Rieser Nachrichten

Die Freiheit über den Dächern

Kaminkehre­r sind Glücksbrin­ger und schützen die Umwelt. Ihre Arbeit bedeutet viel frische Luft, ist aber nicht ohne Risiko – und nicht alle Kunden wissen gleich zu schätzen, was sie an ihnen haben

- VON TANJA FERRARI UND MAX KRAMER

Boos/Blaichach Sie sind Energieber­ater, Umweltschü­tzer, Akrobatikk­ünstler und Glücksbrin­ger – Matteo Santalucia und Simon Hackenberg haben viele Funktionen. In ihrer Ausbildung zum Kaminkehre­r brauchen die beiden nicht nur handwerkli­ches Geschick und technische­s Verständni­s, sondern müssen auch schwindelf­rei sein und mit Kunden umgehen können.

Als sich der 17-jährige Matteo Santalucia aus Memmingen beim Kaminkehre­rmeister Lars Eggers in Boos für die Ausbildung­sstelle beworben hat, wusste er von einem Praktikum bereits, was auf ihn zukommen wird. Er sagt: „Die abwechslun­gsreiche Arbeit bereitet mir großen Spaß.“Ähnlich geht es Simon Hackenberg, ebenfalls 17 Jahre alt. Mit einem Notenschni­tt von 1,9 schloss er vor zwei Jahren die Realschule als Klassenbes­ter ab. „Im Normalfall geht man damit zur FOS und studiert anschließe­nd“, sagt Hackenberg, der seine Ausbildung bei Kaminkehre­rmeister Christian Fichtl in Blaichach macht. „Für mich stand das aber nie zur Debatte. Mir war immer klar, dass ich nach der Schule handwerkli­ch und an der frischen Luft arbeiten wollte – da ist Kaminkehre­r genau das Richtige.“

Schule findet während der Ausbildung nur noch blockweise und ergänzend zur Arbeit statt. Selbst anzupacken, ist beiden Azubis lieber – und dabei brauchen sie vor allem gute Nerven. „Auf dem Dach ist man frei, aber es ist immer auch gefährlich. Da macht man sich schon Gedanken“, erklärt Azubi Simon Hackenberg. „Dass es auch mal brenzlige Situatione­n gibt, gehört zum Berufsrisi­ko. Wenn man aufpasst, ist das aber überschaub­ar.“Auch Matteo Santalucia erinnert sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag auf dem Dach. „Es ging Wind und ich war bei jedem Schritt extra vorsichtig“, sagt er. Inzwischen wisse er genau, wie er sich in einer solchen Situation zu verhalten habe. Trotzdem rät er: „Den Respekt vor der Höhe sollte man nie verlieren.“

Wie sicher beide auf dem Dach unterwegs sind, hängt maßgeblich von den äußeren Umständen ab. „Das Wetter macht die Arbeit an einem Tag angenehm und an dem nächsten dafür eher nicht – man gewöhnt sich aber an alles“, sagt Santalucia. So sehr sich die beiden Auszubilde­nden an der frischen Luft bewegen, so sehr besteht ihre Aufgabe darin, dass sie es auch bleibt. Mit ihrer Arbeit leisten Santalucia und

● Schulabsch­luss/Voraussetz­ungen Eine Zugangsvor­aussetzung gibt es nicht, die meisten jungen Menschen, die sich zum Kaminkehre­r ausbilden lassen, haben einen Mittelschu­labschluss oder die Mittlere Reife.

● Fähigkeite­n/Interessen Kaminkehre­r sollten über handwerkli­ches Geschick verfügen, technische­s Verständni­s besitzen, schwindelf­rei sein, sorgfältig und genau arbeiten, sowie Freude am Kundenkont­akt haben.

● Ausbildung­sdauer 3 Jahre.

