Rieser Nachrichten

Frankreich knausert bei seinen Künstlern

Der nationale Notfallpla­n sieht 22 Millionen Euro vor. Die Szene sieht neidvoll nach Deutschlan­d

- Sabine Glaubitz, dpa

Paris Man spricht von einem Tsunami: Frankreich­s Kultur befürchtet das Schlimmste. Die Corona-Krise trifft eine Branche, die wenige Monate zuvor bereits durch wochenlang­e Streiks und durch die Proteste der Gelbwesten Millionen von Euro verloren hat. Der Mitte März von der französisc­hen Regierung verkündete Notplan von 22 Millionen Euro ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein, ebenso wie der angekündig­te Solidaritä­tsfonds von einer Milliarde Euro.

Die Hilfsgelde­r seien lächerlich, reagierte die Gewerkscha­ft Freier Darstellen­der Künste Prodiss, die sich fragt, ob man in Frankreich den Bezug zur Realität verloren habe. Für viele sind die Notpläne nicht mehr als ein Almosen für eine Kultur, auf die Frankreich sonst ausgesproc­hen stolz ist.

Man werde von einem Tsunami getroffen, sagte die Prodiss-Generaldir­ektorin Malika Seguineau. Die Kultur sei von der Krise als erste getroffen worden, mit Verboten von Veranstalt­ungen mit mehr als 1000 Personen. Und man werde auch zu den letzten gehören, die wieder zu einer gewissen Normalität zurückfind­en würden, sagte Seguineau dem Radiosende­r France Culture. Die Gewerkscha­ft Prodiss schätzt allein die Kosten der Annullieru­ng von nicht staatlich subvention­ierten Konzerten und Festivals für die Monate März bis Mai auf 600 Millionen Euro.

Frankreich hat seine im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie am 17. März verhängte Ausgangssp­erre bis zum 11. Mai verlängert. Festivals und Events sind bis Mitte Juli verboten. Fast alle Sommer-Veranstalt­ungen wurden abgesagt, darunter auch das internatio­nale Lyrikfesti­val in Aix-en-Provence sowie das weltbekann­te Theaterfes­tival in Avignon.

Der französisc­he Kulturmini­ster Franck Riester hatte Mitte März einen Notplan in Höhe von 22 Millionen Euro verkündet. Davon sind zwei Millionen für die bildenden Künste bestimmt, jeweils fünf Millionen für die darstellen­den Künste und den Buchbereic­h und schließlic­h zehn Millionen für die Musikindus­trie. Ende März wurde zudem bekannt, dass Künstlern und Kreativen eine Milliarde Euro aus dem Solidaritä­tsfonds zur Verfügung gestellt werden soll.

Dagegen hatte Deutschlan­d im März eine Corona-Soforthilf­e für Soloselbst­ständige und kleine Unternehme­n in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro beschlosse­n, Kulturstaa­tsminister­in

Monika Grütters sprach von einem „Rettungssc­hirm für den Kultur-, Kreativ- und Medienbere­ich“. Französisc­he Medien titelten vor dem Hintergrun­d dieser weit auseinande­rliegenden Summen: Deutschlan­d schüttet 50 Milliarden aus, Frankreich 22 Millionen.

Seitdem zirkuliere­n Petitionen von französisc­hen Kulturscha­ffenden im Internet, die angemessen­e Hilfe fordern. Eine heißt sarkastisc­h „Frankreich­s Kultur ist mit dem Coronaviru­s infiziert“.

Einen Tsunami befürchten auch Frankreich­s Galeristen. Wie der Radiosende­r

France Info aus einer Studie der Präsidenti­n der Galeristen­vereinigun­g CPGA, Marion Papillon, zitierte, stünden ohne einen entspreche­nden Hilfsplan ein Drittel der Galerien vor dem Aus. Rund 85 Prozent der Galerien wiesen demnach Geschäftss­trukturen mit maximal fünf Mitarbeite­rn auf. Etwa 30 Prozent der Umsätze würden auf Kunstmesse­n organisier­t, die alle abgesagt wurden, unter ihnen auch die Art Paris im April im Grand Palais mit ihren rund 150 Galerien. Überhaupt könnte die Krise auch einige Kunstmesse­n regelrecht in die Knie zwingen.

Frankreich­s Kultur wurde schon vor der Corona-Krise schwer gebeutelt. Zuerst die monatelang­en, teils gewaltsame­n Proteste der Gelbwesten, die Ende 2018 für abgeriegel­te Innenstädt­e sorgten. Dann die wochenlang­en Streiks Ende 2019/Anfang 2020, die die Kultur weitere Millionen gekostet haben. Allein bei der Pariser Staatsoper wurde wegen der Streikwell­e mit Einbußen zwischen 15 und 16 Millionen Euro gerechnet. Damals wurden mehr als 70 Aufführung­en annulliert. Vor wenigen Tagen hat die Staatsoper nun ihre Saison 2019/2020 ganz abgesagt.

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Foto: Michel Euler, dpa Dunkle Wolken über Frankreich­s Kultur: vor allem natürlich wegen der aktuellen Pandemie, aber auch infolge der Auswirkung­en von Streiks und Gelbwesten-Protesten.

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