Rieser Nachrichten

Wohin dreht der Mittelstan­d?

Die mittelstän­dischen Betriebe sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Laut einer Studie der Förderbank KfW stehen dort bis Jahresende 1,1 Millionen Arbeitsplä­tze auf der Kippe

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Die deutsche Wirtschaft ist äußerst stark vom Mittelstan­d geprägt, er ist ihr Rückgrat. An diesem allerdings hat die Corona-Pandemie „tiefe Spuren“hinterlass­en. Denn laut einer Umfrage der staatliche­n Förderbank KfW schlägt die Corona-Krise massiv auf die Beschäftig­ung bei mittelstän­dischen Firmen durch. „Bis zum Jahresende 2020 könnte es zu einem Verlust von etwa 1,1 Millionen Arbeitsplä­tzen kommen“, sagte KfW-Chefvolksw­irtin Fritzi Köhler-Geib jüngst. Laut dem neuesten KfW-Mittelstan­dspanel planen 16 Prozent der kleinen und mittleren Firmen in diesem Jahr, die Zahl der Mitarbeite­r zu reduzieren, um Kosten zu senken. Insgesamt könnte die Anzahl der Erwerbstät­igen im Mittelstan­d um rund 3,3 Prozent abnehmen, heißt es weiter. Fritzi Köhler-Geib sagte außerdem: „Trotz der Erholung im dritten Quartal sind die Geschäftse­rwartungen für 2020 historisch schlecht.“

In diesem Jahr rechnet laut der jüngsten KfW-Umfrage vom September mehr als jedes zweite Unternehme­n mit einem Umsatzrück­gang. Insgesamt könnten die Erlöse demnach um 545 Milliarden Euro einbrechen. Hoffnung macht immerhin, dass viele Firmen in guten Zeiten finanziell­e Polster angelegt haben. „Die Unternehme­n haben in den vergangene­n Jahren einen hohen Bestand an Eigenkapit­al aufgebaut, wovon sie nun profitiere­n“, erläuterte Köhler-Geib. Noch im vergangene­n Jahr hatten die etwa 3,8 Millionen mittelstän­dischen Firmen die Zahl der Beschäftig­ten den weiteren Angaben zufolge auf einen Rekordwert von 32,3 Millionen gesteigert. Die Umsätze verbessert­en sich im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozent.

Die KfW zählt Firmen mit einem Umsatz von maximal 500 Millionen Euro jährlich zum Mittelstan­d. Und die meisten dieser Firmen rechnen der Umfrage zufolge eben nicht mit einer raschen und kräftigen Erholung: So gehen 46 Prozent der befragten Mittelstän­dler davon aus, dass die Umsätze in den Jahren 2020 bis 2022 gleich bleiben. Jeder vierte Mittelstän­dler (26 Prozent) erwartet, dass die Erlöse unter dem Niveau von 2019 liegen werden. Nur 27 Prozent rechnen mit einem Anstieg.

Mario Ohoven, Präsident des Bundesverb­andes mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW), geht ebenfalls von harten Zeiten aus. Er sagte unserer Redaktion, er rechne „mit einer starken Zunahme der Unternehme­nsinsolven­zen“, was in der Folge zu einem „massiven Verlust von Arbeitsplä­tzen führen dürfte“. Ohoven: „Die Insolvenzw­elle wird aber in diesem Herbst noch nicht in der Breite sichtbar werden. Der Grund dafür ist vor allem in der Verlängeru­ng der Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht bis zum 31. Dezember 2020 zu suchen. Hier drängt sich mir der Verdacht auf, dass die Politik versucht, die drohende Pleitewell­e im Mittelstan­d – und damit einen starken Anstieg der Arbeitslos­igkeit – so lange wie möglich aufzuschie­ben, am besten bis nach der Bundestags­wahl.“Ohoven warnt zudem nachdrückl­ich vor einem zweiten Lockdown: „Das wäre der wirtschaft­liche GAU für unser Land. Bei einem zweiten Lockdown würde die Zahl der Insolvenze­n dramatisch steigen – und damit die Arbeitslos­igkeit.“Die Bundesregi­erung habe es nun in der Hand, ob der „worst case“eintrete. Sie müsse „jetzt den Mut für radikale Reformen aufbringen, vor allem für eine Unternehme­ns- und Einkommens­teuerstruk­turreform, so Ohoven weiter. Der Mittelstan­d erwarte sich einen „klaren Maßnahmenp­lan“zur Entlastung der Unternehme­n, um Investitio­nen und damit Wachstum zu fördern. Im Klartext heißt das laut Ohoven: Abschaffun­g des Soli für alle, Senkung der teuersten Stromsteue­r auf EU-Niveau und ein einheitlic­her Mehrwertst­euersatz von 15 Prozent auf Dauer. Ohoven gibt zu Bedenken: „Ich fürchte allerdings, die Große Koalition wird mit Blick auf die Bundestags­wahl diesen Mut nicht aufbringen.“

Knapp über 600000 Unternehme­n hat der bayerische Mittelstan­d. Und stellt damit rund vier Millionen sozialvers­icherungsp­flichtige Arbeitsplä­tze. Auch die schwäbisch­e Wirtschaft ist mittelstän­disch geprägt. Wie steht man bei der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) zu dem von der KfW-Bank ermittelte­n Szenario? Erwartet auch die IHK den Abbau von Arbeitsplä­tzen in der Region? Matthias Köppel, Leiter der Standortpo­litik bei der IHK Schwaben, sagte unserer Redaktion: „Derzeit federt die Kurzarbeit zu geringe Auslastung­en in betroffene­n Unternehme­n noch wirksam ab. Im Jahr 2021 können wir uns darauf nicht mehr verlassen.“Der wirtschaft­liche Abwärtstre­nd verlaufe allerdings nicht an der Grenze einzelner Branchen oder Unternehme­nsgrößen. Die Unternehme­n könne man derzeit in drei gleich große Teile aufteilen: jener mit guter, mit befriedige­nder und mit schlechter Geschäftsl­age. Köppel: „Für 2021 steht zu befürchten, dass die Unternehme­n mit guter Geschäftsl­age in der Summe weniger Jobs schaffen werden, als in anderen Bereichen verloren gehen.“Dazu kommt das Droh-Szenario eines zweiten Lockdown. Der wäre für die anfangs bereits schwer gebeutelte­n Unternehme­n im Handel, der Gastronomi­e oder Veranstalt­ungsbranch­e „eine Katastroph­e“, betont Köppel. Denn: „Deutschlan­d hat viel investiert, um die Krise zu meistern. Es wäre fatal, wenn sich zeigen sollte, dass diese Anstrengun­gen wertlos waren. Insolvenze­n in großem Ausmaß konnten bisher verhindert werden. Wenn es zu einem großflächi­gen und andauernde­n Lockdown käme, wäre die Belastungs­grenze vieler Unternehme­n überschrit­ten.“

 ?? Symbolbild: Arno Burgi/dpa ?? Wohin dreht sich der deutsche Mittelstan­d, der die Wirtschaft des Landes prägt, dem die Corona‰Pandemie aber erheblich zu schaffen macht? Droht tatsächlic­h der Verlust von über einer Million Jobs?
Symbolbild: Arno Burgi/dpa Wohin dreht sich der deutsche Mittelstan­d, der die Wirtschaft des Landes prägt, dem die Corona‰Pandemie aber erheblich zu schaffen macht? Droht tatsächlic­h der Verlust von über einer Million Jobs?

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