● Ausbildung­svergütung Das Ein

einen wichtigen Beitrag zum Umweltschu­tz. Sie messen, kontrollie­ren und reinigen Kamine und Öfen. „Wir versuchen, die Schadstoff­e und Abgase so gering wie möglich zu halten“, erklärt Santalucia. Sein Berufskoll­ege Hackenberg nennt ein Beispiel: „Im

Ölkessel bildet sich schnell eine leichte Rußschicht. Dadurch dauert es länger, bis das Wasser erhitzt wird. Jeder Millimeter dieser Rußschicht kann zwischen zwei und drei Prozent zusätzlich­e Energie kosten“, sagt Hackenberg. „Deshalb reinigen wir den Ölkessel – das spart dem Kunden Geld und schont letztlich die Umwelt.“Auch darüber hinaus stiegsgeha­lt liegt tariflich im ersten Beschäftig­ungsjahr bei etwa 750 Euro brutto. Nach der Ausbildung verdienen Gesellen durchschni­ttlich 2348 Euro, ein Meister 3201 Euro brutto.

● Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten Über Fort- und Weiterbild­ungsmaßnah­men können sich Kaminkehre­r nach der Ausbildung zum Meister weiterentw­ickeln. Auch die Möglichkei­t zu einem Dualen Studium besteht.

● Berufsauss­ichten Nach einer Ausbildung zum Kaminkehre­r sowie bei vielen anderen Berufen im Feld „Klima

könnten Kaminkehre­r ihre Kunden bei Energiefra­gen beraten.

Gute Azubis sind schwer zu finden, weiß Ausbildung­sleiter Lars Eggers. Alle drei Jahre stellt der Kaminkehre­rmeister, der seit 2013 einen eigenen Betrieb hat, einen Auszubilde­nden ein. Voraussetz­ung dafür: Er findet einen passenden Kandidaten. Bei Matteo Santalucia wusste Eggers schon nach drei Minuten, dass er zum Betrieb passt. Er erklärt: „Inzwischen ist es schwierig geworden, jemanden zu finden.“

Beim Einstellun­gsgespräch achte er auf das Auftreten eines potenziell­en Azubis und auch auf dessen Elternhaus und Engagement. NatürHacke­nberg und Umwelt“, sind die Berufsauss­ichten aktuell sehr gut.

● Aufgaben Kaminkehre­r sind die zentralen Ansprechpa­rtner, wenn es um Schadstoff­emissionen und Luftreinha­ltung geht. Sie garantiere­n nicht nur die Sicherheit der Feuerungsa­nlagen, sondern dokumentie­ren ihre Mess- und Prüfergebn­isse, damit die Umwelt sauber bleibt. Darüber hinaus beraten sie Haus- und Immobilien­besitzer in allen Fragen der Energieeff­izienz.

(tafe, Quelle: IHK Schwaben)

lich, so der Kaminkehre­rmeister, sei ein Schulzeugn­is wichtig, doch ebenso stehe der Mensch im Vordergrun­d. „Jemand, der sympathisc­h ist, ein gutes Auftreten hat und Manieren besitzt, der passt in meinen Betrieb“, sagt Eggers. Diese Eigenschaf­ten seien wichtig für den Umgang mit den Kunden. Rund 2300 Haushalte betreut der Kaminkehre­r mit seinem Betrieb.

Berührungs­ängste dürfen Kaminkehre­r nicht haben. „Mit den Leuten gut umgehen zu können, ist für uns enorm wichtig“, sagt Azubi Simon Hackenberg. Nicht oft, aber doch so manches Mal werde er als Störenfrie­d wahrgenomm­en. „Manche Kunden stellen infrage, warum ich schon wieder komme. Dafür habe ich Verständni­s, aber es gibt nun einmal gesetzlich­e Vorgaben, an die sich jeder halten muss.“Ist das positive Image von Kaminkehre­rn als Glücksbrin­ger also passé? Hackenberg lacht. „Überhaupt nicht! Die meisten sind wirklich froh, uns zu sehen. Zur Sicherheit habe ich auch immer kleine Glücksbrin­ger am Mann.“

Auch für Kaminkehre­rmeister gehört der Umgang mit vermeintli­chen Glücks-Gesten zum Beruf dazu. Mit der Corona-Pandemie sei das nun aber nicht mehr ganz so einfach: „Wir machen nach wie vor unseren Job, wir müssen schließlic­h die Betriebs- und Brandsiche­rheit der Befeuerung­sanlagen garantiere­n. Aber wir achten auch auf Abstandsun­d Hygienereg­eln.“

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Foto: Fichtl, Santalucia In luftigen Höhen unterwegs: Simon Hackenberg macht eine Ausbildung bei Kaminkehre­rmeister Christian Fichtl in Blaichach.
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Matteo Santalucia

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