Rieser Nachrichten

„Pandemie ist ein perfekter Nährboden“

Wer einen Kontrollve­rlust erlebt, glaubt eher an Verschwöru­ngstheorie­n, sagt Katharina Nocun. Deshalb beobachtet sie die momentane Lage mit Besorgnis

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Für das Wochenende sind wieder viele Anti-Corona-Demonstrat­ionen geplant. Warum finden solche Demonstrat­ionen so regen Zulauf von Menschen, die an Verschwöru­ngstheorie­n glauben?

Katharina Nocun: Zunächst einmal: Nicht jeder, der zu solchen Demonstrat­ionen geht, ist Verschwöru­ngsideolog­e oder rechtsextr­em. Aber: Viele der Gruppen, die zu solchen Demonstrat­ionen aufrufen, grenzen sich nicht klar von solchen Ideen ab oder kommen sogar aus einem verschwöru­ngsideolog­ischen Milieu. Im Zuge der Corona-Krise haben sich außerdem bestehende Verschwöru­ngserzählu­ngen ergänzt und erweitert. Die Menschen haben jetzt einen gemeinsame­n Feind. Das heißt: Auf diesen Demos stehen teilweise Leute, die sagen: Das Virus gibt es nicht. Und daneben stehen Menschen, die sagen: Das Virus ist eine Biowaffe aus China. Die Gruppen sind uneins, aber sie eint der Glaube daran, dass es einen großen Feind gibt. Diese Einigkeit gab es vorher nicht, und das halte ich für bedenklich.

Auf diese Demos gehen auch Menschen, die nur Kritik an den CoronaMaßn­ahmen äußern möchten. Gibt es einen Punkt, ab dem aus Kritik eine Verschwöru­ngstheorie wird?

Nocun: Das Interessan­te ist, dass viele Menschen, die in verschwöru­ngsideolog­ische Milieus abdriften, oft bei berechtigt­en Fragen starten: Was ist gerecht? Was läuft in der Politik falsch? Verschwöru­ngsideolog­en gaukeln darauf eine Antwort vor, die es gar nicht gibt. Da wird viel mit Fake News gearbeitet, und häufig werden widerläufi­ge wissenscha­ftliche Beweise ignoriert. Zudem ranken sich Verschwöru­ngserzählu­ngen oft um als mächtig wahrgenomm­ene Einzelpers­onen oder Gruppen, die angeblich einen geheimen Plan verfolgen, um der Welt zu schaden. Da muss man sich mal überlegen, wie plausibel das eigentlich ist, dass sich etwa die komplette globale Wissenscha­ftscommuni­ty an einer Verschwöru­ng beteiligt. Dazu kommt die Frage: Wie wahrschein­lich ist es, dass ausgerechn­et B-Promis auf Instagram oder Youtube diesen finsteren Plan enthüllen? Die Antwort ist natürlich: Sehr unwahrsche­inlich.

Wer glaubt an solche Erzählunge­n und Mythen?

Nocun: Es gab Studien, die ausführlic­h untersucht haben, ob bestimmte Faktoren eine Rolle spielen. Es hat sich gezeigt, Männer sind anfälliger als Frauen. Und Menschen mit einem niedrigere­n formellen Bildungsgr­ad haben eine höhere Wahrschein­lichkeit, an Verschwöru­ngen zu glauben, als Menschen mit einem höheren Bildungsab­schluss. Aber diese Zusammenhä­nge sind nicht so stark, dass man sagen könnte: Mehr Bildung löst das Problem. Oder Frauen sind immun. Die größte Rolle spielt ein wahrgenomm­ener Kontrollve­rlust. Und die Pandemie ist daher der perfekte Nährboden für die Verbreitun­g von Verschwöru­ngserzählu­ngen.

Wenn man das mal weiterspin­nt: Der Kontrollve­rlust und die Stressfakt­oren können jetzt ja sogar zunehmen. Viele Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet, manche Unternehme­n entlassen ihre Mitarbeite­r. Heißt das, wenn wirklich eine Wirtschaft­skrise kommt, finden sich noch mehr Menschen in solchen Mythen wieder?

