Rieser Nachrichten

Kuch warnt: Patienten gehen zu spät zum Arzt

Interview Es scheint, als ob die Corona-Pandemie das Ries verschont. Im Stiftungsk­rankenhaus wurden allerdings schon 60 Patienten, die mit Covid-19 infiziert waren, behandelt. Wie Chefarzt Professor Bernhard Kuch die Lage beurteilt

- Damit alle Lungenbere­iche von der Beatmung angesproch­en werden.

Herr Professor Kuch, Corona dominiert nach wie vor nicht nur die Schlagzeil­en, sondern auch unser Leben. Im Ries aber – so scheint es – kommen wir vergleichs­weise glimpflich davon. Wie viele Patienten mussten Sie bislang im Stiftungsk­rankenhaus in Nördlingen behandeln?

Kuch: Wir haben in der Klinik ungefähr 60 Patienten betreut, die eine Infektion mit Covid-19 hatten. Diejenigen, die einen schwereren Verlauf hatten, waren meist älter – bis auf einen 63-Jährigen, der allerdings stark übergewich­tig ist. Der Patient ist nach einer Langzeitbe­atmung mittlerwei­le auf dem Weg der Besserung. Wir haben auch 40- bis 60-Jährige behandelt. Diese Patienten hatten aber einen guten Verlauf und mussten nicht auf die Intensivst­ation.

Immer wieder wird berichtet, dass Vorerkrank­ungen einen wesentlich­en Einfluss darauf haben, wie eine Infektion verläuft. Konnten Sie das auch beobachten?

Kuch: Entscheide­nd ist, ob der Patient Vorerkrank­ungen an der Lunge hat, etwa COPD. Zudem spielt es auch eine Rolle, ob er raucht oder übergewich­tig ist. In letzterem Fall wird die Lunge mehr beanspruch­t als bei schlanken Menschen. Patienten, die vorher Herz-Kreislauf-Probleme oder gar einen Herzinfark­t hatten, sind meiner Beobachtun­g nach zufolge nicht schwerer betroffen.

Gab es für Sie auch Überraschu­ngen? Kuch: Es kann einem Patienten relativ schnell sehr schlecht gehen. Und zwar so schlecht, dass er intensivme­dizinische Betreuung braucht. Das trifft nicht nur auf die Hochbetagt­en zu, bei denen man übrigens derzeit in den Altersheim­en eher dazu neigt, sie sterben zu lassen – eine Tendenz, die ich kritisch beobachte. Auch Menschen in Pflegeheim­en können noch über Jahre ein sehr gutes Leben führen. Dieser schnelle Verlauf der Krankheit und die lange Beatmungsz­eit können zur Folge haben, dass die Zahlen der Kranken schnell ansteigen und damit unsere Kapazitäts­grenzen auch ganz schnell erreicht sind.

Wie wahrschein­lich ist diese Gefahr? Kuch: Ich bin ein optimistis­cher Mensch, ich denke, dass wir schon mit der Situation klarkommen würden. Aber wir müssen uns besser für die Zukunft rüsten. Im Stiftungsk­rankenhaus haben wir allgemein zu wenig Betten. Die Kardiologi­e be

über die Grenzen des Landkreise­s Donau-Ries hinaus Patienten aus Dillingen, Wertingen und Dinkelsbüh­l oder Bopfingen. Wir haben jetzt eine gynäkologi­sche Hauptabtei­lung. Die Chirurgie wächst, die Intensivab­teilung ist massiv belastet. Kurz gesagt: Wir sind mittlerwei­le ein überregion­aler Versorger und dafür brauchen wir mehr Kapazitäte­n.

Wie behandeln Sie die Corona-Patienten eigentlich? Ein Medikament dagegen gibt es ja noch nicht.

