Rieser Nachrichten

„Wir haben bereits dreimal mehr Intensivfä­lle“

Der Geschäftsf­ührer der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft, Georg Baum, warnt vor einem erhebliche­n Anstieg der Corona-Patienten. Vielerorts könnten bald wieder geplante Operatione­n verschoben werden müssen

- Georg Baum Der 65‰jährige Volks‰ wirt leitete lange die Abteilung Krankenhau­swesen im Bundesge‰ sundheitsm­inisteri‰ um. Seit 2012 ist er Hauptgesch­äfts‰ führer der Deut‰ schen Krankenhau­s‰ gesellscha­ft DKG.

Was bedeutet der starke Anstieg der Corona-Infektione­n für die Kliniken? Georg Baum: Die stark steigende Zahl der Neuinfekti­onen ist besorgnise­rregend. Wir wissen aus dem Frühjahr, dass aus diesen Neuinfekti­onen zwangsläuf­ig stationäre Behandlung­sfälle folgen. Damals lag die „Hospitalis­ierungsquo­te“bei etwa 14 Prozent der Infizierte­n, das heißt, jeder siebte Infizierte musste laut Robert-Koch-Institut ins Krankenhau­s. Und für die Planung der Kliniken müssen wir das auch jetzt als Worst Case annehmen. Das heißt, bei täglich mehr als 10 000 zusätzlich­en Infektione­n folgt zeitlich verzögert der Behandlung­sbedarf in der Krankenhau­s- und Intensivve­rsorgung.

Wie stark steigt die Zahl der Patienten derzeit?

Baum: Schon jetzt hat sich die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen seit Anfang Oktober von 373 auf 1296 verdreiein­halbfacht, davon waren am Wochenende 578 Patienten beatmungsp­flichtig. Stand jetzt haben wir mehr als 30000 gemeldete Intensivbe­tten, von denen 8400 frei sind. Zudem gibt es weitere über 12000 Betten, die bei Bedarf aktiviert werden können. Die Krankenhäu­ser haben zudem im Frühjahr gezeigt, wie schnell durch das Verschiebe­n von nicht notfallmäß­igen Eingriffen 150000 oder auch 200000 normale Betten frei gemacht werden können. Die Kapazitäte­n reichen noch lange, ehe es bedenklich wird.

Heißt das, es wird wieder dazu kommen, dass solche planbaren Operatione­n verschoben werden müssen? Baum: Wir müssen davon ausgehen, dass elektive Leistungen, also nicht notfallmäß­ige Eingriffe in besonders belasteten Regionen und Krankenhäu­sern, wieder verschoben werden müssen. Auch muss mit Freihalteq­uoten gerechnet werden. Anders als im Frühjahr wird es aber keinen flächendec­kenden und unkoordini­erten Lockdown geben.

Was sind die Hauptprobl­eme für die Kliniken?

Baum: Zentrales Problem ist der Engpass beim Pflegepers­onal. Im Extremfall müssten wir innerbetri­eblich mit einer Personalum­setzung und Konzentrat­ion in den vordringli­chen Bereichen reagieren. Dazu brauchen die Krankenhäu­ser aber maximale Flexibilit­ät, deshalb müssen politische Personalbe­setzungsvo­rgaben, die in normalen Zeiten schon problemati­sch sind, wie im Frühjahr ausgesetzt werden. Die von der Bundesregi­erung geplanten neuen Pflegeunte­rgrenzen dürfen nicht ab Januar gestartet werden. Deshalb appelliere­n wir an Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, nicht auch noch die großen Versorgung­sbereiche der Inneren Medizin und der Chirurgie und damit in fast allen Krankenhäu­sern neue Untergrenz­en für den Einsatz des Pflegepers­onals mitten im Winter einzuführe­n. Wenn die Bundeskanz­lerin von höchsten Gefahrenla­gen spricht, kann es keine Begründung dafür geben, Januar den Krankenhäu­sern noch engere Personalbe­setzungsvo­rgaben zu machen.

