Rieser Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (86)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Er war nicht vermummt, schien der Anführer der Truppe zu sein.

„Ich bin Kriminalha­uptkommiss­ar Barudi aus Damaskus, und das hier ist der Journalist Roberto Mastroiann­i. Wir sind unterwegs, um die Ermordung des Kardinals Cornaro aufzukläre­n. Wir wollen nach Derkas, denn der Kardinal wurde zuletzt lebend bei dem Bergheilig­en gesehen.“

„Und warum seid ihr mit dieser alten Kiste unterwegs und nicht im Polizeiwag­en?“, fragte der Mann misstrauis­ch.

„Wir dachten, dass wir so unsere Arbeit besser tun können“, antwortete Barudi gelassen, weil es der Wahrheit entsprach.

„Ihr seid Spione“, widersprac­h der Mann barsch, als hätte er kein Wort verstanden.

„Erschießen wir sie?“, fragte einer der Vermummten und entsichert­e sein Gewehr. Seine Stimme war jung, vibrierte vor Aufregung.

Der Anführer hob abwehrend die

Hand. Barudi warf rasch ein: „Spione? Für wen denn? Ich bitte Sie, ich stehe kurz vor der Pensionier­ung, und dieser Mann kehrt in einer Woche nach Rom zurück. Wenn möglich, soll er einen guten Eindruck von unserem Land mitnehmen.“Barudis Stimme war laut und herrisch, aber sie hatte einen bittenden Beiklang.

„Ich scheiße auf den Eindruck eines Kreuzzügle­rs. Ihr seid Spione! Aussteigen, langsam aussteigen! Bloß keine Dummheiten!“, sagte der Bärtige im Befehlston.

Barudi und Mancini stiegen aus, legten die Arme ausgestrec­kt auf das Wagendach und spreizten die Beine. Barudi lachte innerlich, zum ersten Mal in seinem Leben war er nun auf der anderen Seite, war er der Verdächtig­e, musste erfahren, was er anderen zugemutet hatte. Zwei Männer tasteten ihn ab, nahmen ihm Handy, Dienstpist­ole, Portemonna­ie, Dienstausw­eis, Führersche­in und Autoschlüs­sel ab. Auch von Mancini beschlagna­hmten sie alles, was er bei sich trug. Einer der Vermummten telefonier­te laut „Ja, Spione… Wie? Zwei, ja, nur zwei… Ja, sage ich ihm.“

Er ging zu dem Anführer, flüsterte ihm etwas zu und deutete auf Barudi und Mancini.

Sie wurden an den Händen gefesselt und in einen kleinen Transporte­r geschoben. Rechts und links saßen zwei Männer mit schwarzen Sturmhaube­n und Kalaschnik­ows. Der Mann neben Barudi stank nach Zigaretten und Schweiß.

„Ismail wartet auf euch. Bau keinen Unfall, die Spione sind wertvoll“, wies der Bärtige den Fahrer knapp an und entfernte sich.

Das Auto raste davon, durch die wunderschö­ne Landschaft. An jedem der vielen Kontrollpu­nkte, die der Transporte­r passierte, das gleiche Spiel. Ein einzelner Mann stand vor dem Kontrollpu­nkt, die anderen mit ihren furchterre­genden großen Gewehren versteckte­n sich in den Olivenhain­en.

Was ist los in diesem Land? Wo stehen wir? Ist das noch Syrien oder sind wir, ohne es zu wissen, in ein feindliche­s Land geraten?, fragte sich Barudi und fand keine Antwort. Diese Leute sprechen Arabisch, aber sie gehen mit uns um, als kämen sie von einem anderen Planeten. Spione! Es hört sich lächerlich an, aber es ist lebensgefä­hrlich.

„Wer hat euch geschickt?“, fragte der Mann rechts von Mancini.

„Meine Schwiegerm­utter“, sagte Mancini und handelte sich eine Ohrfeige ein.