Kuch: Nein. Derzeit werden in Studien verschiede­ne Medikament­e getestet – bei uns allerdings nicht. Ich halte es für sehr unwahrsche­inlich, dass wir bald einen Impfstoff gegen Corona haben. Das liegt daran, dass es sich um einen Virus handelt. Es gibt auch keinen Impfstoff gegen AIDS – ebenfalls ein Virus – obwohl schon lange danach geforscht wird. Gegen viele andere Viren gibt es auch keinen Wirkstoff als Arznei. Corona-Patienten können wir derzeit nur klassisch intensivme­dizinisch betreuen und auf deren eigenes Immunsyste­m hoffen. Wichtig ist, dass die Menschen oft gedreht

Wie viele freie Betten gibt es aktuell für Corona-Patienten in Nördlingen? Kuch: Wir halten noch eine halbe Station frei, das sind zwölf Betten. Allerdings verfügen wir meist über Vier-Bett-Zimmer – bei Corona kann das zum Problem werden. Wir können ja nur positiv getestete Patienten in einem Raum unterbring­en. Verdachtsf­älle müssen stets in einem Einzelzimm­er liegen. Seit gut einer Woche gab es aber sowohl am Stiftungsk­rankenhaus als auch im Krankenhau­s in Donauwörth keine neuen Corona-Intensivfä­lle.

Das bedeutet aber auch, dass Betten, die zuvor für Corona-Patienten freigehalt­en wurden, wieder für andere Kranke genutzt werden können, oder? Kuch: Ja. Und da gibt es derzeit etwas, was mir Sorgen bereitet: Die Menschen sind in den vergangene­n Wochen zu Hause geblieben, obwohl sie Symptome einer schweren Erkrankung gezeigt haben. Offensicht­lich hatten die Patienten Angst, sich mit Corona anzustecke­n. Gerahandel­t de erst haben wir einen Mann behandelt, der schon seit Wochen über Herzproble­me geklagt hat, aber nicht zum Arzt gegangen ist. Jetzt hatte er einen schweren Herzinfark­t. Wäre dieser Patient früher zu uns gekommen, dann hätten wir das verhindern können. Wir Ärzte warnen davor, irgendwelc­he Symptome zu verschlepp­en.

Wie sieht es mit planbaren Eingriffen aus?

Kuch: Wir dürfen sie erst ab dem 15. Mai wieder durchführe­n. Wenn die Patienten aber unter starken Schmerzen leiden oder zum Beispiel schwere urologisch­e Probleme haben, dann operieren wir auch jetzt schon.

Wie geht es Ihren Kollegen, den Ärzten und Pflegern? Immer wieder ist ja davon die Rede, dass sich auch das Personal in den Krankenhäu­sern bei Corona-Patienten ansteckt.

Kuch: Auch unter unseren Mitarbeite­rn gab es Corona-Infizierte. Allerdings haben sich die Pfleger und ein Arzt im privaten Umfeld angesteckt. Wir wurden alle getestet, auch ich. Seit vier Wochen arbeitet das gesamwerde­n, te Personal hier mit Mundschutz. Ich glaube, das hat uns tatsächlic­h etwas gebracht. Und ich halte den Mundschutz, den die Menschen jetzt etwa in Geschäften tragen, auch für sinnvoll. Es kommen beim Gegenüber einfach im Zweifelsfa­ll weniger Viren an.

Nun sprechen Politiker mittlerwei­le davon, dass man Corona „im Griff“habe. Und viele Menschen wünschen sich sehnlichst ihr normales Leben zurück.

Kuch: Ich habe dafür größtes Verständni­s, ich wäre auch gerne nächste Woche im Urlaub am Gardasee. Aber wir werden in den nächsten Monaten ein neues normales Leben haben. Eine vorsichtig­e Öffnung ist durchaus vernünftig – sie bringt aber auch Menschen dazu, das Virus nicht mehr ernst zu nehmen. Ich habe erst neulich eine Gruppe Jugendlich­e beobachtet, die sich auf einem Feld getroffen haben. Ich kann das wirklich verstehen, dass man den Wunsch hat, sich zu treffen. Aber das Problem ist, dass die Infektions­zahlen dann auch wieder hochschnel­len.

Interview: Martina Bachmann

 ?? Foto: Jochen Aumann ?? Im Nördlinger Stiftungsk­rankenhaus werden derzeit zwölf Betten für Corona-Patienten freigehalt­en. Professor Bernhard Kuch beurteilt im Interview mit den Rieser Nachrichte­n die aktuelle Lage.
Foto: Jochen Aumann Im Nördlinger Stiftungsk­rankenhaus werden derzeit zwölf Betten für Corona-Patienten freigehalt­en. Professor Bernhard Kuch beurteilt im Interview mit den Rieser Nachrichte­n die aktuelle Lage.

Newspapers in German

Newspapers from Germany