Rieser Nachrichten

St.‰Marien‰Kirche: Die ungleichen Brüder

- Peter Urban

Eigentlich ist es ein Sakrileg, dass das durchaus imposante Äußere einer Klosterkir­che in Auhausen mit zwei mächtigen Türmen durch den rücksichts­losen Einbau eines riesigen Getreideka­stens verunstalt­et wird. Eine historisch­e Bausünde, die sich nicht nur über das Kirchensch­iff er‰ streckt, sondern die sich selbst noch zwischen die Türme fast bis zur Höhe des obersten Turmgescho­sses hindurchzw­ängt und ganz oben gestalteri­sch mit scheunento­rartigen Öffnungen und zur Krönung einem profanen Kran, der aus der Fassade ragt, glänzt. Sicher ist, dass diese seltsame Kombinatio­n wohl einmalig in der Sakralbau‰Geschichte sein dürfte. Dabei kann man sich der Fas‰ zination, die die beiden Türme, steht man direkt vor ihnen, ausstrah‰ len, nicht entziehen. Der linke, äl‰ tere Turm aus dem Jahr 1286 (der Vorgänger war 1197 eingestürz­t) ist eindeutig romanisch, der rechte, 1324 gebaute Turm ist gotisch und diente, vermutet man, haupt‰ sächlich dazu, die fünf Glocken, die auch heute noch in den Türmen schlagen, besser zu verteilen, um die mangelhaft­e Statik, die wohl dem ersten Turm zum Verhängnis ge‰ worden war, auszugleic­hen. Jetzt thronen im rechten Turm die soge‰ nannte Feuerglock­e und die Elfuhr‰ glocke, wäh‰ rend sich im linken Turm die Zwöl‰ fuhrglocke, die Tauf‰ und die Vespergloc­ke aus den Jahren 1264 bis 1280 be‰ finden. Dass sie heute noch dort oben hängen, hat durchaus mit ihrem Alter zu tun: Sie waren im Zweiten Weltkrieg schon zu den Schmelzöfe­n abtrans‰ portiert worden, doch wegen ihres Wertes glückliche­rweise hintange‰ stellt worden. Erklimmt man die Türme, fällt auf, dass sie über eine zunächst steinerne Wendeltrep­pe erreichbar sind, die dann in eine höl‰ zerne (mit identische­n „Wendeln“) übergeht, man erblickt den riesigen Getreideka­sten und auch die Reste des ehemaligen „Krans“. Wenn man dann allerdings die über 800 Jahre alten Glocken direkt vor Augen hat, ist man schon ein wenig ergriffen, dass man diese Kunstwerke, die Hun‰ derte von Jahren überdauert ha‰ ben, noch erleben – und sogar hören – kann.

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Foto: Peter Urban Die Türme der Marienkirc­he in Au‰ hausen.

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