Neue Wege im Unterricht
Das Coronavirus überraschte jeden, auch die Schulen. Marga Riedelsheimer ist Rektorin der Mittelschule Nördlingen. Die Einrichtung hat Wege gefunden, mit der Krise umzugehen. Und doch gibt es Kinder, die sich ausklinken
Das Coronavirus überraschte auch die Schulen. Die Mittelschule Nördlingen habe einen Weg gefunden, mit der Krise umzugehen, berichtet die Rektorin.
Frau Riedelsheimer, nach sechswöchiger Zwangspause haben die Abschlussklassen seit dem 27. April wieder Präsenzunterricht. Wie ist die Stimmung? Marga Riedelsheimer: Die Schüler sind froh, wieder da zu sein. Für uns als Kollegium ist aber die gewaltige Organisation schwierig.
Wie läuft die ab?
Riedelsheimer: Wir mussten die Klassen in Gruppen aufteilen. Je mehr Schüler jetzt nachkommen, umso schwieriger wird das. Außerdem mussten wir ein Hygienekonzept erstellen, mit Beschilderungen, Desinfektionsspendern, die Tische müssen jetzt mindestens 1,60 Meter auseinander sein. Lehrer überwachen die Ein- und Ausgänge. Alle Stundenpläne mussten neu gestaltet werden.
Halten sich die Schüler an diese Regeln?
Riedelsheimer: Am Anfang hatten einzelne Schüler keine Masken. Wir haben dann Reserven angeschafft. Inzwischen müssen Schüler zumindest im Klassenzimmer keine Masken mehr tragen. Im Grunde sind alle sehr diszipliniert. Sie wissen, dass sie nach Hause geschickt werden, sollten sie sich nicht an die Regeln halten.
Hygieneregeln, Termindruck: An anderen Schulen wurden Stimmen laut, die Weisungen des Kultusministeriums seien teils unklar und verspätet gekommen.
Riedelsheimer: Ja, die Anweisungen kamen sehr knapp. Und es gibt ja ständig Änderungen. Wir haben immer sehr lange warten müssen, um vom Kultusministerium schriftlich zu bekommen, welche Klassen tatsächlich wieder in die Schule gehen dürfen und wie der Unterricht zu erfolgen hat. Für uns in der Planung gibt es viele „was wäre wenn“-Situationen. Stundenpläne erstellen, Busse organisieren, Unterricht daheim, da hängt ja viel dran. Es ist mit viel Aufwand verbunden, allen Vorgaben gerecht zu werden. Das Kultusministerium geht davon aus, dass alles immer sofort läuft. Oft müssen die Schulen Kopfstände machen und sich dahinterklemmen, damit der digitale Unterricht gut funktioniert.
Wie wird aktuell unterrichtet an Ihrer Schule?
Riedelsheimer:
Wir haben Teams, das ist ein sehr gutes ComputerProgramm für den Online-Unterricht. Die Lehrer unterrichten inzwischen eine Hälfte der Klasse vor Ort. Die anderen Schüler sind teils live über das Internet zugeschaltet. Über eine Kamera können sie Lehrer und Tafel sehen. Was die Ausstattung betrifft, sind wir echt top und waren das auch schon vor der Krise. Jetzt nutzen wir die Technik aber auch optimal. Als deutlich wurde, dass die Krise andauert, haben wir schnell beschlossen: Wir müssen unsere Möglichkeiten komplett ausschöpfen. Bis zu den Sommerferien nur Mails zu verschicken, das war uns zu wenig.
In der Mittelschule Nördlingen gab es also keinen digitalen Kaltstart? Hatten Sie keine Startschwierigkeiten? Riedelsheimer: Klar ist das eine neue Situation gewesen. Einige Kollegen und ich haben beinahe die gesamten Osterferien durchgearbeitet, um ein stimmiges Konzept für den digitalen Unterricht präsentieren zu können. Ich finde aber, in einer solchen Ausnahmesituation ist es in Ordnung, auch einmal etwas mehr Zeit zu investieren.
Experten warnen, durch den Unterricht
daheim könnten Schüler – vornehmlich aus sozial schwachen Familien – vom Radar der Pädagogen verschwinden. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Riedelsheimer: Am Anfang war das sicher so. Hier geht es nicht um die fleißigen Schüler. Für jene, die sich schon vorher gerne aus dem Unterricht ausgeklinkt haben, ist der Unterricht von zu Hause eine Möglichkeit, sich noch mehr auszuklinken. Wir machen unser Online-Angebot für 100 Prozent der Schüler. Wenn aber eine Familie, ein Elternteil, ein Kind einfach alles tut, um sich auszuklinken, dann muss ich das nach vielen Versuchen eben akzeptieren. Das erlebt jede Schule. Aber es ist die Ausnahme. Der Großteil unserer Schüler und Eltern nimmt das Angebot zum digitalen Lernen super an.
Mitte Juni gehen die Abschlussprüfungen
los. Sind Ihre Schüler gut vorbereitet?
Riedelsheimer: Sie werden in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch keine Defizite haben. Aber: Durch die lange Pause könnte die Motivation mancher Schüler wohl etwas nach unten gegangen sein.
Bei aller Krise, können Sie der Situation auch etwas Gutes abgewinnen? Riedelsheimer: Definitiv. Ich glaube zwar, Eltern, Schüler und Lehrer sind sich einig darüber, dass Präsenzunterricht das Mittel der Wahl ist. Aber was sicher ganz positiv ist, dass wir uns in sehr kurzer Zeit digital weitergebildet haben. Die Krise hat die Digitalisierung beschleunigt. Es war auch Sinn dieses Systems, keine „Eintagsfliege“zu erschaffen. Wir wollen auch in Zukunft den digitalen Weg beschreiten.
Interview: David Holzapfel