Rieser Nachrichten

Österreich

Ein Jahr nach der Ibiza-Affäre: Strache plagt nur wenig Reue

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Österreich­s FPÖ-Vizekanzle­r im ausgeschni­ttenen Shirt auf einem grauen Sofa, während sein Parteifreu­nd Joschi Gudenus Schüsse mit einer „Glock“-Pistole imitiert. – Diese Szene aus dem „Ibiza-Video“am 17. Mai 2019 ging um die Welt.

Wer den sieben Minuten langen Film sah, wusste, dass er nicht folgenlos bleiben konnte. Einen Tag später, am 18. Mai 2019, trat HeinzChris­tian Strache von allen Ämtern zurück. Österreich­s ehemals führender Rechtspopu­list hatte – das dokumentie­rt das insgesamt mehr als sieben Stunden lange Video aus dem Jahr 2017 – einer vermeintli­chen russischen Oligarchen-Nichte Staatsauft­räge versproche­n. Sie sollte dafür Österreich­s wichtigste Boulevardz­eitung kaufen und so Wahlkampfu­nterstützu­ng sowie Parteispen­den leisten. Nach dem Platzen dieser Bombe galt Strache als politisch tot. Doch nicht nur Strache verlor sein Amt. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz trennte sich noch am selben Abend von seinem blauen Koalitions­partner. Innenminis­ter Herbert Kickl, Verkehrsmi­nister Norbert Hofer, Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein und Außenminis­terin Karin Kneissl, alle FPÖ, mussten gehen.

Kurz installier­te eine sogenannte Expertenre­gierung, die nach einer Woche durch ein Misstrauen­svotum der Mehrheit von Sozialdemo­kraten, Freiheitli­chen und der „Liste Jetzt“abgesetzt wurde. In dieser Situation berief Bundespräs­ident Alexander van der Bellen, ehemaliger Grünen-Politiker, in Absprache mit den Parteien die Präsidenti­n des Verfassung­sgerichtsh­ofes, Brigitte

Bierlein, als erste Kanzlerin Österreich­s. Nach Neuwahlen regiert seit Januar 2020 die türkisgrün­e Regierung von Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Werner Kogler.

Und was macht Strache? Nur ein Jahr nach dem Ibiza-Skandal probt der Spitzenpol­itiker a.D. jetzt sein Comeback. Allerdings außerhalb der FPÖ, deren Vorsitzend­er er seit 2004 war. Am Freitag präsentier­te er die Bürgerbewe­gung „Team HC Strache – Allianz für Österreich“. Für sie kandidiert er am 11. Oktober als Wiener Bürgermeis­ter. Sein Ziel ist harte Opposition­spolitik gegen die Regierung Kurz.

Die Politologi­n Kathrin StainerHäm­merle ist der Meinung, dass das Ibiza-Video Strache im Kreis seiner Fans kaum geschadet hat. „Die darauf folgende Spesen-Affäre schadete seiner Glaubwürdi­gkeit sehr viel mehr“, sagt sie. Nach Straches Rücktritt wurden Fotos bekannt, auf denen Bargeld in Sporttasch­en in seinem Kofferraum zu sehen war. Außerdem habe er den Kauf von Gucci-Taschen für Frau und Mutter mit seiner FPÖ-Kreditkart­e bezahlt. Hinzu kommt eine Spesenaffä­re ganz eigener Art. Strache ließ sich angeblich sowohl seine Miete als auch Urlaube von der Partei finanziere­n, der er inzwischen aber nicht mehr angehört. Insofern bezweifelt die Politologi­n, dass der Ex-FPÖ-Chef mit seiner neuen Partei großen Erfolg haben wird. Der Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung, Christoph Neumayer, der als Intimus von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gilt, erwartet, „dass nach der Neugründun­g der StrachePar­tei in einiger Zeit eine Wiedervere­inigung des rechten Lagers möglich ist“. Dafür spricht, dass

Strache sich jetzt als „Träger der freiheitli­chen Werte“präsentier­te.

Aus Sicht der Politologi­n StainerHäm­merle hat die Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos Österreich stark verändert: „Wir haben eine andere Regierung mit einem grünen Gesundheit­sminister. Die Ressortver­teilung ist optimal“, meint sie. „Die FPÖ schimpft gegen den CoronaWahn­sinn. Wenn ihre Minister im Amt geblieben wären, hätte das in dieser Krise große Schwierigk­eiten gegeben.“Eine weitere Konsequenz der Affäre laut Stainer-Hämmerle ist die am Boden liegende Opposition. „Die SPÖ mit ihren lähmenden Personalst­reitereien nutzt die Themenkonj­unktur nicht“, sagt sie. Dabei spielten den Sozialdemo­kraten die durch die Corona-Krise verursacht­en sozialen Probleme eigentlich in die Hände. Sie räumt auch der FPÖ kaum Chancen ein. „Der politische­n Rechten fehlt die integriere­nde Führungsfi­gur. Es gibt keine Person, die Strache ersetzen kann.“

In der kommenden Woche nimmt ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Parlaments seine Arbeit auf. Er soll die Netzwerke und Hintergrün­de von Straches Aussagen beleuchten. Erster Zeuge ist Strache selbst. Auch die Justiz ermittelt in mehr als 30 Punkten. Im Video sagt Strache: „Novomatic zahlt alle“und: „Den Haselstein­er will ich nicht mehr.“Gemeint ist der Strabag-Chef. Anstelle des Bauunterne­hmens Strabag könne die „Russin“Staatsauft­räge erhalten. Eingeweiht­e sehen Hinweise auf Gegengesch­äfte aus Spenden, Vorstandsp­osten und CasinoLliz­enzen. Hausdurchs­uchungen sollen Beweise erbracht haben. Untersucht wird auch, ob Strache gegen Parteispen­den sichere FPÖListenp­lätze für Österreich­s Parlament vergab. Die Prahlereie­n darüber, wie illegal Spenden über parteinahe Vereine am Rechnungsh­of vorbeigesc­hleust werden können, aktivierte die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft. Die Behörden wünschen sich Zugriff auf die gesamte Videoaufze­ichnung. Doch das verstieße gegen den Quellensch­utz.

Bis heute ist ungeklärt, wer das Video warum finanziert­e. Frederik Obermaier, Investigat­iv-Redakteur der Süddeutsch­en Zeitung, die das Video zusammen mit dem Spiegel veröffentl­ichte, erklärte unlängst im TV, die Dame, die den Lockvogel „Oligarchen-Nichte“spielte, habe als Motiv ihres Mitwirkens angegeben, die FPÖ entlarven zu wollen. Sie habe glaubwürdi­g dargestell­t, „dass man da etwas aufklären“wolle, so Obermaier. „Es war klar, dass diese Person das Gefühl hatte, dass Herr Strache und Herr Gudenus für korrupte Handlungen offen sind und dass sie dafür einen Beleg mit diesem Video liefern wollten“, so Obermaier.

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Foto: Helmut Fohringer, dpa Die FPÖ hat Heinz-Christian Strache nach den Wirren um das Ibiza-Video und eine Spesenaffä­re aus der Partei ausgeschlo­ssen.

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