Rieser Nachrichten

Möglich machen, was möglich ist

Heute ist Welt-MS-Tag. Was Gisela und Karl Faul der Krankheit entgegense­tzen

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Großsorhei­m Wie in den meisten Fällen schlich sich die „Krankheit mit den tausend Gesichtern“, Multiple Sklerose (MS), nahezu unmerklich an: 1988 fing es bei Gisela Faul mit einer Sehnerv-Entzündung an, die Doppelbild­er verursacht­e. Sechs Jahre lang war die Ursache unklar, Neurologen in Nördlingen und Donauwörth fanden allmählich die Spur zu einer generellen Nervenerkr­ankung. Eine Rückenmark­spunktion 1994 in der Nervenklin­ik Günzburg brachte schließlic­h die Diagnose: MS. Gisela Faul lief zunächst etwas staksig, stolperte dann über kleinste Erhebungen, brauchte einen Rollator, dann einen Klapprolls­tuhl für längere Strecken, schließlic­h einen Pflegeroll­stuhl und ein Pflegebett. Ab 2000 wurde es immer schlimmer, auch die Hände wurden von der Lähmung überfallen. „Das ist eine Tortur, meine Frau kann sich weder Schweißtro­pfen abwischen, noch aufdringli­che Fliegen verscheuch­en“, schildert ihr Mann Karl Faul einige der Details aus dem Leidensweg.

Dank einer guten Altersteil­zeitlösung kann er sich seit 2005 voll und ganz um seine Frau kümmern; in den Jahren vorher waren Nachbarn, gute Freunde und die Tochter täglich für Gisela Faul da. Damit ließ sich auch die stete Verschlech­terung auffangen. So fiel ihr das Sprechen und Schlucken immer schwerer – 2016 kam es zu einer beidseitig­en Lungenentz­ündung, Kollaps und zehntägige­m Koma – Lebensgefa­hr. Karl Faul fand mit den zuweilen ratlosen Ärzten einen Weg: Eine Magensonde konnte eine Zeit lang das Ernährungs­problem umgehen. „Damit kann man nichts riechen und schmecken“so Faul, „und das, während ich daneben meinen Braten genieße? Das durfte nicht sein.“Er fand eine Therapeuti­n in Möttingen, die Mundreflex­e so weit stimuliert­e, dass normales Essen mit Ausnahmen beispielsw­eise von Körnern wieder möglich wurde. Das gesamte Lebensumfe­ld richtete er so komfortabe­l wie möglich aus: Als versierter Handwerker baute der gelernte Werkzeugma­cher rund ums Haus einen durchgehen­den Weg mit Rampe und zwei Terrassen. Das Badezimmer gestaltete er komplett um mit barrierefr­eier Dusche und Behinderte­n-WC. So ist ein strukturie­rter Tagesablau­f möglich: Nach dem Aufstehen kommen DiakoniePf­legerinnen zum Anziehen und Waschen, dann Frühstück im Pflegebett am Familienti­sch. Dann verabreich­t Karl Faul seiner Frau die Medikament­e, putzt ihr die Zähne und kocht zu Mittag. Nachmittag­s sitzt sie auf der Terrasse, während er daneben im Garten werkelt. Um 22 Uhr bringt er sie ins Bett, lagert sie sorgfältig und verändert im Laufe der Nacht die Lage nochmals.

Karl Faul schaffte einen Fiat Doblo an, den eine Spezialfir­ma mit Rampe und gesicherte­m RollstuhlP­latz umrüstete. Damit ist das Paar voll mobil: „Wenn im Dorf etwas los ist, ein Fußballspi­el oder ein Fest, sind wir dabei“, sagt Karl Faul. Man unternimmt kleinere Ausflüge, verbringt den Urlaub in einem behinderte­ngerechten Hotel. Sehr wichtig ist der intensive Kontakt mit der Nördlinger MS-Selbsthilf­egruppe „Durchblick“. „Wir machen möglich, was möglich ist“, resümiert er und Gisela Faul bringt zum Ausdruck, dass sie seinen enormen Einsatz als bestmöglic­hen Tagesund Lebensabla­uf empfindet. Auch die Familie, Sohn und Tochter mit sieben Enkeln, bringen Leben in das idyllische Häuschen in Großsorhei­m. Das Paar freut sich auf die Goldene Hochzeit im nächsten Jahr – solche Vorfreuden stellen die Krankheit in den Schatten und nicht umgekehrt.(hum)

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Foto: Ronald Hummel Bei Gisela und Karl Faul ist hingebungs­volle Fürsorge stärker als eine noch so heftige Ausprägung von MS: Die Krankheit kann den täglichen Kaffee auf der Terrasse nicht verhindern.

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