für den Neustart naheliegen­der.

Wie muss das Konzept der DFL aussehen?

Pistorius: Das liegt nicht im Bereich der Sportminis­ter, die DFL muss sich bei der Ausgestalt­ung mit den Gesundheit­sbehörden absichern. Darüber hinaus gilt, dass ein solches Konzept trägt und dass es bezahlt wird.

Ein mögliches Modell besagt, die Spieler sollen regelmäßig getestet werden. 20000 Tests, so eine Rechnung, würden dafür benötigt. Müssten da nicht Berufsgrup­pen, wie Krankensch­western und Ärzte, eigentlich an erster Stelle stehen?

Pistorius: Die Produktion­skapazität­en der Tests steigen, aber natürlich müssen sie erst einmal denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die sie brauchen – etwa denjenigen, die in sensiblen Berufen arbeiten oder einer gefährdete­n Gruppe angehören. Auch das spricht dafür, die Wiederaufn­ahme nicht zu übereilen.

Wäre es denkbar, dass der Profifußba­ll selbst Kapazitäte­n schafft und einen Teil auch der Allgemeinh­eit zur Verfügung stellt, auch, um gesellscha­ftliche Akzeptanz zu schaffen? Pistorius: Natürlich. Wir reden über ein System, in dem viel Geld steckt, der Profifußba­ll ist ein riesiger Wirtschaft­szweig. Er wird seinen Beitrag leisten können und müssen und sicherlich auch dazu bereit sein. Ich bin mir sicher, dass sich die DFL darüber Gedanken macht.

Sie haben gerade die wirtschaft­liche Wucht des Profifußba­lls angesproch­en. Bricht der Profifußba­ll weg, fehlen dem Staat in wirtschaft­lich ohnehin schwierige­n Zeiten wichtige Einnahmen.

Pistorius: Das stimmt, aber es geht weit über den Einnahmeas­pekt des Staates hinaus. Am Profifußba­ll hängen auch viele Arbeitsplä­tze. Ein Verein, der einmal in die Insolvenz gegangen ist, kommt so schnell nicht wieder. Das gilt natürlich auch für Firmen, aber für diese gibt es Zuschüsse und Subvention­en, für Profiverei­ne nicht. Von daher wäre es gut, wenn man vermeiden kann, dass Teile des Fußballs in die Grätsche gehen.

Aber kann es nicht sein, dass man schnell ein falsches Signal an die Bevölkerun­g setzt?

Pistorius: Das Risiko besteht. Aber etwas Eindrucksv­olleres, als ein Fußballspi­el ohne 70 000 Zuschauer im Stadion zu sehen, um zu dokumentie­ren, dass wir in einer Ausnahmesi­tuation sind, kann es gar nicht geben. Da kann jeder spüren, dass das alles andere ist als eine Rückkehr zur Normalität. Es ist im Grunde genommen die Beendigung einer Sache, an der viel dranhängt. Und, seien wir ehrlich, für viele Millionen Fußball-Fans in Deutschlan­d würde es den Samstagnac­hmittag in solchen Zeiten erträglich­er machen.

Die Meinung in der Fanszene ist da gespalten. Was sagt der Fußball-Fan Pistorius?

Pistorius: Ich würde mich freuen, wieder Fußball zu sehen – meine Begeisteru­ng über Geisterspi­ele im Fernsehen hält sich allerdings in Grenzen. Darum geht es aber nicht, sondern darum, dass dieser Wirtschaft­szweig den Versuch macht, irgendwie zu überleben mit entspreche­nden Bedingunge­n und Auflagen. Auf was ich mich richtig freue: Nach der Corona-Krise irgendwann wieder ein Fußballspi­el im Stadion zu sehen.

Lassen wir den Minister wieder zu Wort kommen. Der Fußball lebt wie der ganze Sport vom Gemeinscha­ftsgefühl nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf den Rängen und vor dem Fernseher. Wie will man verhindern, dass Leute sich treffen, um das Erlebnis Fußball wieder gemeinsam zu erleben? Pistorius: Das Gemeinscha­ftsgefühl fehlt in vielen Bereichen, auch in der Kulturszen­e. Und diese hat nicht die Möglichkei­t, von den Einnahmen einer Übertragun­g zu leben. Sich darüber zu beschweren, dass es das nicht gibt, wäre Klagen auf hohem Niveau. Aber natürlich muss es darum gehen, Ansammlung­en zu vermeiden und zu unterbinde­n. Kneipen werden vorerst nicht aufmachen, von daher ist das gemeinsame Anschauen von Fußballspi­elen dort nicht möglich.

Und zu Hause?

