Erinnerungen an Verunglückte
Marterl sind in der Rieser Flur immer wieder zu sehen. Was dahinter steckt
Ries Marterl sind Male der Erinnerung an einen Toten, der durch einen Unglücksfall sein Leben einbüßte. Ähnlich den Sühnekreuzen wurden die Marterl an oder in der Nähe der Unglücksstelle aufgestellt und sollten alle Vorübergehenden auffordern, für den Verstorbenen zu beten. Besonders im süddeutschen Gebiet sind Marterl verbreitet und je nach Region verschieden ausgebildet. In Franken beispielsweise herrschen schlanke, steinerne Bildsäulen vor, im Bayerischen Wald sind es schmale, bemalte Holzbretter. Man nennt sie auch „Totenbretter“. Bei uns in Schwaben, insbesondere im Ries, scheint es keine Norm gegeben zu haben: Hier kommen geschnitzte Holzsäulen genauso vor wie schmiedeeiserne Kreuze oder gemeißelte „Grab“-Steine. Auch einfache Holztafeln erinnern bisweilen an einen Verunglückten. Viele dieser Marterl sind inzwischen nicht mehr aufzufinden und nur noch im Gedächtnis älterer Leute verhaftet, wie beispielsweise der beschriftete Stein, der für den „Feil’s Hartl“gesetzt wurde, der am 16. August 1907 „im Luckenhof in Schneida“auf Lehminger Flur zusammen mit einer Kuh von einem Blitz erschlagen worden war.
Auch der Gedenkstein auf dem Nagelbuck für den kleinen Michael Mertenbauer aus Ehingen, den ein scheu gewordenes Pferd 1920 zu Tode trampelte, verschwand wohl Ende des 20. Jahrhunderts beim Bau der Umgehungsstraße Oettingen – Fremdingen.
Eine ganz neue Art von „Marterl“existiert seit einigen Jahrzehnten an unseren Landstraßen. Den vielen Verkehrstoten werden von den Angehörigen kleine Kreuze am Unglücksort gesetzt, teils aus Holz, teils aus Metall, mit frischen Blumensträußen versehen, manchmal aber auch geschmückt und bepflanzt wie ein kleines Grab.
● Flugzeugabsturzstelle „Rauhe Wanne“: Weithin sichtbar steht seit 1969 auf dem höchsten Punkt unseres Landkreises, auf der 615 Meter hohen „Rauhen Wanne“bei Bollstadt, ein 124 Meter hoher Fernmeldeturm, der seinerzeit für die Übertragung der Olympischen Spiele in München (1972) in Betrieb genommen worden war. Ein etwa 48 Meter hoher hölzerner Vorgängerturm aus der Vorkriegszeit, vormals ganz in der Nähe, wurde in den Vormittagsstunden des 29. April 1939 einer siebenköpfigen Flugzeugbesatzung zum Verhängnis. Zwei Besatzungsmitglieder überlebten den Absturz schwer verletzt, fünf kamen ums Leben. Einer von diesen Toten war Hans Dörzbacher aus Bollstadt. Er war verlobt und wollte seine schwangere Braut Marie in Kürze heiraten. Nach den Schilderungen seiner Mutter hatte Hans den Beruf des Schlossers in einem Ansbacher Metallbetrieb gelernt und ging nach seiner Lehre als Bordmechaniker zur Luftwaffe. Dort musste er als Luftwaffenoffizier nach Reparaturen oder Instandsetzungen der jeweiligen Flugzeuge mitfliegen, um bei einer eventuellen Störung dabei sein zu können. Er war immer der Meinung, dass die JU 52 auch mit nur zwei Motoren oder auch noch mit nur einem Motor stets zuverlässig fliegen und landen könnte, falls die Triebwerke einmal versagen würden. Leider haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Beim Absturz überlebten zwei Kameraden mit Knochenbrüchen und Verbrennungen, indem sie kurz vor dem Absturz aus einem Schacht im unteren Bereich der JU in den Wald springen konnten.
