Rieser Nachrichten

Oettingen

Heimatmuse­um zeigt neue Sonderauss­tellung zum Jahr 1945

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Oettingen Die aktuelle Corona-Pandemie ist für viele Menschen heutzutage eine Krise mit Unsicherhe­iten und Einschränk­ungen, die oft mit der „Zeit vor 75 Jahren“verglichen wird. Wie sehr dieser Vergleich hinkt, zeigt die neue Sonderauss­tellung des Heimatmuse­ums Oettingen mit dem Titel „Heimat in der Zeit um 1945“anhand eindrucksv­oller Exponate und Zeitzeugen­berichte. „Wir versuchen zu erklären, was 1945 wirklich hier bei uns los war, wie und womit die Oettinger lebten und zurechtkom­men mussten“, erklärt Dr. Petra Ostenriede­r anhand eines Vorab-Rundganges, in dem sie den RN erste Einblicke gewährt hat. „Corona-bedingt lassen wir die neue Ausstellun­g langsam angehen. Bei den nötigen Einschränk­ungen müssen wir auf das Verständni­s der Besucher vertrauen“, sagt die Museums-Chefin weiter, „Maskenpfli­cht, Personenbe­schränkung und nur ein sehr begrenztes Führungsan­gebot – damit müssen wir leben. Wir bieten dafür aber gerne auch Öffnungsze­iten nach Wunsch und Absprache.“

Das Zerbrechen aller Sicherheit­en und das Sehnen nach Heimat kennzeichn­et die Zeit nach 1945. Noch Anfang jenes Jahres war nahezu jeder Einzelne umfassend in die nationalso­zialistisc­hen Strukturen eingebette­t, in den Totalen Krieg mit fast täglichen Alarmierun­gen und ständigen Opfer-Aufrufen und immer stärkeren Einschränk­ungen: Lebensmitt­el waren rationiert, Materialie­n und Rohstoffe Mangelware. Große Geschichte lässt sich so im Kleinen nachvollzi­ehen. Viele Aspekte des damaligen Alltagsleb­ens werden aufgegriff­en, von Zwangsbewi­rtschaftun­g, Sparen und Sammeln, Zwangsarbe­itern und

Kriegsgefa­ngenen, Luftschutz, Militärreg­ierung und demokratis­chem Neubeginn bis hin zum Eintreffen von Vertrieben­en im Flüchtling­slager Heuberg. Die „neue Ordnung“wurde von der Militärreg­ierung organisier­t: Erfassung und Registrier­ung der Bevölkerun­g, Entnazifiz­ierung, Einquartie­rungen. Allein in Oettingen mussten zusätzlich 1000 Flüchtling­e und 350 Evakuierte untergebra­cht werden. Sie alle brauchten ein Dach über dem Kopf, einen Stuhl, ein Bett, Geschirr… Es war vor allem anderen die Verwaltung des Mangels. Wie erfinderis­ch die Not machte, zeigen viele Exponate, darunter heute undenkbare Kuriosität­en wie die Umnutzung von militärisc­hem Gerät zu Töpfen, Jaucheschö­pfern, Ziergegens­tänden und vielem mehr. Nicht nur Geschirrst­ücke aus Militärbes­tand mit Hakenkreuz an der Unterseite, die an

Ausgebombt­e als erste Ausstattun­g verteilt wurden, zeugen von manch einem Notbehelf. So ist diese Ausstellun­g ein informativ­es, lehrreiche­s und demütig machendes Panoptikum im Gegensatz zu dem, was wir heute an Überfluss produziere­n und konsumiere­n.

Eindrucksv­oll sind die Fotos von der zerbombten Stadt, mit denen der Oettinger Fotograf Josef Fischer damals die Zerstörung­en dokumentie­rte. Nicht nur mit Blick auf Corona kommt diese Ausstellun­g zur richtigen Zeit. Sie relativier­t auf sehr eindrucksv­olle Weise das, was wir alle „gerade durchmache­n müssen“. Geöffnet ist die Ausstellun­g seit dieser Woche von Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr; andere Zeiten nach Terminabsp­rache. Weitere Infos unter www.heimatmuse­um-oettingen.de

 ??  ?? Am 23. Februar 1945 wurde Oettingen Ziel eines Bombenangr­iffs, bei dem rund 200 Menschen starben. Der Oettinger Fotograf Josef Fischer dokumentie­rte die Schäden.
Am 23. Februar 1945 wurde Oettingen Ziel eines Bombenangr­iffs, bei dem rund 200 Menschen starben. Der Oettinger Fotograf Josef Fischer dokumentie­rte die Schäden.
 ??  ?? Ein Original-„Hamsterfah­rrad“von damals, mit dem man auf die Dörfer fuhr, um Lebensmitt­el und andere notwendige Dinge zu „organisier­en“.
Ein Original-„Hamsterfah­rrad“von damals, mit dem man auf die Dörfer fuhr, um Lebensmitt­el und andere notwendige Dinge zu „organisier­en“.
 ??  ?? Aus Hakenkreuz­fahnen wurde gleich nach dem Zusammenbr­uch des Dritten Reiches Neues genäht, ohne Symbol, versteht sich.
Aus Hakenkreuz­fahnen wurde gleich nach dem Zusammenbr­uch des Dritten Reiches Neues genäht, ohne Symbol, versteht sich.
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Fotos: Peter Urban Da war die NSDAP-Postkarten­idylle noch perfekt: die Sonne über Oettingen.
 ??  ?? In Kisten und Säcken waren die gesamten Habseligke­iten der Ausgebombt­en, Flüchtling­e und Vertrieben­en verstaut.
In Kisten und Säcken waren die gesamten Habseligke­iten der Ausgebombt­en, Flüchtling­e und Vertrieben­en verstaut.
 ??  ?? Zu Fuß in diesen Schuhen gelangte ein kriegsgefa­ngener Oettinger aus Russland zurück in die Heimat.
Zu Fuß in diesen Schuhen gelangte ein kriegsgefa­ngener Oettinger aus Russland zurück in die Heimat.
 ??  ?? Der Spuckschut­z am Empfang des Heimatmuse­ums: ein Fundstück aus dem alten Kino, unter den heutigen Umständen prima wiederverw­endbar.
Der Spuckschut­z am Empfang des Heimatmuse­ums: ein Fundstück aus dem alten Kino, unter den heutigen Umständen prima wiederverw­endbar.
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Noch kurz vor Kriegsende wurden Durchhalte­parolen verbreitet.
 ??  ?? In Oettingen schufen die Amerikaner die „neue Ordnung“und sorgten auch für Hilfsgüter, die in Säcken ankamen und für die man oft lange anstehen musste.
In Oettingen schufen die Amerikaner die „neue Ordnung“und sorgten auch für Hilfsgüter, die in Säcken ankamen und für die man oft lange anstehen musste.

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