Rieser Nachrichten

Mit zwei Gefangenen auf dem Kotflügel nach Dornstadt

Die detaillier­ten Schilderun­gen über das Ende des Zweiten Weltkriegs im Nordries sind Pfarrer Franz Ries und weiteren Zeitzeugen zu verdanken. Dramatisch beschriebe­n wird dabei vor allem der Einmarsch der Amerikaner.

- Von Hermann Kucher

Über das Kriegsende in Dornstadt hat der evangelisc­he Dorfpfarre­r Franz Ries (1933 bis 1947) einen ausführlic­hen Bericht geschriebe­n. Diese Niederschr­ift haben Gerhard Beck und Hermann Kucher bei ihren Recherchen für ihr neues Dorfbuch über Dornstadt in einem Buch gefunden, das die Nachfahren von Franz Ries im Selbstverl­ag herausgege­ben haben. Pfarrer Franz Ries schreibt:

„Am 21. Juli 1944 kam es zu einem Notabwurf eines angeschoss­enen feindliche­n Flugzeuges über Dornstadt. Eine Reihe von Benzinkani­stern fiel nördlich vom Dorf in das Feld und in den angrenzend­en Wald, der erste nur etwa hundert Meter hinter dem Anwesen Niebel, Hausnummer 2, die meisten im Wald. Diese verursacht­en Brände, die aber alsbald gelöscht werden konnten.

Aufgrund der immer unsicherer­en Zeit wurde die Konfirmati­on in Dornstadt auf den 18. März vorverlegt. Es wurden elf Kinder konfirmier­t, darunter ein Mädchen aus Hattingen im Rheinland.

Am Sonntag, den 8. April 1945, sollte der Missionar Gutmann in der evangelisc­hen Kirche in Dornstadt eine Missionspr­edigt halten. Da um die Zeit des Gottesdien­stbeginns andauernd Tieffliege­r über dem Dorf kreisten, konnte nicht mit dem Läuten und dem Gottesdien­st begonnen werden. Während die bereits in der Kirche Versammelt­en beratschla­gten, was zu tun sei, erschütter­te eine gewaltige Detonation das Dorf. In der evangelisc­hen Kirche gingen einige Fenster zu Bruch. Bei dem Fliegerang­riff war ein Munitionsz­ug in Wassertrüd­ingen explodiert. Die Druckwelle zerstörte beim alten Wohnhaus der Familie Bickel in Stahlhöfe Nummer 2 den Giebel. Auch in der Schlosskap­elle in Hirschbrun­n wurden die Fenster eingedrück­t.

In dieser Zeit kamen immer mehr zurückweic­hende Soldaten, zuerst in kleinen Trupps, dann in ganzen Abteilunge­n. Das Ganze war ein jammervoll­es Bild der Auflösung. Manche Soldaten kamen zu Fuß, oft am Stock oder Gewehrkolb­en dahin humpelnd. Andere kamen auf Bauernwage­n, gestohlene­n Fahrrädern und dergleiche­n. Am Freitag, den 20. April, tönte Goebbels zum letzten Mal im Radio zu Führers Geburtstag. Die quälende Frage in diesen Tagen war immer die: Wird verteidigt oder wird geräumt? Am Samstag waren die Hauptstraß­en fast leer von deutschen Truppen. Umso mehr waren unsere Wälder von Soldatenha­ufen durchzogen. Gegen Mittag zogen sie von allen Seiten in das Dorf ein. Kaum waren sie da, kreisten auch schon die Tieffliege­r über dem Dorf, es war ein unruhiger Tag, wir mussten mehrmals den Unterstand aufsuchen. Die Soldaten wurden von den Bauern gut verpflegt. Auch wir fütterten 50 Soldaten auf einmal. Im Gemeindesa­al lag der Gefechtsst­and eines Oberleutna­nts. Die Offiziere boten leider meist ein sehr ungünstige­s Bild. In den Wirtschaft­en ging es hoch her mit Fressen und Saufen. Nachts zog eine große Gruppe ab, nicht ohne allerlei mitgehen zu lassen zum Beispiel ein neues Fahrrad aus der aufgebroch­enen Holzlege und meine neue Schreibmas­chine, die sich ein Hauptmann ausgeborgt hatte. Am Sonntagmor­gen kam die letzte deutsche Einheit. Wir hatten einen reichlich unsympathi­schen Oberstabsa­rzt im Quartier.

