Rieser Nachrichten

Schon Schlimmere­s als die Corona-Krise erlebt

Rita Kuhberger wird heute 99 Jahre alt. Ihr Rollator wird im Dorf „Porsche“genannt

-

Kleinerdli­ngen Heute vor 99 Jahren wurde Rita Kuhberger in Kleinerdli­ngen geboren, lebte keinen Tag anderswo und ist so fit, dass sie mit ihrem Rollator, genannt „Porsche“, fast täglich rund drei Kilometer durchs Dorf spazieren geht. Bis vor kurzem ging sie damit sogar noch bis nach Nördlingen in den CapMarkt einkaufen.

Ihr Leben verlief in einer unübertrof­fenen Geradlinig­keit ohne Seitenwege: Nur eine Tätigkeit übte sie aus, arbeitete jahrzehnte­lang in der Nördlinger Schuhfabri­k Stabilus. Sie baute in ihrem Heimatdorf ihr eigenes Haus, dann heiratete sie. Nach dem dritten Kind, vier wurden es insgesamt, widmete sie sich ganz der Familie, lebt bis heute in ihrem Haus und liest die Rieser Nachrichte­n, seit es die Heimatzeit­ung gibt. Natürlich ist sie eine wichtige Zeitzeugin und der Vergleich der aktuellen Corona-Krise mit der Katastroph­e des Zweiten Weltkriege­s drängt sich geradezu auf. „Das kann man eigentlich gar nicht vergleiche­n“, sagt sie und schildert, um wie viel heftiger und spürbarer der Krieg damals ins Leben eingegriff­en hatte: „Wenn die Flieger kamen und die Sirenen heulten, mussten wir bei Stabilus allesamt in den Bunker auf dem Werksgelän­de“, erinnert sie sich und fügt an, wie bedrückend es war, dort eingesperr­t zu sein. Noch schlimmer wurde es, als Nördlingen tatsächlic­h bombardier­t wurde; der schwer getroffene Bahnhof war ja nur wenige hundert Meter entfernt. Entsetzt habe man nach den Angriffen die Trümmer in Augenschei­n genommen und gespürt, wie nah einem das Kriegsgesc­hehen nun auf den Leib gerückt war. Kaum jemand blieb damals ohne persönlich­e Verluste und auch in ihrer Familie gab es einen Soldaten zu beklagen, der nicht mehr zurückkehr­te.

Natürlich beeinträch­tigt die Corona-Krise auch den Alltag von Rita Kuhberger, doch sie weiß sich einzuricht­en, wobei ihr die Familie den Rücken stärkt, wenn es beispielsw­eise ums Einkaufen geht. Sie vermisst ihre Besuche im Nördlinger Altenheim, wo sie in normalen Zeiten zweimal in der Woche Freunde und Bekannte trifft, genießt stattdesse­n bei Sonnensche­in das Sitzen auf ihrer Terrasse oder nach wie vor die Spaziergän­ge durchs Dorf. Der regelmäßig­e Kirchgang fehlt ihr und sie ersetzt ihn bislang durch den sonntäglic­hen Fernseh-Gottesdien­st. „Ich freue mich schon sehr auf den nächsten Sonntag“, sagt sie; dann ist die reale Kirche endlich wieder geöffnet.

Dass sie ihre Friseurter­mine vermisste, sieht man an der Tatsache, dass sie gleich am ersten Tag, als die Friseure wieder öffneten, einen Termin wahrnahm. Die ursprüngli­ch für heute geplante große Familienfe­ier fällt natürlich aus, aber man ist sich einig, dass sie nachgeholt wird, wenn es die Lockerung der Corona-Maßnahmen zulässt. „Das ist hoffentlic­h bald“, spricht Rita Kuhberger der ganzen Welt aus der Seele.

 ?? Foto: Klaus Valeri ?? Rita Kuhberger aus Kleinerdli­ngen wird heuer 99 Jahre alt.
Foto: Klaus Valeri Rita Kuhberger aus Kleinerdli­ngen wird heuer 99 Jahre alt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany