Die erste Schule an der Börse
Die Internationale Schule Augsburg gibt künftig Aktien aus. Jeder kann ein Stück der Schule kaufen. Das gab es in Bayern noch nie. Und dahinter steckt ein großes Ziel
Gersthofen Siebtklässler Tyler weiß schon ein wenig über Aktien. Er kommt aus den USA, lernt seit vier Jahren an der Internationalen Schule Augsburg. „Ich glaube, wenn man eine Aktie hat, besitzt man einen Teil von einer Firma“, sagt Tyler. Bald kann man sich auch einen Teil von seiner Schule kaufen. Denn die Internationale Schule, die in Gersthofen im Kreis Augsburg steht und die alle nur ISA nennen, wagt etwas, was noch keine bayerische Schule getan hat. Die ISA zieht es auf den Aktienmarkt. Ab Frühjahr 2021 soll die sogenannte Bildungsaktie an der Münchner Börse gehandelt werden.
Schulleiter Marcus Wagner möchte mit seinem Team einen neuen Campus bauen. Die Aktie soll dabei helfen, die Finanzierung abzusichern. Genauer gesagt soll sie den Bau überhaupt erst ermöglichen. Der Schulleiter, gebürtiger Augsburger und ein Typ, den man gemeinhin einen „Macher“nennen würde, erklärt: „Ohne die Platzierung der Aktie an der Börse wäre es völlig aussichtslos, an den Bau eines neuen Campus zu denken.“Zwölf Millionen Euro will die Schule aus Eigenkapital bestreiten. Mit seiner Begeisterung hat Wagner auch die anderen Mitarbeiter überzeugt, dass ein Börsengang dabei am besten helfen kann. Wie bei börsennotierten Firmen üblich, erwirbt der Aktionär mit seinem Kauf einen Anteil an der ISA – das hat Siebtklässler Tyler ganz richtig erkannt. „Wir suchen langfristige Investoren in Schulbildung – keine, die den schnellen Euro machen möchten“, sagt Wagner. Dividende darf die ISA nicht ausschütten: Sie gilt als gemeinnützige Einrichtung.
An der Internationalen Schule lernen ungefähr 350 Schüler mit mehr als 42 Nationalitäten. Manche verbringen dort ihre ganze Laufbahn vom Kindergarten bis zum internationalen Abitur, andere lernen nur für wenige Jahre in Gersthofen, bevor sie mit ihren Eltern wieder weiterziehen. Als Privatschule ist die ISA auch ein Wirtschaftsunternehmen. Sie muss nicht nur pädagogisch überzeugen, sondern auch schwarze Zahlen schreiben. Der operative Betrieb finanziert sich
das Schulgeld der Eltern und Fördergelder des Staates, der alle Privatschulen bei den laufenden Kosten unterstützt. „Insgesamt macht die Förderung des Staates knapp 20 Prozent des ISA-Haushalts aus“, sagt Wagner. Die Eltern zahlen zwischen 1000 und 1200 Euro pro Monat. Rücklagen ließen sich damit nicht bilden – „insbesondere, weil eventuelle Gewinne immer direkt in die Verbesserung des Schulbetriebs fließen“.
Zwar wird der Freistaat auch den Neubau mitfinanzieren, doch der Schulleiter ist überzeugt davon, dass Schulen sich in Zukunft nicht mehr auf den Staat mit seinen zahllosen Herausforderungen werden verlassen können. „Rente, Pflege und dann noch langfristig hochwertige Bildung? Die Finanzierungslücke, die sich da auftut, wird sich meiner Ansicht nach nur mit dem Engagement privater Investoren schließen lassen.“Gefragt nach dem perfekten Investor, zeichnet Wagner ein klares Bild. Grundsätzlich sei wichtig, „dass sich Aktionäre für das Schulkonzept interessieren und damit identifizieren“. Wagner hofft auf Aktionäre, die erkennen, welchen Standortvorteil die Schule für Fachkräfte biete, die zum Arbeiten nach Schwaben kommen. Die neue medizinische Fakultät der Uni Augsburg mit dem Medizintechnik-Campus, der Innovationspark, der zukunftsträchtige Firmen anzieht: „An all diesen Standorten werden internationale Fach- und Führungskräfte benötigt“, sagt Wagner. Und diese kämen eher an einen Ort, an dem sie für ihre Kinder eine internationale Schule vorfänden. Kosten soll die Aktie zunächst zehn Euro.
Wagner ist an der ISA für das Finanzgeschäft zuständig. Die pädagogische Leitung hat die Irin Cathie Mullen. Sie erklärt, wie die Aktie auch mit pädagogischen Mitteln an Wert gewinnen kann. „Wenn wir weiter innovativ sind, wenn wir Auszeichnungen erhalten, steigt auch das Renommee der Schule. Das lockt neue Familien und Schüler an. Und steigert den Wert der ISA als Marke.“Hat sie keine Angst, dass die neuen Aktionäre mitbestimmen wollen, wie die Lehdurch rer ihre Arbeit zu machen haben? Mullen schüttelt vehement den Kopf: „In der Hauptversammlung können die Aktionäre Anträge einbringen. Diese prüfen wir auch.“Aber das Lernverständnis der ISA baut auf einem festen Konzept auf: dem englischsprachigen International-Baccalaureate-Programm.
Schüler sollen dabei nicht nur Wissen, sondern auch soziale Verantwortung erwerben. Jede Schule in diesem Programm muss sich an einheitliche Kriterien halten. Der Erfolg hängt davon ab, dass sie die Vorgaben erfüllt. „Das sollte den Interessen der Aktionäre gerecht werden.“Mullen teilt die Meinung, dass Bildungseinrichtungen selbst ihre finanzielle Zukunft in die Hand nehmen sollten. „Wir werden die erste Schule sein, die Aktien ausgibt, aber wir sind überzeugt, dass wir nicht die letzte sein werden.“
Siebtklässler Tyler freut sich auf den neuen Campus. Woher das Geld dafür kommt, interessiert ihn nicht allzu sehr. Ihm ist wichtig, „dass es einen größeren Platz zum Fußballspielen geben wird“.