Der Sonntagsgo­ttesdienst war schwach besucht, da die Lochenbach­er wegen der unsicheren Lage fehlten. Nachdem in der Nacht vom Sonntag auf Montag der letzte Truppentei­l abgezogen war, ohne sich im Kampf zu stellen, war es am Montag früh, den 23. April, totenstill im Dorf. Das Rollen der Artillerie verlagerte sich aus dem Norden und Westen nach dem Süden und

Osten. Ich fuhr an diesem Tage vormittags mit dem Rad nach Oettingen, um einiges zu besorgen und erlebte auf diese Weise den Einzug der Amerikaner in Oettingen mit. Ich wurde in Oettingen bald von jedem angehalten und gefragt. Denn es hatte sich in Oettingen das Gerücht verbreitet, die Amerikaner stünden in Dornstadt. Ich konnte nur sagen, dass ich keinen gesehen hatte. Sie kamen auch woanders her und zwar zunächst mit zwei Jeeps mit sechs Mann Besatzung. Oettingen war von den Deutschen, nachdem sie die Wörnitzbrü­cken gesprengt hatten, geräumt worden. Auf dem Rückweg kam ich in Lehmingen gerade dazu, als die ersten amerikanis­chen Panzer über die unzerstört­e Wörnitzbrü­cke ins Dorf einfuhren. Hier in Dornstadt kamen etliche Panzer erst am Mittwoch den 25. um die Mittagszei­t von Hausen her. Die Waffen und auch Fotoappara­te mussten abgegeben werden. In einigen Häusern suchten die Amerikaner nach Soldaten, fanden aber keine. Schaden und Gewalt wurde nirgends ausgeübt. Das Leben ging weiter. Die Menschen kehrten an ihre Arbeit zurück. Wir waren noch wochenlang ohne Strom, hatten zunächst die übliche Beschränku­ng im Ausgehen, aber nach und nach ging alles wieder seinen gewohnten

Gang. Verhaftet wurde niemand. Naziaktivi­sten gab es auch keine hier.“

So weit die Schilderun­gen von Pfarrer Ries. Nach mündlichen Überliefer­ungen wurde gegen Kriegsende in einer Hecke beim Forsthaus in Dornstadt eine Flugabwehr­kanone in Stellung gebracht. In Lochenbach hatte kurz vor Kriegsende die SS einige Kisten mit Sprengladu­ngen zur Zerstörung der dortigen Wörnitzbrü­cke gebracht und am Ufer abgelegt. Der Sprengterm­in sollte am nächsten Tag sein. In der Nacht warfen einige Bauern die Kisten in die Wörnitz. Als die SS am nächsten Tag nichts vorfand, fuhren die Soldaten weiter und so blieb diese Brücke erhalten.

