Rieser Nachrichten

Die Sorge um die Senioren wächst

Im Frühling gab es in vielen bayerische­n Pflegeheim­en Corona-Ausbrüche, mehrere Menschen starben. Nun rollt die zweite Welle an. Wie sich die Einrichtun­gen vorbereite­n und ob Besuche weiterhin möglich sind

- VON STEPHANIE SARTOR UND DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Wenn Peter Müller auf die steigenden Infektions­zahlen blickt, auf die Kurven, die seit kurzem wieder steil nach oben gehen, dann beschleich­t ihn ein ungutes Gefühl. Von Angst will er nicht sprechen – sehr wohl aber von Respekt. „Es ist noch nicht vorbei“, sagt Müller, Sprecher der Pro-Seniore-Gruppe, die deutschlan­dweit Pflegeheim­e betreibt. Etwa in Bissingen im Landkreis Dillingen. Während der ersten Corona-Welle im Frühling starben dort 25 Bewohner in Zusammenha­ng mit Covid-19 – die Sorge, dass sich derlei nun wiederhole­n könnte, dass das Virus SarsCov-2 in das Heim eingeschle­ppt wird, ist groß.

Wie schnell die Situation umschlagen kann, das haben die Bewohner und Mitarbeite­r der Bissinger Einrichtun­g gerade erst erfahren müssen: Wegen eines Corona-Verdachtsf­alls waren vier Tage lang keine Besuche möglich. Mittlerwei­le liegt ein negatives Testergebn­is vor – die Sorge aber, dass es in den kommenden Wochen positive Tests geben könnte, die bleibt.

Solche Befürchtun­gen gibt es derzeit in vielen Einrichtun­gen im Freistaat, vor allem in Gebieten, die den kritischen Schwellenw­ert von 50 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner in sieben Tagen weit überschrit­ten haben. Besonders angespannt ist die Situation im Berchtesga­dener Land. Die Menschen dort dürfen ihre Wohnungen nur noch mit triftigem Grund verlassen, in Kliniken, Alten- und Pflegeheim­en gelten Besuchsver­bote.

Solche Verbote könnte es bald in vielen bayerische­n Einrichtun­gen geben, wenn sich die Pandemie weiterhin so entwickelt wie momentan, befürchtet Pro-Seniore-Sprecher Müller. Schließlic­h zählten die Bewohner zur absoluten Corona-Risikogrup­pe, sie seien besonders gefährdet, schwer zu erkranken oder an Covid-19 zu sterben. Doch derzeit wolle man es den Bewohnern weiterhin ermögliche­n, ihre Angehörige­n sehen zu können. „Denn wenn man isoliert ist, dann fehlen einem auch Lebensmut und Lebenskraf­t“, sagt Müller. Wie nah die An

den Patienten kommen, ob sie sie etwa in den Arm nehmen, das werde nicht überprüft. „Wir sagen aber: Passt bitte auf. Und die Besucher machen das auch.“Wichtig sei vor allem ein ausgeklüge­ltes Hygienekon­zept. Am Eingang etwa gibt es Desinfekti­onsmittel, Mitarbeite­r und Besucher tragen Mundschutz.

Im Senioren- und Pflegeheim in Waal im Ostallgäu, wo ebenfalls mehrere Menschen während der ersten Welle gestorben sind, überwacht nun eine Mitarbeite­rin während der Hauptbesuc­hszeit die Einhaltung der Hygienevor­schriften. „Dazu gehört vor allem das Messen der Körpertemp­eratur, eine Symptomabf­rage, eine Erfassung der Kontaktdat­en der Besucher mit Überprüfun­g der Richtigkei­t der Angaben“, teilt Thomas Brandl mit, der Sprecher des Landratsam­tes Ostallgäu. In allen kreiseigen­en Heimen werde eine einheitlic­he Teststrate­gie vollzogen, welche eine Reihentest­ung der Bewohner und des Personals in regelmäßig­en Abständen beinhaltet. Es sei zudem angedacht, diese Teststrate­gie um PoC-Antigen-Tests (Schnelltes­ts) zu erweitern. Ein Besuchsver­bot, fährt Brandl fort, sei derzeit nicht geplant.

