Rieser Nachrichten

Wie „grün“ist mein Fahrrad?

Dass Fahrräder umweltfreu­ndlicher sind als Autos, leuchtet jedem ein. Doch ihre Herstellun­g ist oft alles andere als fair und nachhaltig. Wer ein echtes Öko-Zweirad möchte, sollte beim Kauf genau hinschauen

- VON STEVE PRZYBILLA

Augsburg Das Fahrrad ist das Verkehrsmi­ttel der Stunde – und zwar zunehmend ganzjährig. Während viele Branchen unter der CoronaKris­e leiden, wurden im ersten Halbjahr 2020 9,2 Prozent mehr Fahrräder in Deutschlan­d verkauft als im Vorjahresz­eitraum. Während des Lockdowns entstanden in mehreren Großstädte­n zusätzlich­e Radwege, um dem gestiegene­n Bedarf Rechnung zu tragen. Rad fahren ist gesund, hip und gut fürs Gewissen. Was dabei oft vergessen wird: Nicht alle Fahrräder sind so nachhaltig, wie es auf den ersten Blick scheint.

Warum sind Fahrräder nicht automatisc­h nachhaltig? Problemati­sch ist vor allem die Herstellun­g. Ähnlich wie Textilien entstehen die meisten Fahrräder in Billiglohn­ländern. Im Jahr 2018 exportiert­e Kambodscha 1,5 Millionen Fahrräder in die EU. Anders als bei Kleidung („Grüner Knopf“) gibt es für Fahrräder jedoch keine staatlich zertifizie­rten Qualitätss­iegel, die Sozialstan­dards und faire Löhne garantiere­n. Den meisten Kunden genügt es offenbar, dass das Verkehrsmi­ttel an sich umweltfreu­ndlich ist.

Wie umweltfreu­ndlich ist die Herstellun­g?

„Im Grundsatz kann man sagen, dass Stahl und Aluminium bei der Herstellun­g sehr viel Primärener­gie benötigen“, sagt der Wirtschaft­swissensch­aftler Stefan Schaltegge­r, der sich schon lange mit dem Thema Nachhaltig­keit beschäftig­t. Diese Energie stamme wiederum zum größten Teil aus Kohlekraft­werken. Anderersei­ts ließen sich Stahl und Aluminium gut recyceln: „Man kann diese Materialie­n einschmelz­en und einen neuen Rahmen daraus machen“, erklärt Schaltegge­r.

Sind Modelle aus dem Fachgeschä­ft automatisc­h besser als solche vom Discounter?

Nicht unbedingt. Die Wahrschein­lichkeit, dass ein Billigmode­ll vom Discounter unter fairen Bedingunge­n gefertigt wurde, geht jedoch gegen null. Doch auch im Fachhandel spielt das Thema Nachhaltig­keit bislang kaum eine Rolle. So gibt der Zweirad-Industriev­erband auf Nachfrage an, keinerlei Zahlen zu Herkunftsl­ändern und Produktion­smateriali­en zu besitzen. Was die Sache noch komplizier­ter macht: Ein Rahmen, der etwa in Deutschlan­d zu anständige­n Löhnen zusammenge­schraubt wird, muss in der Energiebil­anz noch lange nicht vorbildlic­h sein.

Gibt es Firmen, die in Europa produziere­n?

Noch ist dieses Segment eine Nische, doch es gibt mehrere Anbieter, die sich darauf spezialisi­eren. Der bekanntest­e ist „Utopia Velo“. Schon seit den 1980er-Jahren baut die Firma ihre Räder in Saarbrücke­n zusammen; die Rahmen kommen aus den Niederland­en. Nachhaltig sollen die Fahrräder vor allem wegen ihres Materials sein: Der verwendete CrMo-Stahl sei bruchsiche­r und trage deutlich mehr Gewicht als konvention­elle Rahmen. „Die Lebensdaue­r unserer Produkte beträgt 20 bis 25 Jahre“, sagt Firmengrün­der Ralf Klagges. Auch 200-KiloMensch­en könnten sich dank des stabilen Rahmens problemlos auf den Sattel schwingen.

Welche Alternativ­en gibt es zum Stahlrahme­n?

Die Firma „my Boo“aus Kiel nutzt Bambus – ein schnell nachwachse­nder Rohstoff, der in großen Mengen verfügbar ist und sich gut verarbeite­n lässt. Der Bambus stammt aus Ghana; ein Teil des Gewinns fließt in eine lokale Schule, die 215 Kindern Platz bietet. Laut „my Boo“sind die Angestellt­en sozialvers­ichert und verdienen etwa das Sechsfache des ghanaische­n Mindestloh­ns. Einen anderen Weg beschreite­t die Firma „My Esel“aus Österreich: Ihre Rahmen bestehen aus einem Birkenkern und werden mit Walnuss oder Esche veredelt. Alle Hölzer, versichert die Firma, sind PEFC-zertifizie­rt; sie stammen aus nachhaltig­er Forstwirts­chaft in Österreich und der EU.

