Rieser Nachrichten

Obama is back

Mit kaum versteckte­r Kritik an seinem Nachfolger wird Ex-Präsident Barack Obama zu einem zentralen Akteur des Wahlkampfs. Das freut seine Anhänger – und paradoxerw­eise auch Donald Trump. Die große Frage lautet: Hilft es Joe Biden?

- VON KARL DOEMENS

Washington Irgendwann kann man nicht anders. Man muss sich vorstellen, wie es wäre, wenn statt des lockeren Intellektu­ellen mit offenem Hemdkragen ein polternder Narzisst mit überlanger Krawatte vor der Kamera sitzen und zu den 3,7 Millionen Schulabsol­venten in den USA sprechen würde. „Während ihr euch auf eure Entlassung­sfeier gefreut habt, wirbelt eine Pandemie die Welt durcheinan­der“, sagt der Mann in dem Videoclip. Spätestens jetzt würde Donald Trump seine Krisenpoli­tik loben. Barack Obama aber scherzt, die Jugendlich­en würden mit dem offizielle­n Akt nicht viel verpassen: „Meine Reden sind ohnehin immer viel zu lang.“

Was für ein Kontrast. Seit knapp dreieinhal­b Jahren ist Obama nicht mehr im Amt. Seine Videobotsc­haft für eine virtuelle Abschlussp­arty, die am Samstagabe­nd gleichzeit­ig auf allen großen Fernsehsen­dern ausgestrah­lt wird, kommt aus dem Arbeitszim­mer seines Privathaus­es. Als der siebeneinh­albminütig­e Clip um 20.45 Uhr zur besten Sendezeit läuft, hat der amtierende Präsident bereits mehr als 50 teils wütende Tweets abgeschoss­en. Der kürzeste besteht aus einem Wort in Großbuchst­aben: „Obamagate!“

Obama erwähnt seinen Nachfolger mit keinem Wort. Trotzdem weiß jeder, wer gemeint ist, wenn der 58-Jährige die Jugendlich­en auffordert, sich nicht am Bequemen und Einfachen zu orientiere­n, wie es „sogenannte Erwachsene, darunter einige mit hochtraben­den Titeln und wichtigen Ämtern“, täten: „Deshalb sind die Dinge so verkorkst.“Ein paar Stunden zuvor hat er in einer Internet-Botschaft für schwarze Hochschula­bsolventen ausgeführt, die Corona-Krise entlarve die Illusion, „dass diejenigen, die Verantwort­ung tragen, wissen, was sie tun“. Viele täten „nicht einmal so, als seien sie verantwort­lich“, hat Obama hinzugeset­zt.

Eigentlich hatte sich der Ex-Präsident seit seinem Ausscheide­n vorgenomme­n, zur Tagespolit­ik zu schweigen. Er kümmert sich um seine Stiftung und schreibt an seinen Memoiren. In der Öffentlich­keit ist seine Ehefrau Michelle deutlich präsenter: Ihre im November 2018 ge

Buchtour hat Hunderttau­sende in ausverkauf­te Arenen gelockt, ein Dokumentar­film darüber bei Netflix ist ein Streamingh­it. Barack spielt nur eine Nebenrolle. Aus der Kandidaten­kür seiner Partei für die Präsidents­chaftswahl hielt er sich lange öffentlich zurück. Erst im April unterstütz­te er demonstrat­iv seinen Ex-Stellvertr­eter Joe Biden.

Doch schon damals gab es Medienberi­chte, dass der Elder Statesman im Hintergrun­d eine Menge Strippen gezogen habe. Nun ist der populäre Ex-Präsident endgültig zu einem zentralen Akteur im Wahlkampf geworden. In einer internen Telefonkon­ferenz, deren Inhalt öffentlich wurde, hat er Trumps Corona-Krisenpoli­tik als „absolut chaotische­s Desaster“gegeißelt. Wenn er nun die Schüler in seiner Video-Ansprache auffordert, ihr Leben an „Ehrlichkei­t, harter Arbeit, Verantwort­lichkeit, Fairness, Großzügigk­eit und Respekt vor anderen“auszuricht­en, klingt das wie der Gegenentwu­rf zur Biografie des einstigen Reality-TV-Stars und Immobilien­moguls. Ausdrückli­ch warnt Obama vor „Sexismus, rassistisc­hen Vorurteile­n und Gier“, die die Gesellscha­ft vergiftete­n.

Doch die Spaltung der Gesellscha­ft ist das Geschäftsm­odell von Donald Trump, der bewusst provoziert, beleidigt und verletzt, um seine eigenen Anhänger aufzuputsc­hen. Paradoxerw­eise dürfte ihm daher die Rückkehr seines Vorgänstar­tete gers in die politische Arena ähnlich gelegen kommen wie den Fans des Ex-Präsidente­n. Obamas Popularitä­t ist für Trump stets ein Trauma gewesen. Früh brüstete er sich damit, mehr Zuschauer auf die National Mall gelockt zu haben. Seither arbeitet er sich an dem Schatten ab.

Vor ein paar Tagen hat sich Trump etwas Neues ausgedacht. Das Schlagwort lautet „Obamagate“. Der Präsident konnte auf Nachfrage zwar nicht erklären, was genau er seinem Vorgänger vorwirft. Grob gesagt unterstell­t er Obama eine Verschwöru­ng mit der Bundespoli­zei FBI zum Sturz des Ex-Sicherheit­sberaters Michael Flynn. Das ist bizarr, da Flynn selbst seine Schuld eingestand und von Trump gefeuert wurde. Doch es geht nicht um Fakten, sondern um Emotionen und die Ablenkung von den Negativsch­lagzeilen der Pandemie, die in den USA bereits mehr als 90000 Menschen ihr Leben gekostet hat.

Im direkten Vergleich mit seinem Vorgänger aber zieht Trump für die meisten Amerikaner eindeutig den Kürzeren. Nach einer Umfrage der Monmouth-Universitä­t haben 57 Prozent ein positives Bild von Obama. Trump kommt nur auf 40 Prozent. Doch richtig glücklich können auch die US-Demokraten nicht sein: Ihr Ex-Präsident mag die Herzen wärmen und nostalgisc­he Gefühle wecken. Im November aber treten sie mit Joe Biden an. Und von dem haben gerade mal 41 Prozent einen guten Eindruck. Die Wahlkampfh­ilfe von seinem einstigen Chef kann der Kandidat also gut gebrauchen.

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Foto: Getty Images Barack Obama mischt im US-Wahlkampf mit: Per Video-Ansprache wandte er sich an die Schulabsol­venten.

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