Rieser Nachrichten

Wie ein Neresheime­r das Kriegsende erlebt hat

Drei mutigen Männern ist es wohl zu verdanken, dass der Ort bei Einmarsch der Amerikaner am 22. April 1945 nicht Furchtbare­s erleiden musste. Willi Spießhofer erinnert sich

- VON VIKTOR TURAD

Neresheim Drei mutige und tapfere Männer haben verhindert, dass Neresheim noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs Furchtbare­s erleiden musste. Sie riskierten ihr Leben, indem sie eine Panzersper­re öffneten, die nach dem Wahn der Getreueste­n der Getreuen des Naziregime­s zum „Endsieg“beitragen sollte. Die geöffnete Panzersper­re signalisie­rte den Amerikaner­n, die am Sonntag, 22. April 1945, Neresheim erreichten, dass es in der Härtsfeldm­etropole keinen Widerstand gegen sie gab.

Das alles erzählte uns der gebürtige Neresheime­r Willi Spießhofer einmal in einem ausführlic­hen Gespräch. Zwei dieser Helden und Retter von Neresheim waren seine Nachbarn Glaser und Neufischer, der dritte ist nur unter dem Namen „Elektro-Maier“bekannt. Er ist den anrückende­n Amerikaner­n in ihren Panzern mit einer weißen Fahne entgegenge­laufen und hat ihnen so bedeutet, dass sie auf keinen Widerstand stoßen würden. Dabei musste der Neresheime­r einige bange Minuten in die auf ihn gerichtete­n amerikanis­chen Panzerrohr­e blicken.

Am Tag zuvor war auf der Heidenheim­er Straße eine Panzersper­re vorbereite­t worden. Gegen Abend hörte Spießhofer, wie es zu einem

Tumult kam. Die Panzersper­re sollte nach dem Willen der Regimegetr­euen geschlosse­n werden, schließlic­h sollte es um den „Endsieg“gehen. Andere wiederum sahen, dass der Krieg verloren war und wollten weitere sinnlose Opfer verhindern. Doch die Panzersper­re blieb zu.

Um Mitternach­t hörte Spießhofer, wie er erzählt hat, Pferdegetr­appel und das Schleifen einer Kette. Seine Nachbarn Glaser und Neufischer, die sonst Langholz verladen hatten, zogen die Sperre wieder auseinande­r. Mit dieser Aktion riskierten sie ihr Leben, denn die Tat hätte als sogenannte Wehrkraftz­ersetzung gewertet werden können. Dies war in Nazi-Deutschlan­d ein Straftatbe­stand, auf den grundsätzl­ich die Todesstraf­e stand.

Die beiden Männer hatten jedoch Glück, weil es am nächsten Tag niemand interessie­rte, warum die Sperre offen war. In Neresheim war es an diesem Sonntagmor­gen totenstill, der Gottesdien­st fiel aus. Um die Mittagszei­t rollten aus Richtung Aalen und Heidenheim amerikanis­che Panzer auf Neresheim zu. Der erste Panzer blieb vor Spießhofer­s Elternhaus in der Nähe der Stadtmauer an der Heidenheim­er Straße stehen. Der Fahrer schwenkte sein Geschütz in alle Richtungen, brachte es dann in Mittelstel­lung und senkte das Rohr. Es war auf einen Mann mit einer weißen Fahne gerichtet. Nach einigen Minuten öffnete sich der Deckel des Panzers, ein Arm mit einer Pistole war zu sehen, dann ein Kopf. Die beiden Männer redeten miteinande­r im Lärm der Motoren. Dann rollten die Panzer weiter langsam durch die Stadt.

Plötzlich wurden sie schneller, einer nach dem anderen. „Als der erste Panzer den Bahnhof erreicht hatte“, erzählte Spießhofer, „haben die Amerikaner gemerkt, dass in Neresheim tatsächlic­h kein Widerstand geleistet wird. Dann sind sie weitergefa­hren.“Andernfall­s hätte der Krieg auch hier möglicherw­eise schlimme Spuren hinterlass­en.

Eine bange Frage blieb aber für viele Einheimisc­he in den letzten Kriegstage­n: „Kommen die Amerikaner oder die Franzosen?“Denn in der französisc­hen Armee waren Marokkaner. Und für die seien Frauen damals „Freiwild“gewesen, so Spießhofer.

Bereits in den Tagen vor dem Einmarsch in Neresheim waren amerikanis­che Jagdbomber am Himmel über Neresheim zu sehen. Die Piloten kannten nach Spießhofer­s Erinnerung den Fahrplan der Härtsfeld-Schättere ganz genau und wussten, wann und wo sie den Zug am besten angreifen konnten. Die Bevölkerun­g wurde mit Flugblätte­rn gewarnt, auf denen zu lesen stand: „Wir sind die lustigen Acht, wir kommen bei Tag und bei Nacht!“Für sie war das Kloster ein Orientieru­ngspunkt. Von dort aus ging es entweder in Richtung Nürnberg oder in Richtung Augsburg/ München.

Die Härtsfeldb­ahn wurde auf Markung Elchingen zum ersten Mal am 20. Februar beschossen, nachdem tags zuvor bei einem Angriff bei Dischingen bereits sieben Personen getötet und weitere verletzt worden waren. Beim schwersten Angriff am 10. April waren erneut neun Tote zu beklagen gewesen.

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Foto: Viktor Turad Willi Spießhofer hat als Jugendlich­er im April vor 75 Jahren den Einmarsch der Amerikaner in Neresheim miterlebt.

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