„Niemand kommt als Rassist zur Welt“
Der Experte für Vorurteilsforschung Wolfgang Benz stellt im Rahmen der Interkulturellen Woche sein neues Buch vor
Nördlingen Professor Wolfgang Benz gilt als einer der renommiertesten deutschen Zeithistoriker und als Experte der Vorurteilsforschung. Er leitete in Berlin das Zentrum für Antisemitismusforschung, einer weltweit einmaligen Einrichtung. Benz hat biografische Wurzeln in der Region, geboren wurde der heute 79-Jährige in Ellwangen an der Jagst. Im Rahmen der Interkulturellen Woche hat er am Dienstag im evangelischen Gemeindezentrum St. Georg in Nördlingen sein Buch „Vom Vorurteil zur Gewalt“vorgestellt.
Veranstalter waren das Evangelische Bildungswerk Donau-Ries, die Stadtbibliothek Nördlingen und Bücher Lehmann.
Benz geht in seinem Buch der Frage nach, wie Vorurteile und Gewalt zusammenwirken und wie sich dies in Geschichte und Gegenwart immer wieder zeigt. Das Buch stellt eine Summe seines jahrzehntelangen Forschens zu Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dar.
Für seinen Vortrag wählte er exemplarisch das Thema Islamfeindschaft in Deutschland, „eines der dringendsten Probleme unserer Gesellschaft“, wie er sagte. Er legte dar, dass Feindbilder gegen Muslime bis zur Belagerung Wiens durch die Türken 1529 und 1683 im damaligen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zurückreichen. Als Brennpunkte, wo muslimische Minoritäten heute seitens des Staates ausgegrenzt werden, verwies er auf die Rohingya in Myanmar, die Kurden in der Türkei oder die Uiguren in China. Die Attentate von Christchurch oder Hanau zeigten, wie geteilte Feindbilder in tödliche Gewalt gegen Muslime mündeten.
„Die Feindschaft gegen den Islam hat ähnliche Wurzeln wie der Hass gegen Juden“, sagte Benz.
Ressentiments, erklärte Benz, entstünden aus vermeintlichem Wissen über Minderheiten, das über Generationen vererbt werde und religiöse oder abergläubische Wurzeln habe, oder aus dem Hörensagen von angeblichen Gewohnheiten der Fremden, aus Märchen, Legenden oder Gerüchten. Daraus könnten hasserfüllte Feindbilder entstehen, die wiederum zu Krieg und Völkermord eskalieren können. Hilfreich wäre es für die Zuhörer des Vortrags gewesen, den zentralen Begriff des Ressentiments zu definieren, oft verwendete Benz ihn synonym mit Vorurteil. Laut Duden handelt es sich dabei um die „auf Vorurteilen, Unterlegenheitsgefühlen, Neid oder Ähnlichem beruhende gefühlsmäßige Abneigung“.
Im anschließenden Gespräch erinnerte sich eine Besucherin an die früheren Feindseligkeiten zwischen benachbarten Dörfern im Ries, als junge Burschen ausgegrenzt worden seien, wenn sie mit einem Mädchen aus dem „falschen“Dorf tanzen gegangen seien. Benz stimmte der Besucherin zu, dass Vorurteile mit völlig beliebigen und austauschbaren Personengruppen funktionierten. Ein Besucher fragte nach der Meinung von Benz, ob es muslimischen Richterinnen und Beamtinnen im Dienst erlaubt sein sollte, ein Kopftuch zu tragen. Benz lehnte dies persönlich ab und verwies auf die Trennung von Staat und Kirche. Er erzählte noch von seinen Enkeln im Kindergarten, für die Kategorien wie Ethnie oder Rasse belanglos wären. „Niemand kommt als Rassist zur Welt“, sagte Benz. Man konnte das so verstehen, dass der Erziehung eine wichtige Rolle für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben zukommt. Info: Wolfgang Benz: Vom Vorurteil zur Gewalt. Politische und soziale Feindbilder in Geschichte und Gegenwart. Herder, 2020. ISBN: 9783451385964, Preis: 26 Euro.