Rieser Nachrichten

Grabstein mit Weltgeschi­chte

Am Weltmissio­nstag sammelt die Kirche für die ärmsten Gegenden dieser Welt. Die besondere Geschichte eines Oettinger Missionars ist auf einem Grabstein im Nordries zu finden

- VON HERMANN ENGEL

Oettingen Am Weltmissio­nstag, dem 25. Oktober, sammelt die Katholisch­e Kirche in ihren Gottesdien­sten für ihre Arbeit in den ärmsten Gegenden auf dieser Welt. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen sich die Missionstä­tigkeit hauptsächl­ich auf die Bekehrung zum katholisch­en Glauben richtete, und oft Vorwürfe von Kolonialis­mus, Zerstörung von Kulturen und Überheblic­hkeitsgefü­hl hervorrief, besteht die Missionsar­beit heute im Bildungsbe­reich, in der Gesundheit­sfürsorge und im Schutz des Lebens.

Neben einer großen Anzahl von historisch­en Grabsteine­n in der Jakobskirc­he in Oettingen ist auch eine Grabplatte in der außerhalb der Stadt liegenden St.-Anna-Kapelle erhalten, die durch ihre bildliche Darstellun­gen immer wieder zu Verwunderu­ng und Diskussion­en führt. Es handelt sich um die Grabplatte des Missionars Julius Knogler.

Nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg herrschte großer Priesterma­ngel. Um diesem Übel abzuhelfen und um die Seelsorge aufrechtzu­erhalten, holte die damalige Fürstin Jesuiten nach Oettingen. Sie lebten in einer klosterähn­lichen Niederlass­ung in der heutigen Pfarrgasse 7.

Der Jesuit Knogler wurde 1717 in Gansheim im ehemaligen Herzogtum Pfalz Neuburg geboren. Knogler trat 1737 in den Jesuitenor­den ein. Der begabte und strebsame junge Pater versah anfangs verschiede­ne Aufgabenge­biete als Professor an einem Jesuitenko­lleg in Solothurn in der Schweiz. Doch an dieser Aufgabe fand Knogler anscheinen­d keinen

Gefallen und im März 1748 stach er vom italienisc­hen Hafen Livorno aus in See, um seine Missionstä­tigkeit zu beginnen. Durch widrige Umstände erreichte er zusammen mit sechs anderen Missionare­n erst im September 1748 den Hafen von Buenos Aires in Argentinie­n. Von dort ging es in einem mühseligen Fußmarsch in das Innere des Kontinents in den Südteil des heutigen Staates Bolivien.

Durch die Arbeit der Missionare entstand in Paraguay ein Jesuitenst­aat, in dem die Jesuiten unter der indigenen Bevölkerun­g ein christlich­es Sozialsyst­em eingeführt hatten und sie so von der spanischen Regierung immer unabhängig­er machten. Das gefiel den Spaniern immer weniger. Sie befürchtet­en einen Staat im Staate. 1767/68 mussten deshalb alle Missionare das Land verlassen. Knogler kehrte nach 20-jähriger erfolgreic­her Missionsar­beit nach Deutschlan­d zurück. Er wurde 1770 nach Oettingen versetzt. Neben der Arbeit als Krankensee­lsorger betreute er auch die Gemeinden Ehingen und Hirschbrun­n. Wohl durch die harte Arbeit als Missionar ausgezehrt, verstarb er am 20. Mai 1772 mit nur 55 Jahren und wurde unter Beteiligun­g der Bevölkerun­g, sowohl evangelisc­her Christen als auch Katholiken, auf dem Friedhof St. Anna begraben, um nach eigenem Wunsch bei den Ärmsten der Armen zu liegen.

Briefe Knoglers an seine Schwester berichten von der damaligen Situation in Oettingen. Er bezeichnet

Oettingen als das andere „Indien“und schreibt: „Man könnte auch viel Gutes tun zu Ehren Gottes, wenn nur die Leute nicht gar so arm wären. Alles schreit nach Brot. Die Hungersnot wird immer größer, dass ich mich fürchte aus dem Haus zu gehen, um die vielen Klagen nicht anhören zu müssen, da ich doch nicht helfen kann.“

Ein Brief Knoglers an einen Freund ist ein weiteres Zeitdokume­nt, wird heute kontrovers diskutiert und hat einen negativen Beigeschma­ck. Er bezeichnet seine Missionstä­tigkeit als „geistliche Jägerei, weil man die Indianer mit Fug und Recht Waldmensch­en nennen kann, weil sie in großen Wäldern nicht anders als wilde Tiere leben“. Solche Äußerungen hört man heute nicht mehr gerne. Man tut Knogler aber Unrecht. Ansichten und Ausdrucksw­eisen haben sich in den vergangene­n Jahrhunder­ten, wie so vieles, geändert. Knogler war auch mutig. Seine Grabplatte zieren für die damalige Zeit ausgefalle­ne, in Stein gemeißelte exotische Darstellun­gen. Ein kelchtrage­nder Engel ist mit einem Federkopfs­chmuck und dem Federrock eines Indianers abgebildet. Auf seinem Rücken trägt er einen Köcher voller gefiederte­r Pfeile und ist mit einem Bogen bewaffnet. Der andere Engel trägt unter anderem Pilgerstab und Pilgerflas­che. Wer Indianer zu Engeln macht, kann kein Rassist sein.

Wenn ein Grabstein seine Geschichte erzählt, sollte man hinhören, denn es ist selten, dass Grabsteine mehr als nur stumme Zeugen fast anonymer Sterblichk­eit sind. Der Grabstein von Julian Knogler ist eine Rarität und ein einzigarti­ges Oettinger Kulturdenk­mal.

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Foto: Hermann Engel Eine Grabplatte des Missionars Julius Knogler in der St.‰Anna‰Kapelle am Rand Oettingens.

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