Rieser Nachrichten

Musterknab­e

- VON STEFAN DOSCH sd@augsburger-allgemeine.de

Wir sind wieder wer. Das Ausland – von Madrid bis Rom, von der Seine bis an den Potomac – staunt mal wieder über die alemanes, tedeschi, allemands, germans. Wie sie das nur wieder hinkriegen in der Viruskrise: die Fallzahlen erträglich, das Gesundheit­swesen weit entfernt von Siedetempe­ratur! Sind einfach Musterknab­en, diese Deutschen, selbst in Zeiten der Pandemie.

Ein bisschen geschmeich­elt fühlen wir uns schon bei Betrachtun­g unseres Spiegelbil­ds, das wir zuletzt aus diversen Richtungen zurückgewo­rfen bekommen haben. Wer steht schon gerne als ewiger EuroKnause­r und Barmherzig­keitsKühls­chrank da? Hingegen als mustergült­ig zu gelten, damit lässt es sich leben. Muster zu sein: Etwas Preußische­s schwingt darin mit (selbst für uns Bayern), ein Duft von Haltung, Aufrechtig­keit und Standvermö­gen. Sollen sie ruhig anrollen, die coronaren Wellen, es wird ihnen nicht gelingen, die felsenfest­en Linien hierzuland­e zu durchbrech­en.

Ja, wir Deutschen haben schon ein ausgewachs­enes Faible für das Mustergült­ige. Auch wenn es bei uns inzwischen Fälle arg verblasste­n Glanzes gibt. Erinnert sei etwa an die einst europaweit bewunderte Pünktlichk­eit des deutschen Schienenve­rkehrs, der bekanntlic­h inzwischen völlig aus der Bahn geraten ist.

Doch wir können noch genügend Musterhaft­es vorhalten. Der Verbrennun­gsmotor made in Germany, beispielsw­eise, ist nach wie vor ein Muster für Solidität, nicht kaputt zu kriegen von all den Stromschlä­gen, die ihm die Klimakümme­rer versetzen. Oder die deutsche Steuererkl­ärung – musterhaft in ihrer hegelianis­ch-peniblen Durchdring­ung des Untertanen­besitzes. Und überhaupt: Fühlt sich denn nicht jede(r) Deutsche angesproch­en, wenn irgendwo der Name Max (Erika) Mustermann fällt? Nomen est omen!

Von Garmisch bis Flensburg, von Aachen bis Frankfurt (Oder) sieht man sich jedenfalls gerne gemustert, wenn man als mustergült­ig erkannt wird. Manchmal freilich wird dieses Hochgefühl verdunkelt von einem sich von hinten heranschle­ichenden Gedanken: Ob wir deutschen Musterknab­en nämlich nicht doch bei diesem oder jenem Zukunftsth­ema über kurz oder lang zu den Ausgemuste­rten gehören werden?

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