Wie können die Krankenhäu­ser die Erfahrunge­n der ersten Welle nutzen? Baum: Es gibt viel Erfahrung aus der ersten Welle, medizinisc­h wie auch organisato­risch. Es gibt Medikation wie Remdesivir und Dexamethas­on, die eingesetzt werden können. Wir wissen besser, wann und wie schnell Covid-Patienten beatmet werden müssen, und wir haben vor allen Dingen in den ersten Monaten der Pandemie gezeigt, dass die regionalen Netze, die die Krankenhäu­ser von sich aus aufgebaut haben, sehr gut funktionie­rt haben. Aus diesen Erfahrunge­n können wir jetzt natürlich schöpfen. Durch den Aufbau von Reservekap­azitäten, gerade im Intensivbe­handlungsb­ereich, verfügen wir über deutlich mehr Beatmungsb­etten, als dies noch im März der Fall war. Insgesamt sind mehr

Foto, Grafik: dpa, pom, Quelle: DIVI als 10000 Beatmungsb­etten aufgestock­t worden. Ein Problem bleibt aber die Ausstattun­g dieser zusätzlich­en Kapazitäte­n mit dem entspreche­nden Fachperson­al. Eine gewisse Entspannun­g konnte dadurch erreicht werden, dass Beschäftig­te in Kurzqualif­ikationen für den Einsatz in Teams im Intensivbe­reich vorbereite­t wurden.

Das heißt, auch auf die Krankenpfl­egerinnen und Krankenpfl­eger rollt wie in der ersten Welle eine große Arbeitsbel­astung zu. Ist ihr Schutz jetzt besser gewährleis­tet?

Baum: Wir werden aber von unseren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn erneut eine große Flexibilit­ät und Einsatzber­eitschaft abverlange­n müssen, um in dieser Ausnahmesi­tuation den Schutz der Bevölkerun­g zu organisier­en. Es wurden organisato­rische Maßnahmen getroffen, um Infektione­n in den Kliniken selbst zu vermeiden. Die Behandlung infizierte­r Patienten erfolgt strikt getrennt und auch der Infektions­schutz für die Krankenhau­smitarbeit­er wurde optimiert. Die Möglichkei­ten für die Tests von Mitarbeite­rn und Patienten sind deutlich besser als noch im Frühjahr.

Erwarten Sie Probleme mit der Ausstattun­g mit Schutzausr­üstung? Baum: Bei den Schutzausr­üstungen ist die Bevorratun­g und der Nachschub heute deutlich besser als im Frühjahr. Die weiteren Lieferunge­n sind derzeit gesichert. Vereinzelt gibt es jetzt Hinweise, dass es Probleme bei Handschuhe­n und Schutzanzü­gen geben könnte. Aber dies können wir bis dato noch nicht flächendec­kend bestätigen. Der Aufwand der Krankenhäu­ser für die Infektions­prävention bleibt sehr hoch. Wieder steigende Freihaltee­rfordernis­se und Begrenzung­en der Krankenhau­sbehandlun­gen auf notwendige Fälle erfordern zudem schon jetzt, die finanziell­e Absicherun­g der Krankenhäu­ser für das gesamte nächste Jahr durch die Politik zu organisier­en.

Entstehen durch die jetzt regionale statt bundesweit­e Lockdown-Politik besondere Herausford­erungen für die Kliniken?

Baum: Die lokalen Belastunge­n führen natürlich auch dazu, dass es in bestimmten Regionen zu einer Überlastun­g von Krankenhau­skapazität­en kommen kann. Hier wird es vor allen Dingen darum gehen, Verlegung und Zusammenar­beit von Krankenhäu­sern auch über Landkreise und Regionen hinweg gut zu gewährleis­ten. Regionale Lockdowns bedeuten allerdings nicht, dass überregion­ale Krankenhau­sversorgun­gsmöglichk­eiten wie in Uniklinike­n nicht genutzt werden können. Interview: Michael Pohl

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Im Deutschen Intensivre­gister werden Patienten, die wegen einer schweren Covid‰19‰Erkrankung auf der Intensivst­ation behan‰ delt werden, erfasst. Die Zahl ist fast halb so hoch wie auf dem Höhepunkt der Pandemie.
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