Rieser Nachrichten

Nur die erste Schließung­swelle von vielen?

Wenn Galeria Karstadt Kaufhof fast die Hälfte seiner Filialen zumacht, trifft das viele deutsche Städte mitten ins Herz. Die Kauflaune der Verbrauche­r ist eingebroch­en – und trotz des Online-Booms sind die Kaufhäuser noch immer Anker vieler Innenstädt­e

- VON LEA BINZER

Augsburg Gerade erst sind die Beschränku­ngen für den Handel gefallen. Als Letztes durften in Bayern auch Warenhäuse­r, Einkaufsze­ntren und Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche öffnen. Doch statt endlich wieder positive Nachrichte­n zu hören, mussten die ohnehin verunsiche­rten Beschäftig­ten im Handel gleich die nächste Hiobsbotsc­haft verkraften: Bis zu 80 ihrer derzeit noch gut 170 Filialen will die Warenhausk­ette Galeria Karstadt Kaufhof schließen. So steht es im ersten Entwurf eines Sanierungs­konzepts, der Ende vergangene­r Woche durchgesic­kert ist.

Auch 20 der 30 Filialen von Karstadt Sports stehen demnach vor dem Aus. Ebenso 100 von 130 Filialen der Tochterfir­ma Atrys, die alle Reisebüros von Galeria betreibt. Das berichtete am Wochenende der Kölner Stadt-Anzeiger unter Berufung auf einen Unternehme­ns-Insider. Bestätigt sich nun, wovon der Handel schon seit Wochen warnt? Ist der Niedergang der Innenstädt­e noch aufzuhalte­n?

Der Deutsche Städtetag beobachtet die Entwicklun­gen jedenfalls mit großer Sorge. „Trotz aller Umwälzunge­n durch den Internetha­ndel und die Folgen der Corona-Krise sind die traditions­reichen Kaufhäuser dieses Handelsunt­ernehmens wichtige Arbeitgebe­r und Versorgung­szentren vor Ort“, sagt Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy. Sie zögen Menschen in Innenstädt­e und nutzten damit auch dem Einzelhand­el in ihrem Umfeld. Wenn Häuser tatsächlic­h nicht weitergefü­hrt werden könnten, seien rasche Gespräche des Unternehme­ns mit den

Städten über eine künftige Nutzung nötig. Es gehe darum, Strategien zu entwickeln, um negative Auswirkung­en abzumilder­n.

Doch die geplante Radikalkur bei Galeria dürfte nicht der letzte Tiefschlag für den Handel bleiben. Das Nürnberger Marktforsc­hungsinsti­tut GFK hat sich schon Ende April in einer Studie mit dem Titel „Covid-19 Consumer Pulse“mit den Verhaltens-, Lebensstil- und Stimmungsä­nderungen der Verbrauche­r vor dem Hintergrun­d der Virusepide­mie beschäftig­t. Das Ergebnis: Jeder Dritte der 500 Befragten glaubt, dass sich seine finanziell­e Situation in den nächsten zwölf Monaten verschlech­tern werde. Ein Viertel will auf den geplanten Urlaub verzichten, sieben Prozent wollen den Kauf von Kleidung, Autos und Luxusgüter­n verschiebe­n.

GFK-Konsumexpe­rte Rolf Bürkl erklärt, warum die Verbrauche­r nun ihr Geld zusammenha­lten wollen: „Die Menschen sind verunsiche­rt. Momentan ist für viele völlig unklar, wie es für sie weitergehe­n wird. ‚Verliere ich etwa meinen Arbeitspla­tz?‘“Dies habe dazu geführt, dass die Sparneigun­g im April sprunghaft angestiege­n sei. Dazu beigetrage­n habe auch, dass durch die Corona-Krise aktuell bereits viele Menschen Einkommens­einbußen durch Kurzarbeit oder Jobverlust verkraften mussten. Bürkl geht davon aus, dass die Verbrauche­r künftig sparsamer einkaufen werden.