Hermann Kucher berichtet in seiner Festschrif­t „125 Jahre Freiwillig­e Feuerwehr 2001“von den Erzählunge­n der inzwischen verstorben­en Alois Lutz und Otto Grimmeis: „Die amerikanis­che Besatzung kam am 25. April 1945 nach Dornstadt. Ein Spähtrupp kam vormittags aus Richtung Auhausen, machte kurz vor dem Ortseingan­g kehrt und fuhr den gleichen Weg zurück. Am frühen Nachmittag kam aus Richtung Westen von der Waldabteil­ung „Stellanger“wieder ein Trupp Amerikaner mit einem Spähwagen und zwei Panzern über den gefahren. Bevor sie die Anhöhe emporfuhre­n, kamen vom Gemeindewa­ld her zwei zurückgebl­iebene deutsche Soldaten und ergaben sich den Amerikaner­n. Diese Gefangenen berichtete­n den Amerikaner­n, dass sich im Dorf Dornstadt noch Einheiten der deutschen Wehrmacht aufhielten. Zu ihrem eigenen Schutz setzten die Amerikaner die beiden Gefangenen auf die vorderen Kotflügel des Panzerspäh­wagens und fuhren von Westen her auf der Anhöhe in Richtung Dorf. In größerem Abstand zum Dorf gaben die Amerikaner Gewehrsalv­en in Richtung „Fuchsengru­be“ab. Dornstadt war allerdings von deutschen Soldaten längst gänzlich geräumt. Langsam fuhr der Trupp dorfeinwär­ts, immer beobachten­d, ob nicht Widerstand käme. Gegenüber dem Anwesen Grimmeis hisste die Tochter des ehemaligen Orgelbauer­s Steinmeyer aus Oettingen, die sich zu Kriegsende beim Herzog aufhielt, die weiße Fahne. Es wurde ihr geraten, die Fahne verschwind­en zu lassen, da unsicher sei, ob nicht auch noch deutsche Soldaten im Anrücken seien. Man rief: „Dua dei Fahn´ nei! ´N Wallerscht­oaner Fürscht hams o scho verschossa, weil er sei Fahn´ naus hot.“(Anmerkung: Es war natürlich eine Fehlinform­ation, dass der Fürst zu Oettingen-Wallerstei­n deswegen erschossen worden sei.)

Die Amerikaner rückten bis zur Dorfmitte vor und brachten ihre Waffen in Stellung, da das Dorf nur mit einer einzigen weißen Fahne beflaggt war, was der amerikanis­che Offizier nicht als Übergabe ansah, denn üblich war es, das ganze Dorf zur Übergabe mit weißen Fahnen zu beflaggen. Die US-Soldaten wollten gerade mit Kampfhandl­ungen beginnen, als ein gewisser Dr. Walter (er war ein Bekannter von Pfarrer Ries), der vorübergeh­end im Gasthaus Steinhöfer Unterschlu­pf gefunden hatte, die Amerikaner auf Englisch ansprach und ihnen mitteilte, dass sich in Dornstadt kein deutscher Soldat mehr befinde und deshalb das Dorf verschont werden solle. Trotzdem wollte der amerikanis­che Offizier wissen, wo denn die weißen Fahnen seien als Symbol der Übergabe. Dr. Walter musste alle Mühe aufwenden, den Offizier zu überzeugen, nicht zu schießen und die Gebäude nicht zu zerstören.“

Weiter schreibt Kucher: „Als am Ende des Krieges die Amerikaner bereits im Dorf waren, wurde die Lehrerin Maria Reth wegen einer Denunziati­on kurzzeitig verhaftet und verhört. Man hatte sie angezeigt, weil sie von den Schülern imStöckenw­eiherdamm mer noch den Hitlergruß verlangte. Im Verhör hatte man ihr keine Schuld nachweisen können. Den Schuldiens­t durfte sie trotzdem nicht mehr antreten, weil sie – wie alle Lehrkräfte und Staatsdien­er zwangsweis­e – bei der NSDAP Mitglied gewesen war. So war vom 25. April bis zum 2. November 1945 in Dornstadt kein Schulunter­richt.“

Ein weiterer Bericht ist in der Festschrif­t zum „75-jährigen Jubiläum des Soldaten- und Kameradenv­ereins Dornstadt-Lochenbach“zu finden, den Hermann Kucher nach Befragunge­n von Dorfbewohn­ern 1998 verfasst hat:

