Die zweite Welle
Wir alle befinden uns seit Beginn der Corona-Krise unter verstärkter Beobachtung. Immer mehr Forscher interessieren sich für unser Verhalten. Schon werden uns die statistisch erhärteten Ergebnisse einer ersten Bilanz um die Ohren gehauen: Da wir uns in der wochenlangen häuslichen Einsamkeit ständig mit Leckerbissen getröstet haben, sind wir in der Isolation dicker geworden. Tatenlos, so lautet ein weiterer Vorwurf, haben wir zugesehen, wie unsere Kinder und Enkel nicht mehr auf die verbotenen Sportplätze, sondern in die reich gefüllten Speisekammern stürmten.
Die Gewichtszunahme der Bevölkerung ist noch nicht abschließend berechnet. Das ist verständlich. Denn zunächst muss abgewartet werden, wie wir mit den gehamsterten und eingelagerten Speisevorräten umgehen. Sollten wir uns verpflichtet fühlen, alle gehorteten Nudeln vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums zu verzehren, muss mit einer zweiten Welle der Verdickung gerechnet werden. Dann können wir uns ein Beispiel an Goethe nehmen. Im Jahre 1798 verriet der Dichter in einem Brief an Johann Christian Kestner seine Methode, die Gewichtszunahme zu kontrollieren: „Was das äußere betrifft, so sagen die Leute, ich sey … dick geworden. Ich lege Euch eine Schnur bey, als das Maß meines Umfangs, damit Ihr messen könnt, ob ich mich von dieser Seite besser gehalten habe als Ihr, denn sonst waren wir ziemlich von einerley Taille.“