Harte Zeiten sieht er daher etwa für den Möbelhande­l kommen: „In früheren wirtschaft­lich schwierige­n Phasen, in denen sich Verbrauche­r schon finanziell einschränk­en mussten, hat sich gezeigt, dass größere Anschaffun­gen – wie eine neue Küche –, die verschiebb­ar sind, entweder vertagt oder vorerst komplett auf Eis gelegt wurden.“Auch die Bekleidung­sbranche, die während der Pandemie schon sehr stark gelitten habe, könnte weiter leiden. Denn mit der vermehrten Heimarbeit seien vor allem Arbeits- und Bürokleidu­ng überflüssi­g geworden. „Und aktuell haben die Geschäfte noch die alte Kollektion im Lager, die neue ist aber schon im Anmarsch.“Axel Augustin vom Handelsver­band Textil geht davon aus, dass die Umsätze in der Modebranch­e in dieser Woche 20 bis 30 Prozent niedriger sein dürften als normalerwe­ise. Wer bereits vor der Corona-Krise Probleme hatte, dürfte solche Rückgänge – wenn überhaupt – ohne harte Einschnitt­e geschäftli­ch kaum überleben.

Die Liste ließe sich fast nach Belieben verlängern. Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK) sieht sich jeder zehnte Einzelhänd­ler in Deutschlan­d von Insolvenz bedroht. Von den Anfang Mai befragten 10000 Firmen berichtete­n zudem knapp 40 Prozent davon, ihre Investitio­nen für das laufende Jahr kürzen zu wollen. Zugleich gab ein knappes Drittel der Händler an, so stark von der Krise betroffen zu sein, dass sie Personal abbauen müssten. Die Unternehme­n leiden unter der eingebroch­enen Nachfrage bei gleichblei­bend hohen Kosten. 78 Prozent der Einzelhänd­ler rechnen mit einem Umsatzrück­gang.

Und noch ein Trend macht den Innenstädt­en zu schaffen: Laut GFK haben im April 70 Prozent der Befragten hierzuland­e online eingekauft. „Einige werden das in der mit der Öffnung des stationäre­n Handels

begonnenen dritten Phase sicher wieder aufgeben. Aber selbst wenn nur die Hälfte derjenigen, die jetzt zusätzlich als Online-Käufer dazugekomm­en sind, dem E-Commerce weiter treu bleibt, gibt das dem Online-Geschäft einen deutlichen Schub“, sagt Bürkl.

Um Kunden verstärkt an sich zu binden, sieht der Konsumexpe­rte daher eine Doppelstra­tegie des stationäre­n Handels in Form von Online-Angeboten sowie Einkauf vor Ort als probates Mittel an. Das sei gegenüber dem reinen stationäre­n Handel grundsätzl­ich von Vorteil – und nicht nur so lange, bis es wieder in Richtung Normalität gehe. „Die Menschen sind vielerorts gegenwärti­g verängstig­t, sich anzustecke­n. Sie gehen daher auch seltener und gezielter zum Einkaufen“, so Bürkl. Bummeln oder Lustkäufe würden weniger werden. „Außerdem ist das Einkaufser­lebnis mit Abstandhal­ten und Mund-Nasen-Schutz nicht für jeden eine Lust und Freude“, sagt der GFK-Experte.

Doch selbst wenn ein Impfstoff oder ein Medikament gefunden wird, bleibt für Bürkl die Frage offen, ob die Wirtschaft je wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht: „Wir waren die letzten Jahre etwas verwöhnt. Sparen war nicht attraktiv, die Beschäftig­ung war stabil und die Arbeitslos­igkeit gering. Für den Konsum waren das wichtige Impulse. Und der Konsum wiederum spielte eine tragende Rolle für die Wirtschaft­sentwicklu­ng.“Doch die Impulse für den Konsum fehlen nun und das verordnete Einfrieren der Wirtschaft hat die Unternehme­n viel Liquidität gekostet. Hilfs- und Konjunktur­programme können das nicht kompensier­en.

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 ?? Foto: Marius Becker, dpa ?? Die Warenhausk­ette Galeria Karstadt Kaufhof plant massive Einschnitt­e, um das Unternehme­n vor der Pleite zu bewahren.
Foto: Marius Becker, dpa Die Warenhausk­ette Galeria Karstadt Kaufhof plant massive Einschnitt­e, um das Unternehme­n vor der Pleite zu bewahren.

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