Düstere Aussichten
Der CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann fordert einen illusionslosen Blick auf die verheerenden Folgen der Coronavirus-Krise für Arbeitsplätze und Unternehmen
Berlin Die Bund-Länder-Beziehungen stehen vor einer Belastungsprobe. Kanzlerin Angela Merkel wird mit den Ministerpräsidenten am Donnerstag erneut über den Stand der Corona-Epidemie sprechen. Während einige Länderfürsten auf Lockerungen dringen, sieht Merkel solche Wünsche skeptisch. In ihrer Regierungserklärung mahnte sie, das Vorgehen einiger Bundesländer sei zu forsch. Der Druck auf die Kanzlerin allerdings wächst, auch der Wirtschaftsflügel von CDU und CSU wünscht eine Aufweichung der strikten Corona-Regeln.
Während die ehemalige CDUVorsitzende argumentiert, der Gesundheitsschutz müsse Priorität haben, sieht Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann das anders. „Wirtschaft und Gesundheit sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille“, sagte der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion MIT unserer Redaktion. „Das heißt, wir müssen die Wirtschaft jetzt langsam wieder hochfahren und gleichzeitig darauf achten, dass die Kapazitäten in den Krankenhäusern nicht überfordert werden. Wenn man schrittweise und kontrolliert vorgeht, kann das auch funktionieren.“Für den Vorsitzenden des nach eigenen Angaben mit rund 25000 Mitgliedern größten parteipolitischen Wirtschaftsverbandes in Deutschland muss es nun darum gehen, Vertrauen aufzubauen. Die Kunden würden erst dann wieder ins Restaurant oder ins Kino gehen, „wenn sie Vertrauen haben in unsere gesundheitspolitischen Maßnahmen“, erklärt Linnemann und kritisiert einen Teil der bisherigen Lockerungsbeschlüsse. „Die Politik muss die Debatte über mögliche Exit-Strategien offener führen und hätte sie offener führen müssen.“
Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier kann kein Gegeneinander von Wirtschaft und Gesundheitsschutz erkennen. Ihm geht es „um eine lagespezifische Anpassung und Fortentwicklung der Schutzmaßnahmen im Einklang mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten“. Der Schutz besteht allerdings vor allem in Milliardenhilfen und Linnemann weist auf deren Befristung hin. „Ich mache mir derzeit Sorgen um den Juni und Juli, dann laufen nämlich viele Hilfspakete aus“, sagt er und warnt vor einer Lage, „in der die Entscheidungen der Politik schwierig werden“. Im Moment werde „in der Breite ja fast flächendeckend finanziell unterstützt. Das aber kann auf Dauer nicht gut gehen“.
Linnemann gehört zu denen, die
– anders etwa als SPD-Finanzminister Olaf Scholz – seit längerem bereits vor einer finanziellen Überlastung warnen. „Das bedeutet, dass wir uns jetzt auf diese Situation vorbereiten müssen: Wer bekommt Hilfen? Wo beteiligt sich der Staat? Welche Kriterien müssen wir anlegen?“, fordert er weitere Überlegungen.
Den Optimismus, es werde schon in ein paar Wochen, spätestens in ein paar Monaten, wieder aufwärtsgehen, mag Linnemann nicht teilen. „Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir nach dieser Krise insgesamt Wohlstandsverluste haben werden“, sagt er. „Immer höher, immer weiter, immer verrückter – das wird nicht mehr funktionieren.“
Dabei lässt er den Einwand nicht gelten, dass die Prognosen so schlecht gar nicht sind. Das Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute etwa geht nach 4,2 Prozent Minus in diesem von 5,8 Prozent Plus bereits im kommenden Jahr aus. „Ich kann die vielen optimistischen Zahlen, die da gerade auf dem Markt sind, nicht nachvollziehen“, entgegnet Linnemann und verweist auf die Virologen. „Sie sagen uns, dass wir unser normales Leben erst wieder aufnehmen können, wenn Medikamente oder besser ein Impfstoff da sind.“Das werde leider dauern und passe nicht mit der Annahme zusammen, dass die Wirtschaft nach acht bis zwölf Wochen wieder voll hochfahren werde. Der CDU-Mann empfiehlt einen Blick auf den Ifo-Geschäftsklimaindex. „Die Stimmung der Unternehmen ist am Boden, eine Erholung der gebrochenen Lieferketten ist nicht in Sicht“, sagt er.
Linnemanns Analyse fällt deshalb deutlich pessimistischer aus: „Ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland in diesem Jahr ein Minus im zweistelligen Bereich sehen werden.“Mit gravierenden Folgen für viele Beschäftigte. „Wir müssen leider davon ausgehen, dass ein Teil derjenigen, die heute Kurzarbeit machen müssen, später arbeitslos sein werden“, sagt der CDU-Politiker.
„Wir müssen leider davon ausgehen, dass ein Teil derjenigen, die heute Kurzarbeit machen müssen, später arbeitslos sein werden.“Carsten Linnemann