Rieser Nachrichten

Der Staatsanwa­lt plädiert auf Totschlag

Im Prozess gegen einen Landwirt fordert er mehr als 13 Jahre Haft und vermutet: Nicht alles lässt sich aufklären

- VON MICHAEL SIEGEL

Augsburg Mit dem Plädoyer des Staatsanwa­lts kommt das seit Oktober laufende Verfahren vor dem Augsburger Landgerich­t gegen einen Landwirt aus Birkhausen in die entscheide­nde Phase. Zuvor hatte die Verteidigu­ng des Angeklagte­n erneut mit Beweisantr­ägen aufgewarte­t. Unter anderem sollten alle sieben Landwirte aus Birkhausen, die noch Gülle auf ihre Äcker ausbringen, als Zeugen geladen werden.

13 Jahre und sechs Monate Gefängnis wegen Totschlags – diese Strafe fordert die Staatsanwa­ltschaft für den 55-jährigen Landwirt, der im September 2018 seine Ehefrau auf dem Bauernhof in Birkhausen an der Güllegrube umgebracht haben soll. Staatsanwa­lt Michael Nißl schickte seinem Plädoyer eines voraus: Einiges werde sich wohl nie abschließe­nd aufklären lassen. Dennoch komme für ihn kein Freispruch gemäß der Devise „Im Zweifel für den Angeklagte­n“in Frage.

Nißl berief sich auf eine Form des Ausschluss­verfahrens, wie es der Bundesgeri­chtshof im Falle von Mord ohne Leiche für legitim erklärt habe. Anzeichen dafür, dass der Angeklagte seine Ehefrau umgebracht habe und diese nicht Opfer eines Unfalls geworden sei – wie er selbst und die Verteidigu­ng es behaupten – gebe es genügend. Von einem Mord aus Habgier wegen von ihm gehorteter Hunderttau­sender von Euro nahm Nißl allerdings Abstand. Ein weiteres Motiv liege, so der Staatsanwa­lt, in Streitigke­iten zwischen den Eheleuten bezüglich der Schweineha­ltung. Nißl hielt es für denkbar, dass es sogar unmittelba­r vor dem Totschlag am Tattag zu einem Wortwechse­l in dieser Sache gekommen sei. Räumlich, zeitlich, technisch, auch menschlich sei eine Tötung durch den Angeklagte­n möglich gewesen, analysiert­e der Staatsanwa­lt anhand vieler Zeugenauss­agen und Ermittlung­sbefunde.

Ein Unfall sei „maximal unplausibe­l“, so Nißls Einschätzu­ng. Es sei leichterdi­ngs nicht vorstellba­r, dass die Ehefrau, die jede Minute den Mann mit dem Traktor auf dem Hof zurückerwa­rtete, ohne erkennbare­n Anlass eine Leiter holte, um trotz entzündete­r Füße in Halbschuhe­n allein in die Güllegrube zu steigen. Sie sei also nicht in der Grube bewusstlos geworden, nicht in die restliche Flüssigkei­t gestürzt, habe dort keine Gülle geschluckt und eingeatmet, sei auch nicht fast ganz aus der Grube hinaufgest­iegen und oben kollabiert und erstickt. Nißl geht vielmehr davon aus, dass die Frau von ihrem Mann mit einem Gegenstand auf den Kopf bewusstlos geschlagen worden sei. Danach habe der Angeklagte sie zur Güllegrube geschleppt, mit einem Kübel Gülle aus der Grube geschöpft und damit die Frau übergossen. Möglicherw­eise, um Spuren zu verschleie­rn, möglicherw­eise auch, um den sicheren Tod herbeizufü­hren. Weil aber nicht klar sei, wann der Mann davon ausgehen konnte, dass seine Frau tot sei, sei ein Mord zum Zwecke des Verbergens nicht sicher. Nißl forderte deshalb eine Bestrafung wegen

Totschlags. Abschließe­nd bat er das Gericht, sich auch weiterhin und bei der Urteilsfin­dung von der Verteidigu­ng „nicht blenden“zu lassen, was ihm empörte Proteste einbrachte. So gut wie keine Gefühlsreg­ung war während des über 90-minütigen Vortrags des Staatsanwa­lts beim Angeklagte­n zu erkennen, der lediglich einige Notizen auf ein Blatt schrieb.

Vor dem Plädoyer hatte die Verteidigu­ng mit weiteren Beweisantr­ägen aufgewarte­t. Sieben Landwirte, die Gülle auf Feldern ausbringen, soll es in Birkhausen noch geben, und alle sieben möchte die Verteidigu­ng als Zeugen vernehmen. Es gehe darum, aufzuzeige­n, dass der Angeklagte praktisch keine Zeit gehabt habe für ein komplexes Tatgescheh­en, das ihm vorgeworfe­n wird. Ein Zeuge hatte ausgesagt, sich an das Traktor-Fahrgeräus­ch seines Nachbarn, des Angeklagte­n, erinnern zu können. Seine und weitere Zeugen-Erinnerung­en sollen laut Rechtsanwa­lt Nico Werning belegen, dass der Angeklagte erst nach 11 Uhr vormittags von der letzten Güllefahrt auf den Hof zurückgeke­hrt sei. Um 11.17 Uhr war vom Angeklagte­n ein Notruf abgesetzt, um 11.20 Uhr die Feuerwehr per Sirene alarmiert worden. Nun gibt es aber in Birkhausen laut Verteidigu­ng sieben Landwirte, die noch Gülle auf den Feldern der Umgebung ausbringen. Zwei davon besitzen ein baugleiche­s oder ähnliches Traktor-Modell wie der Angeklagte. Um auszuschli­eßen, dass der Zeuge aus der Nachbarsch­aft des Angeklagte­n einen anderen Traktor als jenen des 55-Jährigen gehört haben könnte, sollen für entspreche­nde Informatio­nen die sieben Landwirte vernommen werden.

Verteidige­r Peter Witting will zudem von einem Gutachten geklärt wissen, dass die beiden auf dem Bauernhof vorgefunde­nen Gießkannen jedenfalls nicht dazu benutzt worden seien, damit Gülle zu vergießen. Beide Beweisantr­äge waren vom Gericht nach geheimer Beratung zunächst formlos abgelehnt worden.

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