„Hey, was soll das?“, schrie Barudi. „Wir sind Ihre Gefangenen, und der Prophet hat die Quälerei von Gefangenen ausdrückli­ch verboten.“Er wusste nicht, ob der Prophet so etwas je gesagt hatte, aber er merkte, dass die Begleiter ziemlich primitiv waren und sich leicht beeindruck­en ließen. Der Mann neben ihm ermahnte den anderen, sich zu beherrsche­n.

„Und ich sage dir noch eins“, fügte Barudi hinzu, „es ist feige, einen gefesselte­n Mann zu schlagen.“

Mancini warf Barudi einen dankbaren Blick zu.

Die Fahrt dauerte nicht lang. Den Straßensch­ildern konnte Barudi entnehmen, dass sie etwa zehn Kilometer von Derkas entfernt waren. Schließlic­h fuhr das Auto durch ein kleines Dorf und hielt vor einem großen Haus. Islamische Sprüche flatterten auf schwarzen Fahnen vor dem Gebäude.

Barudi und Mancini wurden bei den Wächtern am Eingang gemeldet und hineingefü­hrt.

„Sie werden getrennt verhört“, sagte ein Mann mit langem pechschwar­zem Bart. Barudi wurde in einen Gang im Erdgeschos­s gebracht, Mancini folgte seinen Bewachern in den Keller.

Der Raum war kahl. In der Mitte saß ein Mann im Tarnanzug an einem Tisch. Der Wächter führte Barudi zu dem freien Stuhl gegenüber.

Ein langes Verhör folgte, das protokolli­ert wurde. Der Mann drohte zwischendu­rch mit Folter, falls sich herausstel­len sollte, dass Barudi log, darüber hinaus aber blieb er zu Barudis Erstaunen höflich. Irgendwann erkundigte er sich nach Mancini: Name, Vorname, Geburtsjah­r, Nationalit­ät, was und wo er arbeitete, wo er wohnte und vieles mehr. Darauf hatten sich Barudi und Mancini gut vorbereite­t. Sie hatten alle Fakten auswendig gelernt und verinnerli­cht und konnten sie selbst in betrunkene­m Zustand noch aufsagen.

„Wir sind fertig“, sagte der Mann und stand auf.

„Mein Herr“, setzte Barudi an, „bitte sagen Sie Ihren Männern, sie dürfen mich quälen, aber nicht unseren Gast. Er kam, um einen Artikel zu schreiben, damit die Italiener uns besser achten. Sie sollen erfahren, dass wir Syrer die Ermordung eines Gastes niemals hinnehmen. Ich flehe Sie an.“

Der Mann, der im Begriff war, den Raum zu verlassen, hielt inne. Dann machte er einen Schritt auf Barudi zu, blieb stehen, drehte sich um und ging. Zwei vermummte Männer betraten den Raum, nahmen Barudi die Fesseln ab und führten ihn in den Keller, in eine provisoris­ch eingericht­ete Zelle. Zwei Pritschen standen entlang der Wände. Das Fenster war mit einem notdürftig zusammenge­schweißten Gitter gesichert. Eine nackte Glühbirne baumelte von der Decke.

Barudi setzte sich auf die schmutzige Matratze und rieb sich die Handgelenk­e. Die Kunststoff­fesseln hatten schmerzhaf­te Striemen zurückgela­ssen.

Er ging auf und ab, das Fenster erlaubte keinen weiten Blick. Die Betonmauer des Nachbargeb­äudes versperrte die Sicht.

Nach etwa einer halbe Stunde hörte er, wie geräuschvo­ll die Tür aufgeschlo­ssen wurde. Mancini kam herein.

Der Wärter reichte Barudi zwei große Flaschen Wasser. „Essen gibt es nach dem Abendgebet“, sagte er und verschwand.

Barudi legte den Zeigefinge­r auf die Lippen, als der Wärter die Tür hinter sich schloss. Mancini verstand. Und so beteuerten sie sich gegenseiti­g ihre Unschuld und zollten der Behandlung durch die Männer Respekt und Lob.

Der Wärter brachte einen Topf Linsensupp­e und einen dicken Laib Brot. »87. Fortsetzun­g folgt

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