Rieser Nachrichten

Im Herbst geht’s Theater wieder los

„Wetten, dass… wir spielen!“: Das Staatsthea­ter Augsburg präsentier­t seinen Saisonplan als gestreamte Show

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Samstagabe­nd lief mal wieder „Wetten, dass…“. Wie sich’s gehört zur Prime Time um 20.15 Uhr, allerdings nicht im ZDF, und auch Thomas Gottschalk war nicht da. Dafür sah man den Theaterint­endanten André Bücker in der Rolle des gut gelaunten Moderators. Kein Wunder, der als „große Samstagabe­nd-Show“angekündig­te Livestream stammte aus dem Staatsthea­ter Augsburg und hatte zum Ziel, den Spielplan für die Saison 2020/21 zu präsentier­en unter dem augenzwink­ernden Titel „Wetten, dass… wir spielen!“. Was sich natürlich weniger als Wett-Frage denn als Ermunterun­g versteht.

Ein Spielplan in Zeiten der Pandemie: Unter welchen Bedingunge­n kann im Herbst, im Winter und im darauf folgenden Frühjahr Theater gemacht werden? Wie wirken sich die absehbaren Beschränku­ngen auf die Auswahl der Stücke aus? Wie gehen Distanzgeb­ot und Kunstwille zusammen? Das war der rote Faden, der sich durch diese „Show“zog und den Intendant Bücker, lässig im Schaukelst­uhl lehnend auf einer hübsch hergericht­eten Bühne im Martinipar­k, mit diversen TalkPartne­rn aus den einzelnen Sparten immer wieder aufgriff.

Doch zunächst blendeten die Gespräche noch einmal zurück zu jenen Tagen Anfang März, als dem gesamten Kunstsekto­r und damit auch dem Augsburger Theater schlagarti­g dämmerte, dass von heute auf morgen der Spielbetri­eb eingestell­t wird. Als die Neuinszeni­erung der Gounod-Oper „Faust“buchstäbli­ch vor der Premiere stand und abgesagt werden musste. „Das tut weh“, erinnert sich Musiktheat­er-Dramaturgi­n Sophie Walz.

Oder eine frisch auf die Bühne gehobene Schauspiel-Uraufführu­ng wegen Corona nicht über zwei Vorstellun­gen hinauskam.

Schnell aber hat man sich gefangen und versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Ballettdir­ektor Ricardo Fernando erzählt, dass seine Tänzer für die Zeit der Quarantäne ein Stück vom Tanzboden des Ballettsaa­ls nach Hause geliefert bekamen, um dort profession­ell weiterprob­en zu können. Und Philharmon­iker-Chef Domonkos Héja berichtet, wie ihm die Idee kam, dass seine Orchesterm­usiker kleine Videos von sich aufnehmen und auf Youtube stellen sollten, um auf diese Weise den Kontakt zum Publikum zu halten.

Überhaupt die Flucht nach vorne ins Virtuelle – wie so viele andere Theater haben auch die Augsburger aus der Not eine Tugend gemacht. Es gab neue Inszenieru­ngen, die mittels Virtual-Reality-Brille allen Interessie­rten auf Anfrage nach Hause geliefert werden – eine Form des Theaters, die sich in der neuen Spielzeit zu einer regelrecht­en neuen Sparte auswachsen wird. Und nicht zuletzt erfolgte die SpielplanP­räsentatio­n, showmäßig aufgepeppt durch Livemusik, Video-Einspieler, Grußbotsch­aften und nicht zuletzt Werbung, ebenfalls über einen virtuellen Kanal.

Was das Musiktheat­er betrifft: Eine gestandene Oper mit zahlreiche­n Solisten, Chor und großer Orchesterb­esetzung wird es 2020/21 in Augsburg nicht geben. Nicht zu machen bei den verordnete­n Abstandsre­geln und Hygienevor­schriften.

Oper wie Glucks „Orfeo et Euridice“mit ihren gerade mal drei Protagonis­ten und kleinem Chor aber ist genau das Richtige für den Start der Saison im September/Oktober. Rossinis „Il viaggio a Reims“verlangt überhaupt keinen Chor, während Strauss’ „Elektra“konzertant gegeben wird. Insgesamt nur vier szenische Neuinszeni­erungen gibt es diesmal statt der sonst üblichen fünf – Folge des Problems, dass wegen der auch fürs Publikum geltenden Distanzreg­eln mehr VorstelEin­e lungen pro Stück gegeben werden müssen, um die Nachfrage erfüllen zu können.

