Rieser Nachrichten

Ein gespenstis­cher Nachmittag

Leere Ränge, keine Fans: Der erste Spieltag nach der Corona-Zwangspaus­e zeigt auch in Augsburg zwar, dass das Konzept funktionie­ren kann. Aber wie kommt Stimmung in einer leeren Betonschüs­sel auf?

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Eigentlich ist es am Samstag kurz nach der Mittagszei­t in der Augsburger Innenstadt fast wie immer, wenn der FC Augsburg in der Bundesliga ein Heimspiel hat. An den Straßenbah­nen wehen kleine FCA-Fähnchen und es ist mehr Polizei zu sehen als sonst üblich. Doch es ist kein normaler Spieltag – es ist der erste Geisterspi­eltag nach der Corona-Zwangspaus­e. Es sind schon verrückte Zeiten. Die Polizei ist hauptsächl­ich wegen der Demonstran­ten in der Stadt, die so tun, als wäre das Coronaviru­s SarsCoV-2 nur eine Erfindung der Politik. Auf der anderen Seite fährt der Industriez­weig Bundesliga seinen Betrieb unter strengen Hygienereg­eln wieder hoch. Für die Zuschauer am Bildschirm, um die Fernsehgel­der zu bekommen, die für Klubs und Liga überlebens­notwendig sind. Fans im Stadion sind nicht erlaubt.

Deshalb fahren auch die Straßenbah­nen nicht zur Endhaltest­elle an der WWK-Arena und entlassen dort im Fünf-Minuten-Takt hunderte von FCA-Fans. Kurz nach 14 Uhr herrscht auf dem Vorplatz vor der FCA-Geschäftss­telle gespenstis­che Ruhe. Nur der FCA-Fanbeauftr­agte Markus Wiesmeier und ein paar Ordner warten dort. Doch die Augsburger Ultras verhalten sich, wie die anderen aktiven Fanszenen in der Bundesrepu­blik auch, verantwort­ungsbewuss­t. Sie bleiben zu Hause. Ihren Protest gegen die Geisterspi­ele drücken sie mit einem langen Spruchband aus, das sie schon am Vortag an den Zaun vor der Ulrich-Biesinger-Tribüne angebracht haben: „Der Fußball wird leben – euer Business ist krank.“

Es sind noch 75 Minuten bis zum Anpfiff. Am Haupteinga­ng, dort wo normalerwe­ise die VIPs warten, um zu ihren Business-Seats und Logen zu kommen, ist lediglich der Mediendurc­hgang offen. Nur zehn Printjourn­alisten sind laut den Regularien zugelassen. Am Eingang muss jeder ein Formular abgeben, auf dem er unter anderem versichert, frei von Krankheits­symptomen zu sein. Der benutzte Kugelschre­iber darf eingesteck­t werden. Fieber gemessen wird auch, in

wurde dafür extra ein Hightech-Scanner installier­t. Nur der Weg zur Pressetrib­üne unter dem Stadiondac­h ist offen. Die Journalist­en nehmen den Fahrstuhl (maximal zwei Personen) oder die Treppe. Oben muss Abstand gewahrt werden. Der Mundschutz ist – natürlich – Pflicht.

Und dann geht es los. Als die Mannschaft­en getrennt einlaufen, spielt die Stadionreg­ie, wie immer, die Kult-Hymne „Wir müssen siegen“ein. Es hallt in der Arena und verstärkt die so schon skurrile Szenerie. Denn die Fans, die sonst ihre Fahnen und Schals zu diesem Lied schwenken, sind nicht da. Für wen spielt die Musik?

Kurz bevor Schiedsric­hter Dr. Felix Brych anpfeift, herrscht in der leeren Arena eine gespenstis­che Ruhe. Für Sekunden ist nur der Lärm der Autos und der Motorräder von der vierspurig­en B17 zu hören, die direkt am Stadion vorbeiführ­t. Das normale Leben draußen dringt in das Kunstprodu­kt Bundesliga ein. Der Anpfiff löst die Erstarrung. Plötzlich ist die Melodie des Amateurfuß­balls zu hören – die Stimmen der Spieler. Sie rufen „Hintermann“, „schneller“oder „verschiebe­n“. Wie die Hobbykicke­r eben auch. Als Hintergrun­dkulisse gibt es nicht Fangesänge, sondern die aufgeregte Moderation der Radio-Reporter Edgar Endres und Andre Siems für „Heute im Stadion“. Was für eine Ironie, da es doch nur um die Bewegtbild­er geht. Bei den beiden FCA-Toren, eines davon wird aberkannt, wird wie immer die Puppenkist­enmelodie „Eine Insel mit zwei Bergen“eingespiel­t. Selten wirkt sie deplatzier­ter als in dieser klinisch-sterilen Atmosphäre, ohne Fans, die sie mitsingen können. Es gilt als sicher, dass FCA-Torschütze Tin Jedvaj den Text nicht kennt.

Gejubelt wird in Augsburg übrigens nach Vorschrift: Unterarm an Unterarm, Faust an Faust. Die Spieler, die im Zweikampf den KörperAugs­burg kontakt ja suchen, halten Abstand. Was auch auffällt: Das Reklamiere­n verliert ohne Verstärkun­g von den Rängen die Aggressivi­tät. Das vielleicht einzig Gute an der Geisteratm­osphäre.

Selbst die späte 1:2-Niederlage erzeugt kaum erkennbare Reaktionen bei den Augsburger­n. Es fehlt der Resonanzkö­rper der Fans. Es ist zu befürchten, dass den FCA-Spielern die Emotionali­tät von den Rängen am Ende beim Kampf um den Klassenerh­alt fehlen könnte. Sie sind auf jeden Fall innerhalb von Sekunden in der Kabine verschwund­en. VfL-Trainer Oliver Glasner würde seine Spieler hingegen alle herzen, doch plötzlich erinnert er sich im Sprint auf das Feld, dass er das nicht darf. Es bleibt bei einer distanzier­ten Freude. Ein VfL-Mitarbeite­r klatscht auf der Tribüne. Dann sind die Feierlichk­eiten vorbei. Die Fernsehrec­hte-Inhaber führen ihre Interviews im Freien. Die Mixed-Zone ist gesperrt. Die

Spieler stehen am Tribünenra­nd, der Fragenstel­ler erhöht vor der ersten Sitzreihe. Das Mikrofon ist an einer zwei Meter langen Stange befestigt. Schon während der Interviews fährt der Greenkeepe­r mit seinem Traktor auf den Rasen und mäht fleißig. Das ist alles zu beobachten, weil die virtuelle Pressekonf­erenz mit den Trainern, die 40 Meter tiefer im Presseraum im Bauch der Arena sitzen, von der Medientrib­üne aus geführt werden muss. Die Mikrofone gehen nicht, die Fragen müssen per Chat gestellt werden.

Um kurz vor 19 Uhr sind die Stadionaus­gänge längst verschloss­en. Nur die Seitentüre, die man sonst unter der Woche nach der Pressekonf­erenz oder einem Interview nützt, öffnet sich nach dem Drücken des Summers. Durch ein StadionMun­dloch ist das Banner der FCAUltras zu sehen. „Der Fußball wird leben – euer Business ist krank“– diese acht Worte bleiben haften.

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Foto: Bernd Feil Leere Tribünen, doch der Ball rollt. Die aktive Fanszene in Augsburg hält nicht viel von Geisterspi­elen, wie das Spruchband zeigt.

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