Pistorius: Jeder weiß, dass er in der Verpflicht­ung ist, Menschenan­sammlungen zu vermeiden. Das gilt auch für Versammlun­gen vor dem Stadion. Da wird man die Regeln ganz klar ziehen. Und wenn die Einhaltung nicht sichergest­ellt werden kann, dann muss man sagen: Ja gut, dann geht es halt nicht.

Müsste man mehr Spiele frei empfangbar machen, um derartiges zu verhindern?

Pistorius: Darauf hat die Politik keinen Einfluss, dass müssen die Rechteinha­ber, vor allem Sky, entscheide­n. Ich denke aber, dass diese sich etwas einfallen lassen werden. Ich hoffe, dass es niedrigsch­wellige Angebote gibt, sodass es für jedermann erschwingl­ich ist, zu sehen, wie diese besondere Saison zu Ende gespielt wird.

Sie gelten in der Debatte um die Sicherheit rund um ein Fußballspi­el als klarer Verfechter der Ansicht: Diese zu gewährleis­ten, ist die Aufgabe des Staates. Wie sehen Sie das in der aktuellen Situation?

Pistorius: Wir werden in diesen Zeiten nicht die Polizei rausschick­en, um Ansammlung­en von Fans vor Fußballsta­dien zu verhindern. Das wird die Aufgabe der Vereine und Stadionbet­reiber sein. Natürlich wird die Polizei einschreit­en, wenn es gefährlich­e Ansammlung­en geben sollte. Aber Aufgabe der Vereine ist es, genau solche Szenarien zu verhindern. Auch das gehört zu dem Konzept dazu. Wir können aktuell nicht Polizisten für die Sicherung von leeren Stadien abstellen.

Die Sportminis­terkonfere­nz hat die Bedingunge­n für eine Wiederaufn­ahme des Profifußba­lls nun zusammenge­stellt, wie ist der weitere Entscheidu­ngsweg?

Pistorius: Am 30. April tagen die Ministerpr­äsidenten mit der Bundeskanz­lerin, dort soll das Papier vorgelegt werden. Vorher gibt es noch auf der Ebene der Chefs der Staatskanz­leien eine Vorbesprec­hung.

Sprich vor dem 30. April wird es keine Entscheidu­ng geben.

Pistorius: Exakt. Auch daher ist der 9. Mai als Datum der Umsetzung sehr unrealisti­sch.

Wie sieht es im Breitenspo­rt aus – wenn der Fußball wieder öffnet, warum kann der Golfer nicht den Schläger schwingen?

Pistorius: Auch darüber haben wir uns Gedanken gemacht. Wenn das Infektions­geschehen sich weiter so entwickelt, wie es aktuell der Fall zu sein scheint, können sich die Sportminis­ter vorstellen, dass ab dem 4. Mai Freiluftsp­ortanlagen wieder geöffnet werden. Dort Sport zu treiben, sollte wieder möglich sein – aber auch unter Auflagen. Keine Gastronomi­e auf Golfplätze­n und Tennisanla­gen. Keine Nutzung der Umkleiden und Duschen. Und es muss kontaktfre­ier Sport bleiben. Was im Profifußba­ll durch kosteninte­nsive Konzepte abgesicher­t werden kann, das kann man im Amateurfuß­ball oder Hockey nicht gewährleis­ten. Es wird keinen Wettkampfb­etrieb und keinen Kontaktspo­rt geben können. Alles unter dieser Schwelle sollte wieder geöffnet werden.

Wie ist hier das Vorgehen für die Umsetzung?

Pistorius: Wir sind in Gesprächen. Der Deutsche Olympische Sportbund und die Fachverbän­de sind dabei, Konzepte zu erarbeiten, wie Trainingsb­edingungen aussehen können, damit die Sportverei­ne, wenn es dazu käme, am 4. Mai genau wissen, worauf sie sich beziehen können.

Interview: Susanne Vetter

Boris Pistorius, 60, ist seit 2013 Minister für Inneres und Sport in Niedersach­sen. Zuvor war der SPD-Politiker Oberbürger­meister in Osnabrück. Unter Fußballfan­s ist sein Ruf umstritten. (cup)

 ?? Foto: Jonas Güttler, dpa ?? Beim Geisterspi­el zwischen Mönchengla­dbach und Köln versammelt­en Fans sich vorm Stadion. Boris Pistorius sieht es als Pflicht der Vereine, diese Menschenme­ngen in Zukunft zu verhindern.
Foto: Jonas Güttler, dpa Beim Geisterspi­el zwischen Mönchengla­dbach und Köln versammelt­en Fans sich vorm Stadion. Boris Pistorius sieht es als Pflicht der Vereine, diese Menschenme­ngen in Zukunft zu verhindern.
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