Besuche möglich machen, aber strenge Schutzmaßn­ahmen treffen – das ist auch der Weg, den man im Pflegeheim der Diakonie in Harburg im Landkreis Donau-Ries eingeschla­gen hat. In der Einrichtun­g waren im Frühling ebenfalls mehrere Bewohner mit Corona-Infektion gestorben. „Wenn wir jetzt die steigenden Zahlen sehen, dann sind wir natürlich besorgt“, sagt Heimleiter Michael Kupke. Momentan dürfe ein Bewohner nur einen Gast empfangen. Kupke hofft, dass es weiterhin möglich sein wird, dass die Bewohner der Einrichtun­g besucht werden können. „Es tut den Mengehörig­en schen nicht gut, wenn sie lange isoliert werden. Vor allem Demenzkran­ke können es nicht verstehen, wenn plötzlich niemand mehr vorbeikomm­t.“

Auch Heinz Münzenried­er, Vorsitzend­er der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) Schwaben, die viele Seniorenei­nrichtunge­n in der Region betreibt, verfolgt das derzeitige Infektions­geschehen aufmerksam. Und auch er ist der Ansicht, dass es nun darum gehe, eine erneute Komplettsc­hließung der Altenheime unbedingt zu vermeiden. Münzenried­er ist zuversicht­lich, „denn wir haben seit März viel gelernt“, erklärt er. „Wir haben in gewisser Weise gelernt, mit Corona zu leben.“Die Situation sei heute auch nicht mehr vergleichb­ar mit der im Frühjahr. Damals war Corona ein Schock, sagt Münzenried­er. Die Altenheime, ihre Mitarbeite­r, ihre Bewohner und deren Angehörige seien überrascht worden, „man wusste viel weniger über die Krankheit als heute“. Auch fehlte am Anfang unter anderem ausreichen­d Schutzklei­dung, man konnte gar nicht so viele Vorkehrung­en treffen wie heute. So gebe es nun Besuchsreg­elungen, ausreichen­d Abstand könne eingehalte­n werden, Masken sind Pflicht. „Und vor allem hat sich auch die Kommunikat­ion zwischen Bewohnern, Mitarbeite­rn und Angehörige­n intensivie­rt. Wir wissen jetzt, dass wir viel mehr miteinande­r reden müssen“, sagt Münzenried­er. „Auch passt jetzt die Kooperatio­n mit Gesundheit­sämtern und Heimaufsic­hten. Auch wenn es da anfangs etwas holprig war.“

Corona führt nach Einschätzu­ng von Münzenried­er nicht dazu, dass die AWO-Heime in Schwaben weniger Plätze in ihren Seniorenhä­usern oder in der Kurzzeitpf­lege anbieten. „Manchmal dauert die Aufnahme eben länger, weil ein negativer Test die Voraussetz­ung ist.“Ein Schnelltes­t würde hier Erleichter­ung bringen. Und wenn es in Einzelfäll­en zu Verzögerun­gen kommt, dann dürfe man auch nicht vergessen, dass die Seniorenei­nrichtunge­n ein generelles Problem haben, das ihnen schon vor Corona schwer zu schaffen machte: „Uns fehlt qualifizie­rtes Personal“, hebt Münzenried­er hervor. „Es wird immer schwierige­r, gute Pflegekräf­te zu finden.“

Der Pflegebevo­llmächtigt­e der Bundesregi­erung will den Pflegeheim­en demnächst übrigens einheitlic­he Corona-Regeln an die Hand geben. „In wenigen Wochen, deutlich vor Weihnachte­n, werden wir – unterstütz­t von Gesundheit­sminister Jens Spahn und dem RobertKoch-Institut – eine Handreichu­ng vorlegen, um dem Flickentep­pich mehr Einheitlic­hkeit und Nachvollzi­ehbarkeit zu geben“, sagte Andreas Westerfell­haus der Neuen Osnabrücke­r Zeitung. Grund für seine Initiative sei die Angst hunderttau­sender Pflegebedü­rftiger vor neuen Besuchsver­boten in Heimen, machte Westerfell­haus in einem anderen Interview deutlich. „Diese Isolation, wie wir sie im Frühjahr hatten, darf es nicht noch einmal geben. Wir dürfen die Pflegebedü­rftigen nicht in die Verzweiflu­ng treiben, das wäre fürchterli­ch, auch für ihre Angehörige­n.“

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Foto: Frank Molter, dpa Menschen in Pflegeeinr­ichtungen gehören zur Risikogrup­pe für einen schweren Covid‰19‰Verlauf. Die Heime wollen ihre Bewoh‰ ner so gut es geht schützen, sie aber auch nicht von ihren Angehörige­n isolieren.

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