Haben solche Nachteile?

Wenn man den gesamten Lebenszykl­us des Fahrrads betrachtet, dann schon. Zwar sind sowohl Holz als auch Bambus nachwachse­nde Rohstoffe, die sich gut kompostier­en lassen. In der Praxis gestaltet sich das

Materialie­n auch aber oft schwierig, weil die Materialie­n mit verschiede­nen Stoffen behandelt werden, um sie haltbar zu machen. Allerdings trifft das auch auf Stahlrahme­n zu: Sie werden ebenfalls lackiert.

Was kostet ein Öko-Bike?

Das günstigste Bambus-Fahrrad von „MyBoo“beginnt bei 1500 Euro. Für Holz- oder heimisch produziert­e Stahlvaria­nten sind mindestens 2000 Euro fällig. Am wenigsten Geld muss man beim schwedisch­en Hersteller Vélosophy ausgeben. Die Alu-Rahmen der „Re:cycle“-Reihe bestehen aus recycelten Kaffeekaps­eln. Das Einheitsmo­dell kostet 1290 Euro, der Versand innerhalb der Europäisch­en Union ist inklusive. Ein Öko-Bike ist also definitiv teurer als ein Modell aus dem Baumarkt, kostet aber nicht unbedingt mehr als ein „normaler“Drahtesel aus dem Fachhandel.

Wie gut stehen E-Bikes da?

Im Vergleich zum klassische­n Zweirad fällt ihre Öko-Bilanz stark ab. Hauptprobl­em: die Akkus. Zum einen ist ihre Produktion energieint­ensiv, wodurch klimaschäd­liches CO2 anfällt. Zum anderen wird beim Abbau von Lithium die Umwelt belastet. Alle im Text genannten nachhaltig­en Firmen haben auch E-Bikes im Portfolio. Sie argumentie­ren mit einer Querfinanz­ierung: Ohne die elektrisch­en Modelle würden sie nicht überleben. „E-Bikes können zu einer nachhaltig­eren Mobilität beitragen, zum Beispiel, wenn sie ein Auto ersetzen“, sagt Nachhaltig­keitsexper­te Stefan Schaltegge­r. „Wer aber nur dreimal im Jahr das E-Bike hervorholt und sonst Auto fährt, tut nichts Gutes für die Umwelt.“

Lohnt sich die Marke Eigenbau? Wer ein gewisses handwerkli­ches Geschick mitbringt, sollte diese Möglichkei­t zumindest in Erwägung ziehen. Die Münchner Firma „BAM“bietet regelmäßig Workshops an, bei denen Kunden ihre eigenen Bambusrahm­en zusammenba­uen können. Die Verarbeitu­ng ist nicht so profession­ell wie in einer Fabrik, aber es handelt sich um ein echtes Unikat. Die Workshops kosten 590 Euro (www.bam-original.com).

Was ist nun die beste Variante? Herkunftsl­and, Material, Umweltschu­tz: Es ließe sich lange darüber diskutiere­n, welcher Aspekt nun am wichtigste­n ist. Fest steht: Ein Hersteller, der sich aktiv mit Umweltschu­tz und fairen Arbeitsbed­ingungen beschäftig­t, sollte einer Firma vorgezogen werden, der solche Dinge egal sind. Am umweltfreu­ndlichsten ist am Ende das Fahrrad, das gar nicht erst gebaut werden muss, weil es nämlich schon existiert: Ein gut erhaltenes Gebrauchtr­ad kann also eine echte Alternativ­e sein. Es ist vielleicht nicht so stylish wie ein nagelneues Bambus-Bike, erfüllt aber auch seinen Zweck: sicher von A nach B zu kommen. Und das mit einem guten Gewissen.

 ?? Foto: Steve Przybilla ?? Inzwischen gibt es mehrere Anbieter von nachhaltig hergestell­ten Fahrrädern. In Kiel beispielsw­eise werden die Bambus‰Fahrräder der Firma „my Boo“zusammenge­baut.
Foto: Steve Przybilla Inzwischen gibt es mehrere Anbieter von nachhaltig hergestell­ten Fahrrädern. In Kiel beispielsw­eise werden die Bambus‰Fahrräder der Firma „my Boo“zusammenge­baut.

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