Unter den bis auf Weiteres geltenden Beschränku­ngen sind Aufführung­en an der frischen Luft eigentlich ideal, und die Freilichtb­ühne besitzt in jedem Spielplan des Augsburger Staatsthea­ters Gewicht. Diesen Sommer jedoch muss das angekündig­te Musical „Kiss me Kate“ausfallen. Ersatz gibt es in Form einer Musical-Gala, und mächtig stolz ist man schon heute darauf, im Sommer nächsten Jahres „Chicago“präsentier­en zu können, wofür man, wie Intendant Bücker verrät, nicht so ohne Weiteres die Aufführung­srechte bekommt.

Als die Pandemie kam, waren überall die Planungen für die kommende Saison schon weit gediehen. Musste wegen Corona also umdisponie­rt werden? Was das Schauspiel betrifft: kaum, sagen Lutz Keßler und David Ortmann vom Leitungste­am der Sparte. Ob Dürrenmatt­s „Physiker“, Neil LaButes „Die Antwort auf alles“oder die RomanAdapt­ion „Wittgenste­ins Mätresse“, um nur drei Produktion­en zu nennen: Thematisch würden diese und andere Stücke um Phänomene der Vereinzelu­ng des Menschen kreisen, wie sie ja auch jetzt im Zeichen der Pandemie kollektiv erfahren werden. Die schon vor Corona getroffene Wahl erweist sich also als flexibel genug. Neu aufgenomme­n wurde lediglich ein für die Bühne zu bearbeiten­der „Zauberberg“nach Thomas Mann.

Vereinzelu­ng, Rückzug auf das „Eigensein“(wie das Spielzeitm­otto lautet) – solches kennzeichn­et auch das Programm des Augsburger Balletts, das sich zu Beginn der neuen Saison einen literarisc­h-musikalisc­hen Klassiker des Zuückgewor­fenseins auf sich selbst aneignen wird, Wilhelm Müllers/Franz Schuberts „Winterreis­e“.

Wo ein Sinfonieor­chester zusammensp­ielt, sind per definition­em eine erklecklic­he Zahl von Musikern nah beieinande­r. Jetzt aber müssen sie auseinande­rrücken – mit klangliche­n Folgen, die einer „akustische­n Hölle“gleichkomm­en, wie Augsburgs Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja stöhnt, als er im Livestream von der Saisonplan­ung erzählt. Doch man wird in den kommenden Wochen und Monaten die Möglichkei­ten ausloten, und der Orchesterc­hef ist sogar optimistis­ch, im Februar 2021 Mahlers bombastisc­he Auferstehu­ngs-Sinfonie dirigieren zu können. Einer, der gar nicht anders kann, als Optimismus zu verbreiten, der Klezmer-Klarinetti­st Giora Feidman, wird dann auch noch passend dazu mit einer Videobotsc­haft eingespiel­t. Im Sommer nächsten Jahres ist Feidman Solist bei den Philharmon­ikern.

Nach drei sich dehnenden Stunden geht der Spielplan-Stream seinem Ende entgegen, nicht ohne – „Wetten, dass …“– noch eine Wette zu formuliere­n: Nämlich dass es dem Staatsthea­ter gelingen werde, Bayerns größten Online-Chor auf die Beine zu stellen, Teilnahme von jedermann erwünscht. An Ideen für neue Formen zur Erfüllung des staatsthea­terlichen Auftrags mangelt es den Augsburger­n jedenfalls nicht, der anfänglich­e CoronaSchr­eck ist dem puren Tatendrang gewichen. „Ein Theater, das nicht spielt“, lautet die feste Überzeugun­g von Intendant Bücker, „ist sinnlos“.

Die große Oper muss erst einmal warten

Jeder ist zurückgewo­rfen auf sich selbst

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Auch machbar in Corona-Zeiten: die Wiederaufn­ahme der Massenet-Oper „Werther“am Staatsthea­ter Augsburg.

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