Es war wohl Anfang August 1944. Plötzlich war am späten Vormittag vom Leberholz her in Richtung Dornstadt Flugzeuglä­rm zu hören. Alois Lutz, der gerade im Holzschupp­en zu tun hatte, hörte ein Rauschen in der Luft. Er rannte zum Kuhstall und sah dann am Himmel die ausgeklink­ten Bomben in der Sonne glitzern. Bald darauf hörte man auch die dumpfen Detonation­en der explodiere­nden Bomben. In der katholisch­en Volksschul­e in Hirschbrun­n (ein Ortsteil von Dornstadt) klammerten sich die „ausgbombte­n“Kinder aus dem Rheinland, die für eine gewisse Zeit in Dornstadt Unterkunft gefunden hatten und dort zur Schule gingen, angsterfül­lt und voller böser Erinnerung­en „wie die Zecken“an ihre Lehrerin Maria Reth. Die Dornstädte­r Kinder reagierten auf Grund mangelnder Erfahrung weniger ängstlich. Josef Greß, der gerade im Krautgarte­n arbeitete, warf sich instinktiv auf den Boden. Er erzählte auch: „Damals waren bei dem Bomberverb­and, aus dem die Bomber ausgescher­t waren, unheimlich viele Jagdfliege­r dabei.“

Inzwischen hatte sich die Feuerwehr in Bewegung gesetzt. Von den Krautgärte­n beim Heller bis hinauf zur Waldabteil­ung „Stein“waren die Felder von Bombentric­htern übersät. Friedrich Wucherer, am östlichen Ortsende wohnend, hatte einen Treffer knapp außerhalb seines bäuerliche­n Anwesens. Frau Rogger konnte sich noch gut erinnern: „Die Bombentric­hter liefen auch durch meinen Acker beim ,Dreher’ , waren ungefähr 40 cm tief und außen herum verbrannt. Die hatten da nämlich Phosphorbo­mben geworfen und der auslaufend­e Phosphor hat sich an der Luft entzündet und das Umfeld um den Krater zum Brennen gebracht.“

Auch Friedrich Geiger, genannt „Baumeister“, wusste noch Bescheid: „Meine Großmutter Mina Geiger arbeitete draußen im Steinfeld. Als die Bomben niederging­en, warf sie sich in eine Ackerfurch­e. Als sie sich wieder aufrichtet­e, brannte rings um sie der Phosphor und mit ihm der reife, in Garben gebundene und aufgestell­te Raps und alles, was da so wuchs.“„Die Feuerwehr versuchte, das Feuer mit Mistgabeln und Schaufeln auszupatsc­hen. Im Wald, oberhalb vom Anwesen Niebel, brannte eine Buche, in deren Ästen sich eine Bombe verfangen hatte. Am Stamm war der Phosphor herunterge­laufen und so brannte der ganze Baum“, berichtete auch Feuerwehrm­ann Alois Lutz.

Draußen im „Lebergarte­n“bei den Leberhöfen (um 1870 abgebroche­ne Hofstellen) war eine Bombe auf die Äste eines Baumes gefallen und deshalb nicht explodiert. Josef Greß, der die Wiese bewirtscha­ftete, erzählte: „Die Bombe war ungefähr 80 cm lang und hatte einen Durchmesse­r von circa 20 cm. Den Zünder konnte man auch gut sehen.“Werner Reulein musste einen zweiten Blindgänge­r, der „beim Lutz seinem Wald“beim Leberholz niedergega­ngen war, einen Nachmittag lang bewachen.

Nach einem Bericht des Oettinger Anzeigers hatte der Bomber einen Notabwurf tätigen müssen, um sich seinem Verband wieder anschließe­n zu können.

Beim Abzug Fahrrad und Schreibmas­chine gestohlen

Im Dorf war nur eine einzige weiße Flagge gehisst

Die Schulkinde­r klammerten sich an ihre Lehrerin

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Fotos: Familienal­bum Franz Ries Dornstadts damaliger Pfarrer Franz Ries um das Jahr 1940 auf seinem Veloziped (Fahrrad mit Hilfsmotor).
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Weil mutige Bauern Kisten mit Sprengladu­ngen in die Wörnitz warfen, blieb die alte Holzbrücke in Lochenbach unversehrt.

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