Uli Karg präsentiert mit „Goldener Oktober“dritte Folge
(3) Der Autorenclub Donau-Ries schreibt im Leseherbst Geschichten für die Leser der Rieser Nachrichten
Der röhrende Sound eines getunten Autos hatte Hedwig aus einem Traum gerissen. Nun war sie hellwach, stand auf, dehnte sich am offenen Fenster wie eine Katze und holte tief Luft. Wieder so ein nebliger Tag, den sie gar nicht mochte! Nach dem Frühstück sah sie auf den Kalender. Das Oktoberbild zeigte bunte Laubbäume, die sich in einem See spiegelten. Hedwig hatte an diesem Tag nichts vor und entschied sich, dem Blues zu entfliehen, der sich wieder mal in ihrem Herzen breitgemacht hatte. Sie rüstete sich für einen Waldspaziergang. Ihr Ziel war Harburg. Unten an der Wörnitz zogen Nebelschwaden ihre Bahnen. Vorbei am großen Parkplatz unterhalb der Burg fuhr Hedwig den Hühnerberg hinauf. Oben hatte sich der Dunst aufgelöst und die Sonne verteilte großzügig ihre wärmenden Strahlen.
Sie parkte den Wagen am Jüdischen Friedhof und stieg aus. Weit und breit keine Menschenseele, gut so! Sie schloss die Augen und atmete tief die frische, feuchte Morgenluft ein. Danach sah sich um. Der Mischwald hatte sein buntes Kleid übergestreift. Die Blätter leuchteten in warmen Herbsttönen von gelb über orange, rot und braun. Viele hingen noch an den Ästen, manche
sich auf den Wegen der Waldruh niedergelassen. Hedwig ging bergauf zu ihrem Baum. Vor einigen Jahren hatte sie dort ihren geliebten Mann bestattet. Schützend breiteten sich die Äste über den Ruheplatz. In den Spinnweben des Unterholzes hingen Tautropfen und spiegelten das Licht der Sonne, die sich an diesem Morgen den Weg durch die Bäume gebahnt hatte. Altweibersommer. Hedwig dachte schmunzelnd darüber nach, dass sie inzwischen auch zu den alten Weibern gehörte. Für ihren Mann hatte sie gelbe Rosen mitgebracht und legte sie auf der Ruhestätte neben dem kleinen Stein und einem leeren Schneckenhaus ab. Alles war endlich. Das wurde ihr hier wieder bewusst.
Ihr Anton war viel zu früh von ihr gegangen. Sie hatten noch viele Pläne für die Zeit als Rentner gemacht. Doch von einem Tag auf den anderen war alles anders. Hedwig war realistisch. Auch sie befand sich im Herbst ihres Lebens. Wieviel Zeit auf Erden war ihr noch vergönnt? Sie sprach leise mit ihrem Mann über ihren Alltag, als stünde er gegenüber. Hier in der Waldruh war sie ihm besonders nahe. Es war gut, so einen Platz zu haben. Sie sehnte sich so sehr nach Zweisamkeit, die ihr nun verwehrt war. Tränen bahnten sich den Weg über die Wangen und versickerten im Seidenschal. Leise schluchzte sie und griff nach einem Taschentuch.
„Geht es Ihnen nicht gut? Brauchen Sie Hilfe?“Eine sonore Männerstimme von hinten riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und sah in ein besorgtes Gesicht. „Geht gleich wieder. Hier holt mich immer die Erinnerung ein“, entgegnete Hedwig. „Ich habe Sie gar nicht kommen hören.“- „Der Waldboden schluckt viele Geräusche. Wirklich alles in Ordnung?“Hedwig nickte und trocknete die letzten Tränen. Dabei betrachtete sie den Herrn, der sie angesprochen hatte, genauer. Stattliche Erscheinung, gepflegtes Äußeres, auf den ersten Blick sympathisch, stellte sie fest.
„Ich will Sie keineswegs in ihrer Trauer stören, aber zur Aufmunterung würde ich Sie gerne auf einen Kaffee einladen“, meinte er nun und lächelte sie an. „Warum nicht? Für Kaffee wäre jetzt ein guter Zeithatten punkt.“- „Im Café Käferlein unten in der Altstadt?“- „Einverstanden! Ich heiße Hedwig.“- „Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Xaver.“Im Café erfuhr Hedwig, dass er schon lange Witwer war und seit dem Tod seiner Frau allein lebte. Im angeregten Gespräch fanden die beiden viele Gemeinsamkeiten und verabredeten ein baldiges Treffen. Sollte es in Hedwigs Leben doch noch einen schönen Herbst geben?