Greift die Sorge um Rassismus zu sehr in die Kunstfreiheit ein?
An Theatern, aber auch in der Literatur wird darüber diskutiert, was dargestellt werden darf und was nicht
Nur mal zum Beispiel: Müssen in einem Theaterstück, das von Flüchtlingen erzählt, die Flüchtlinge von echten Flüchtlingen gespielt werden? Und darf eine weiße Künstlerin für ihr Gemälde ein Foto verwenden, das einen durch Polizeigewalt getöteten schwarzen Jungen zeigt? Müssen ältere Skulpturen und Bücher von klischeehaften Darstellungen und heute als herabwürdigend empfundenen Wörtern gereinigt werden? Und dürfen Weiße noch schwarze Rollen spielen, sich dafür schwarz schminken?
Das Problem, das all diese zuletzt tatsächlich debattierten Beispiele eint, ist nicht nur der Vorwurf von kolonialer Aneignung oder Rassismus. Es ist viel grundlegender: Es sind die Worte muss und darf in Zusammenhang mit Kunst. Um es in aller Klarheit zu sagen: Kunst
darf alles und muss gar nichts. Das mag radikal klingen, ist aber eine wesentliche Grundbedingung. Und wenn sie mitunter auch noch so staatlich unterstützt und gefördert werden mögen; und wenn es auch mit noch so viel gutem Willen, von noch so edler Gesinnung sein mag: Wer Künstler – abseits strafrechtlicher Einschränkungen! – in Haftung nehmen will für politische Ideale und gesellschaftliche Werte, der nimmt ihnen die Grundvoraussetzung ihres Schaffens.
Bei undemokratischen und illiberalen Gesinnungsgenossen oder Gesellschaften fällt selbstverständlich jede Einmischung als ein Verstoß auf. Aber auch demokratisch gemeint und gerichtet gegen Rassismus und Diskriminierung bleibt es ein politisch bevormundender Eingriff. Illiberalität im Namen von Liberalität. Das ist rausgekommen, nachdem sich zuerst der Geist der Kritik am Konservativen und Traditionalen geschärft hatte, um dann irgendwann ins Leere zu laufen – wenn etwa Politiker, die eigentlich von der Kunst auf einer Documenta kritisiert wurden, beim Rundgang dort die Künstler für ihre kritische Haltung lobten. Nun wendet sich die Liberalität schließlich gegen ihr eigenstes Mittel. Das aber darf nicht das Problem der Kunst werden, sondern muss das von Politik und Gesellschaft bleiben. Konkret: Man kann in Preisjurys Gleichberechtigungsquoten einführen – sollte das aber nie als Vorgabe für Auszeichnungen bei der Bewertung der Kunst tun. Und wer wie in den Eingangsbeispielen Besetzungen festlegt, vergisst, dass es gerade essenziell in der Kunst sein kann, zu verfremden, zu verzerren, sich in die Schuhe anderer zu stellen. Man darf Kunst-Schaffenden wie Publikum, ja, man muss den Menschen das Bewältigen von Uneindeutigkeiten schon zutrauen. Sonst kann man es auch gleich lassen mit der Kunst im Öffentlichen, und nur noch Unterhaltung oder Aufklärungsprogramme servieren. Wolfgang Schütz
Eines vorneweg: Kunst muss frei sein, darf sich nicht von vornherein Grenzen setzen, darf gerne auch provozieren, Regeln und Normen übertreten, Neues wagen, Althergebrachtes über Bord werfen, darf auch schockieren, infrage stellen. Na klar. Aber: Kunst ist mittlerweile keine kommunikative Einbahnstraße mehr, die nur den Künstler und vielleicht noch flankierend die Wissenschaft und die Kritik zu Wort kommen lässt. Immer vernehmlicher verschaffen sich auch das normale Publikum und Interessengruppen Gehör, äußern sich, bejubeln, kritisieren und verdammen – manchmal berechtigterweise, manchmal auch nicht. Trotzdem ist das gut so. Kunst ist in gewisser Weise demokratisch geworden, sie muss sich ihren Betrachtern stellen.
Wenn Interessengruppen etwa das Blackfacing auf der Bühne kritisieren (wenn weiße Schauspieler sich mit schwarzer Farbe bemalen), dann deshalb, weil es eine unsägliche Tradition des Blackfacing im 19. Jahrhundert gab, bei der weiße Darsteller in den USA und in England sich rassistischer Stereotype bedienten, sowohl beim Schminken, als auch beim Spiel auf Varieté-Bühnen. Und: Die Künstler, auch diejenigen, die das sorglos und am Ende ohne einen Hintergedanken gemacht haben, müssen sich die Kritik zu Recht anhören. Denn diese ist dann auch Aufklärungsarbeit, indem sie zeigt, in welchem Bezugsrahmen sich die Kunst bewegt. Auch antisemitische Stereotype werden in der Kunst immer wieder gebrandmarkt – als Warnung für alle Betrachter.
Rassismus hat eine fast ebenso lange Tradition wie der Antisemitismus, er hat sich in Europa mit dem Kolonialismus verbreitet, als moralische Begründung dafür, die ursprünglichen Bewohner Amerikas ihres Landes zu berauben und Menschen – vor allem aus Afrika – dort zu Sklavenarbeit zu zwingen. Auch heute ist rassistisches Denken noch verbreitet.
Rassismus in Wort, Bild, Film oder Spiel anzuprangern, schränkt die Freiheit der Kunst nicht ein. Sie ist und bleibt in ihrem Tun ja so frei, wie sich die Künstler machen können. Aber zur Freiheit der Kunst gehört nicht ein Recht auf Kritiklosigkeit. Dass tendenziöse oder bösartige Haltungen in Filmen, Kunstwerken, Büchern als das bezeichnet werden, was sie sind, ist notwendig, um Kunst, die Propaganda betreibt, von der zu unterscheiden, die etwas Eigenes und Originelles zu sagen hat. Dass sich solche Debatten mit all ihrer Emotionalität und Lautstärke schrill anhören, ist der Preis der demokratischen Rezeption heute, den auch all die Kunstliebhaber bezahlen müssen, die am liebsten im Stillen genießen würden.