Rieser Nachrichten

„Mein Kind ist doch kein Hund“

Eine junge Mutter darf einen Aldi-Supermarkt nicht betreten. Begründung: Ihre zweijährig­e Tochter ist dabei. Warum das kein Einzelfall ist – und was Aldi dazu sagt

- VON MAX KRAMER

Gröbenzell Der Samstag ist noch jung, als Carmen H. aus dem Auto steigt. Ein paar kleinere Besorgunge­n stehen an, die 32-Jährige möchte im örtlichen Aldi-Supermarkt in Gröbenzell (Landkreis Fürstenfel­dbruck) einkaufen. Sie greift zur Mundschutz­maske, packt ihre zweijährig­e Tochter Hanna auf den Arm und setzt sie in einen Einkaufswa­gen. Doch schon weit vor dem Eingang signalisie­ren zwei Aldi-Mitarbeite­r: Mutter und Kind dürfen den Supermarkt nicht betreten. Und dabei bleibt es. Kurz darauf müssen beide das Gelände verlassen. Die junge Mutter setzt sich wieder ins Auto. Ihr kommen die Tränen.

Wenn Carmen H. heute von den Ereignisse­n an diesem Samstag Anfang Mai erzählt, wird sie wütend. „Ich dachte zuerst, das sei ein Witz“, sagt die 32-Jährige gegenüber unserer Redaktion. Trotz der abweisende­n Gesten der beiden Aldi-Mitarbeite­r ging sie Richtung Eingang, um Erklärunge­n zu verlangen. „Einkaufen ist kein Familienau­sflug“, habe die Aldi-Mitarbeite­rin entgegnet und auf den Infektions­schutz verwiesen. Ihr Vorschlag, das Problem zu lösen: Das Kleinkind könne ja vor der Tür warten. „Mein Kind ist doch kein Hund“, sagt die junge

Mutter, die an jenem Tag keine andere Betreuungs­möglichkei­t hatte. „Ich kann meine Aufsichtsp­flicht nicht einfach so verletzen. Aber diese Frau meinte es ernst. Unfassbar.“Grundsätzl­ich könne sie nachvollzi­ehen, dass möglichst wenig Menschen gleichzeit­ig in einen Supermarkt sollten, um die Infektions­gefahr zu verringern. „Aber wie soll ich dann überhaupt einkaufen und uns versorgen? Ohne Betreuungs­möglichkei­t wird das schwierig.“Dem AldiPerson­al am Eingang sei das offensicht­lich egal gewesen.

Besonders geärgert habe sie, sagt H., dass viele Menschen die Diskussion als Schaulusti­ge begleitet hätten. Der jungen Mutter helfen wollte demnach aber niemand. „Alle reden gerade immer wieder von Mitmenschl­ichkeit, von Solidaritä­t. Davon war an diesem Samstag aber nichts zu sehen – weder von Aldi noch von den anderen Kunden. Ich fühlte mich ausgegrenz­t.“Anschließe­nd sei sie wieder ins Auto gestiegen und zu einem Supermarkt unmittelba­r in der Nähe gefahren. Wie zuvor bei Aldi prangte dort am Eingang ein Hinweis-Schild, nach dem Familien den Supermarkt nicht betreten dürften. Hier gab es aber keine Probleme.

Aus ganz Deutschlan­d sind inzwischen Fälle wie der von Carmen H. bekannt. Auch in Filialen anderer Supermarkt­ketten wurde Eltern mit ihrem Nachwuchs vereinzelt der Zutritt verwehrt. Warum müssen Kinder mal draußen bleiben, mal nicht? Der Knackpunkt ist das Hausrecht. „Im privaten Bereich, und dazu zählen in der Regel Supermärkt­e, liegt das Hausrecht grundsätzl­ich beim Betreiber oder beim Eigentümer des Gebäudes“, sagt Uwe Hartung, Fachanwalt für Mietund Wohnungsei­gentumsrec­ht bei der Augsburger Kanzlei JuS Rechtsanwä­lte. Die Entscheidu­ng, wer den Supermarkt betreten dürfe, liege beim jeweiligen Filialleit­er.

„Wenn ein Filialleit­er zum Beispiel bestimmt, dass bei ihm derzeit keine Kinder rein dürfen, dann übt er sein Hausrecht aus“, erklärt Hartung. „Das ist juristisch zulässig. Es steht auch ein sachliches Argument dahinter: der Infektions­schutz. Ich darf bestimmen, welche Hygienemaß­nahmen in meinem Supermarkt zu gelten haben.“Fälle, in denen Menschen wegen fehlender anderer Betreuungs­möglichkei­ten notwendige­rweise auch beim Einkaufen beaufsicht­igt werden müssen, sind rechtlich nicht gelöst. Gesetze, die solche speziellen Situatione­n regeln, gibt es nicht.

Zumindest rechtlich lief in Gröbenzell also alles sauber ab. Aldis allgemeine­r Firmenpoli­tik entspreche es aber nicht, Eltern und Kindern den Zutritt zu seinen Supermärkt­en zu verweigern, wie das Unternehme­n auf Anfrage erklärt: „Sollte es zu der von Ihnen beschriebe­nen Einlassbes­chränkung gegenüber Kindern gekommen sein, bedauern wir das sehr. Für die entstanden­en Unannehmli­chkeiten möchten wir uns entschuldi­gen.“

Laut Aldi könne es bei sehr hohem Kundenaufk­ommen mancherort­s zu Einlasskon­trollen oder Einlassbes­chränkunge­n kommen. Es sei verständli­ch, dass Kunden in der aktuellen Situation häufiger mit ihren Kindern einkaufen gingen. „Wir halten unsere Kunden dann selbstvers­tändlich nicht vom Einkauf in unseren Filialen ab.“

Mit den Schilderun­gen von Carmen H. decken sich diese Aussagen nicht. Sie schrieb nach den Vorkommnis­sen eine E-Mail an die Zentrale von Aldi Süd. Die Antwort: Man könne den Ärger nachvollzi­ehen, die Mitarbeite­r gäben ihr Bestes, man nehme den Hinweis ernst und wolle sich für Unannehmli­chkeiten entschuldi­gen. „Und wir würden uns freuen, wenn Sie dennoch weiter bei uns einkaufen.“Für Carmen H. klingt das fast zynisch. Sie hat sich vorgenomme­n, den Aldi in Gröbenzell fortan zu meiden.

 ?? Foto: Ron Chapple, Imago Images ?? Kein Spaß: Ein Aldi-Supermarkt im Landkreis Fürstenfel­dbruck hat eine Mutter nicht reingelass­en, weil sie ihr zweijährig­es Kind dabei hatte. Infektions­schutz, wegen Corona, lautete die Begründung. Aldi sagt, dies entspreche nicht allgemeine­r Firmenpoli­tik. Doch was steckt dahinter?
Foto: Ron Chapple, Imago Images Kein Spaß: Ein Aldi-Supermarkt im Landkreis Fürstenfel­dbruck hat eine Mutter nicht reingelass­en, weil sie ihr zweijährig­es Kind dabei hatte. Infektions­schutz, wegen Corona, lautete die Begründung. Aldi sagt, dies entspreche nicht allgemeine­r Firmenpoli­tik. Doch was steckt dahinter?

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