„Der Tag des Absturzes war ein schwarzer Tag für die ganze Familie, vor allem für Marie, die von Hans ein Kind erwartete. Deren Sohn wurde im Oktober 1939 in Ansbach geboren. Marie wollte nachträglich mit Hans verheiratet werden, was aber nicht möglich war, da Hans nicht im Krieg gefallen, sondern bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.“So nahm die Enkelin Luise Müller zum Unglück Stellung. „Meine Oma Marie P. starb im April 2004 an Alzheimer Demenz. Ich besuche ab und zu die Unglücksstelle.“
Die Enkelin berichtete weiter: „Eine dreimotorige Junkers Maschine JU 52, solche sind übrigens heute noch in der Schweiz im Einsatz, war am 29. April 1939 auf dem Flug von Ansbach nach Gablingen. Bei dichtem Nebel am Vormittag streifte die Maschine wegen eines Defektes am Höhenmesser die Baumwipfel und raste mitten durch den hölzernen Aussichtsturm, der zur Landesvermessung diente. Das Flugzeug ging in Flammen auf und der Turm brannte an, ohne aber einzustürzen. Zwei Offiziere und drei Unteroffiziere fanden dabei den Tod, der Funker und der Pilot überlebten schwer verletzt. Die Wrackteile lagen weit verstreut in den Wäldern um Bollstadt und Hohenaltheim.
Der Arzt aus Amerdingen und die Freiwillige Feuerwehr Bollstadt waren als erste am Einsatzort. Es führte kein Weg zum Unglücksort. Deshalb wurden die Verletzten nach Bollstadt in die Poststelle getragen und von dort in das Krankenhaus weitertransportiert. Die Freiwillige Feuerwehr Bollstadt stellte auch für zwei Tage die Wachmannschaft. Die nächsten Tage landete dann auf einer Wiese nahe der Unglücksstelle ebenfalls eine JU 52 mit weiteren Offizieren. Beim Ausrollen sank die Maschine immer weiter in dem weichen Boden ein.
Für die Menschen aus den umliegenden Gemeinden war das natürlich sehenswert. Mit einem Wagenseil und Ketten versuchten annähernd 200 Leute, das versunkene Flugzeug herauszuziehen, das Seil riss und die ganze Horde fiel zu Boden. Nachdem mehrmals geknüpft und angestückelt worden war, schafften es die Leute doch noch, das Flugzeug herauszuziehen, und es konnte später auch wieder starten. Die zwei Verletzten aus dem Raum Augsburg kamen dann nochmals nach fünf Wochen mit noch verbundenen Wunden zur Unfallstelle zurück, um sich ein Bild von dem Schreckensort zu machen.“
Ein Gedenkkreuz beim Fernmeldeturm erinnert noch heute an den Flugzeugabsturz, bei dem vor gut 80 Jahren zwei Offiziere und drei Unteroffiziere starben.
● Zum Tod von Anton Eisenbarth:
Bei Eitersberg am Waldrand steht eine gearbeitete und bemalte Holzsäule, die in Wort und Bild an den Tod des Anton Eisenbarth erinnert, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts an dieser Stelle von einem Baum gestürzt war und sich dabei das Genick gebrochen hatte.
Seinerzeit war es üblich, dass insbesondere kleinere Bauern und Söldner im Wald zusätzliches Futter für ihre Tiere holten oder ihre Rinder-, Schaf- und Ziegenherden, im Herbst sogar ihre Schweine zur Mast gleich in den Laubwald trieben. Das Wort „hard“(= Herde) erinnert noch daran (Pagenhard, Freihardt, Steinhart, Sachsenhart, Schlittenhart, Hartschuster, und viele mehr).
Anton Eisenbarth war an einem Sonntag dabei, für seine Tiere mit einem Stock Eicheln von einer mächtigen Eiche zu schlagen, als er wohl einen Fehltritt machte und zu Tode stürzte. Im Dorf wurde erzählt, dass dies die gerechte Strafe Gottes war für die Verletzung des Sonntagsgebotes.
Xaver Ernst aus Hochstadt errichtete an dieser Stelle im Jahr 1956 ein neues Marterl, das vom Hausener Pfarrer Anton Moser gemalt worden war, mit dem vom Baum stürzenden Burschen und dem Text: „Ein Memento dem verunglückten Anton Eisenbarth - R.I.P. gestiftet: Ernst“. Inzwischen erinnert ein kleines Metalltäfelchen an die letzte Renovierung des Marterls durch den Naturschutzverein Seglohe im Jahr 1993. Info: In einem kleinen Büchlein hat im Jahr 2004 Kreisheimatpfleger Herbert Dettweiler 21 solcher Mahnmale zusammengetragen und für die Nachwelt erhalten. Es ist wie schon das über die „Steinkreuze und Kreuzsteine im Ries“(Bd. 1) und das über „Alte Grenzsteine im Ries“(Bd. 2) im Taschenbuchformat gedruckt worden, damit man vor Ort nachlesen kann, was die Marterl zu „erzählen“haben.