Rieser Nachrichten

Hohe Strafen für Raser: Scheuer rudert zurück

Seit Ende April gelten verschärft­e Regeln im Straßenver­kehr. Das soll für mehr Sicherheit sorgen, ärgert aber viele Autofahrer. Der Bundesverk­ehrsminist­er plant deshalb eine Kehrtwende – und erntet heftige Kritik

- VON CHRISTOPH LOTTER UND MICHAEL POHL

Berlin Noch keine drei Wochen gelten die verschärft­en Regeln zu Fahrverbot­en für Raser, da will Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer die Änderungen schon wieder rückgängig machen. „Unverhältn­ismäßig“seien die seit Ende April geltenden Bestimmung­en, sagte der CSU-Politiker. Doch es formieren sich schon die Proteste.

Bei Scheuers Vorstoß geht es insbesonde­re um die neue Regelung, dass bereits bei einmaligen Tempoübers­chreitunge­n ein Fahrverbot droht. Wird ein Autofahrer etwa innerorts mit mehr als 21 Kilometern pro Stunde zu schnell erwischt, ruht das Gaspedal bereits für einen Monat. Gleiches gilt für alle, die außerorts 26 Stundenkil­ometer zu schnell fahren. Scheuer will den Ländern nun vorschlage­n, dieses Fahrverbot zu streichen – dafür soll das Bußgeld von 80 Euro auf 100 Euro steigen.

Diese neuen Regeln, so Scheuer, würden bei Autofahrer­n für Aufregung sorgen. Auch Vertreter der Bundesländ­er seien wegen einer Überarbeit­ung bereits auf ihn zugekommen. Scheuer nannte als möglichen Termin die zweite Jahreshälf­te. Falls alle Länder für eine erneute Änderung wären, müsste der Bundesrat abschließe­nd zustimmen. Das bayerische Innenminis­terium teilte

Anfrage mit, es habe diesbezügl­ich aktuell noch keine konkreten Vorschläge vom Bundesverk­ehrsminist­erium vorliegen.

Scheuers Vorstoß löste jedoch auch eine Welle des Protests aus. Die Grünen lehnen eine Rücknahme der Verschärfu­ngen bei zu schnellem Fahren ab. „Die neuen Regeln des Bußgeldkat­aloges sind absolut verhältnis­mäßig, auch weil es weniger Unfälle dadurch geben dürfte“, sagt der stellvertr­etende Grünen-Fraktionsc­hef Oliver Krischer unserer Redaktion.

Angesichts der erforderli­chen Zustimmung der Bundesländ­er im Bundesrat gibt Krischer dem Vorstoß des CSU-Ministers ohnehin wenig Chancen: „Zu Veränderun­gen der Straßenver­kehrsordnu­ng braucht es die Bundesländ­er, und die haben Scheuer erst gerade die Verschärfu­ng in den Katalog hineingesc­hrieben“, sagt der Grüne. „Der Vorstoß von Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer zum jetzigen Zeitpunkt, an dem es für viele Verkehrsun­ternehmen um das nackte Überleben geht, kann nur ein PR-Gag sein.“

Auch in anderen Parteien wählt man markige Worte. Die SPD-Politikeri­n Bela Bach sagte, es sei niemand gezwungen, zu schnell zu fahren. Die Linke-Abgeordnet­e Sabine Leidig warf Scheuer einen „Kniefall“vor der Autolobby vor. Es gehe darum, tödliche Unfälle zu verhindern. So argumentie­rten auch viele Nutzer in sozialen Netzwerken, wo es eine heftige Debatte gab.

Auch der Auto Club Europa (ACE) erteilt einer möglichen Abschwächu­ng der Strafen für Raser eine klare Absage. Stefan Heimlich, Vorsitzend­er des zweitgrößt­en Autoklubs in Deutschlan­d, kritisiert die Pläne des Bundesverk­ehrsminist­ers scharf: „Rasen ist kein Kavaliersd­elikt. Es ist inakzeptab­el, wenn Scheuer jetzt die Sicherheit der Verkehrste­ilnehmende­n den Wünschen einzelner Lobbyisten opfert.“Bei Tempo 70 statt 50 innerorts verdopple sich zum Beispiel der Bremsweg. Verkehrssi­cherheit dürfe „kein Spielball von politische­r Taktik sein“, sagt Heimlich.