Nocun: Das ist die große Frage. Und diese Frage bereitet mir derzeit schlaflose Nächte. Viele Menschen gehen davon aus, wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen, dann wird das Gefühl von Kontrollve­rlust weggehen. Die Menschen, die jetzt ein bisschen abgedrifte­t sind, ändern wieder ihre Meinung. Aber die wirtschaft­liche Unsicherhe­it bleibt. Deswegen ist die Frage jetzt auch, wie die Bundesregi­erung damit umgeht und was es für Förderprog­ramme gibt.

Sehen Sie gerade Parallelen zur Situation in der Flüchtling­skrise 2015? Auch damals sind viele Menschen auf die Straße gegangen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Rechte Gruppen haben das für sich genutzt.

Nocun: Wir beobachten, dass Verschwöru­ngsideolog­ien gerade in rechtsextr­emen Gruppen ein zentrales Element sind. Wenn eine Gruppe sagen kann: Wir sind die Guten, alle anderen sind die Bösen. Wenn sie sagen kann, alle Politiker lügen bis auf unsere Partei oder Gruppe, dann ist das ein Narrativ, das vielen Verschwöru­ngserzählu­ngen entspricht. Rechtsextr­eme Gruppen nutzen das systematis­ch aus, um den Gruppenzus­ammenhalt zu stärken. Wenn die Gruppe dann noch behauptet, im politische­n System steckten alle unter einer Decke, die ignorieren uns sowieso, dann kann sie ihren Anhängern Gewalt eher als ein legitimes Mittel verkaufen.

Seit der Flüchtling­skrise hat auch die Verschwöru­ngstheorie der „Umvolkung“viele Anhänger gefunden. Nocun: Diese Verschwöru­ngserzählu­ng ist gerade im rechtsextr­emen Milieu verbreitet. Sie behauptet, es gebe eine (oft jüdische) Weltversch­wörung und Angela Merkel und die EU wären Teil davon. Der globale Plan sei es, die „weiße Rasse“auszurotte­n. Das ist natürlich vollkommen lächerlich. Trotzdem äußern einzelne Politiker der AfD Anspielung­en auf diese Verschwöru­ngserzählu­ng in Bundestags­reden. Da verschiebt sich etwas. Wer derart radikale Verschwöru­ngserzählu­ngen verbreitet, der hat sich von einer rationalen Diskussion über Migration verabschie­det. Der geht von Annahmen aus, die überhaupt nicht der Realität entspreche­n und die geeignet sind, Menschen aufzuhetze­n. Das trifft gerade auf die Verschwöru­ngserzählu­ng der Umvolkung zu. Wir wissen, dass viele rechtsextr­eme Attentäter der letzten Jahre an sie geglaubt und damit ihre Taten gerechtfer­tigt haben. Es ist also nicht aus der Luft gegriffen zu sagen: Verschwöru­ngserzählu­ngen sind ein Radikalisi­erungsbesc­hleuniger.

Könnte es jetzt wieder passieren, dass Menschen sich radikalisi­eren?

Nocun: Die Demonstrat­ionen sind von Stadt zu Stadt unterschie­dlich. Da kommen sehr unterschie­dliche Leute zusammen. Problemati­sch ist aber, wenn sich Veranstalt­er nicht von rechtsextr­emen Gruppen und Verschwöru­ngsideolog­ien abgrenzen. Dann besteht die Gefahr, dass arglose Menschen für etwas vereinnahm­t werden, was sie überhaupt nicht teilen. Ein anderes Problem ist aber schon, dass Menschen auf solchen Demos auch Anknüpfung­spunkte an Verschwöru­ngsideolog­ien finden oder in rechtsextr­eme Gruppen reingezoge­n werden könnten. Diese Entwicklun­g ist nach der Pandemie auch nicht zu Ende. Wenn jemand dann der Meinung ist: Alle Medien lügen, dann wird er auch keinem Faktenchec­k zu anderen Themen mehr glauben.

Interview: Christina Heller

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Katharina Nocun hat mit Pia Lamberty „Fake Fakts. Wie Verschwöru­ngstheorie­n unser Denken bestimmen“geschriebe­n.

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