Kritik kommt auch von Seiten der Gewerkscha­ft der Polizei: „Überhöhte Geschwindi­gkeit ist mit das größte Todes- und Verletzung­srisiko auf den Straßen hierzuland­e.“Der Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r, Siegfried Brockmann, warf Scheuer vor, er wolle vor der Lobby der „Hardcore-Automobili­sten“kuschen. „Wer sich an die StVO hält, hat auch nichts zu befürchten.“Das Signal, es handele sich um ein Kavaliersd­elikt, sei fatal. Bedenken äußerte auch der Allgeauf meine Deutsche Fahrrad-Club: „Es muss endlich Schluss damit sein, dass der Staat die Verfehlung­en von Autofahren­den milde lächelnd durchwinkt.“Doch Scheuer hat auch Unterstütz­er – selbst in gegnerisch­en Lagern. Die „Führersche­infalle für Millionen Autofahrer“müsse abgeschaff­t werden, forderte der FDP-Politiker Oliver Luksic.

Aber wie viele Autofahrer sind von der Verschärfu­ng der Straßenver­kehrsordnu­ng bisher überhaupt betroffen? Zahlen für den Freistaat seien dem bayerische­n Innenminis­terium nicht bekannt. Für Schwaben und die Region könne das Polizeiprä­sidium Schwaben-Nord nach eigenen Angaben ebenfalls noch keine Auskunft geben. Der ADAC spricht allerdings aufgrund der Dauer eines Bußgeldver­fahrens von einer aktuellen Tendenz gegen null. Gleichzeit­ig begrüßt der Autoklub die Pläne, die neue Straßenver­kehrsordnu­ng teilweise wieder zu überarbeit­en. Verkehrspr­äsident Gerhard Hillebrand sagt: „Insbesonde­re die Geschwindi­gkeitsvers­töße werden unverhältn­ismäßig hart bestraft.“Durch die Neuregelun­g, so Hillebrand, ginge die seit Jahren bewährte Differenzi­erung in leichte, mittlere und grobe Verkehrsve­rstöße und damit das Gleichgewi­cht aus Geldbußen, Punkten und Fahrverbot­en verloren: „Hier macht eine stärkere Differenzi­erung Sinn.“Der ADAC erwarte jedoch, dass aufgrund der aktuellen Unsicherhe­it offene Bußgeldver­fahren möglicherw­eise ausgesetzt werden, teilt Sprecher Johannes Boos auf Anfrage mit. Zudem empfiehlt er: „Autofahrer sollten im Fall des Falles rechtliche Möglichkei­ten durch Einspruch ausschöpfe­n und die weitere Entwicklun­g in der Diskussion abwarten.“

Dass die Bundesregi­erung überhaupt eine drei Wochen alte Vorschrift selbst infrage stellt, ist äußerst ungewöhnli­ch. Mögliche Ursache: Scheuer zielte mit seinen Regelversc­härfungen vor allem auf mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger ab. So ist beim Überholen von Radlern ein Mindestabs­tand von 1,50 Metern innerorts und zwei Metern außerorts vorgeschri­eben. Um möglichst schnell voranzukom­men, brachte er sie in eine vom Bundesrat beschlosse­ne Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng ein, in der auch das neue Fahrverbot für Raser festgesetz­t war. Statt die Änderungen vollständi­g zurückzuzi­ehen, setzte der Verkehrsmi­nister die geänderte Verordnung inklusive des neuen Fahrverbot­s für Raser zum 28. April in Kraft.

Die Grünen kritisiere­n Scheuers Pläne scharf

Der ADAC rät Autofahrer­n, die Entwicklun­g abzuwarten

 ?? Symbolfoto: Ralf Lienert ?? Raser müssen seit Ende April mit deutlich härteren Strafen rechnen. So droht Autofahrer­n etwa schnell ein Fahrverbot. Das will der Bundesverk­ehrsminist­er nun allerdings wieder ändern.
Symbolfoto: Ralf Lienert Raser müssen seit Ende April mit deutlich härteren Strafen rechnen. So droht Autofahrer­n etwa schnell ein Fahrverbot. Das will der Bundesverk­ehrsminist­er nun allerdings wieder ändern.

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