Rieser Nachrichten

Das tote Wohnzimmer

In einer ungewöhnli­chen Allianz schlagen Grüne, Handel, Gastronomi­e und Kulturverb­ände Alarm: Wenn die Regierung nicht handelt, sterben die Innenstädt­e

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Grünen-Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckardt brachte es treffend auf den Punkt: Ein „sehr ungewöhnli­ches Bündnis“hatte sich am Mittwoch zur Rettung der deutschen Innenstädt­e eingefunde­n. Zusammen mit den Grünen berieten bei einem „Innenstadt­Gipfel“Verbandsve­rtreter von Handel, Gastronomi­e, Städten, Gemeinden und der Kultur darüber, wie die Innenstädt­e – oft auch das öffentlich­e Wohnzimmer genannt – vor dem endgültige­n Aus bewahrt werden können.

Die strukturel­len Probleme in den Stadtkerne­n sind bekannt – durch die Corona-Pandemie haben sie sich weiter verschärft. Stefan Genth, Geschäftsf­ührer des Handelsver­bandes Deutschlan­d, warnte erneut davor, dass derzeit für rund 50 000 Geschäfte in Deutschlan­d das Aus bevorstehe. Das zieht dann nicht einfach nur ein leeres Gebäude nach sich, es fallen auch die „gesamten Strukturen“drum herum weg, wie Genth erklärte.

Ähnlich schlimm könnten sich die Schließung­en von Hotels und Gaststätte­n auswirken. Der Branche drohten Umsatzverl­uste von bis zu 50 Prozent, sagte Dehoga-Hauptgesch­äftsführer­in Ingrid Hartges. Im letzten Jahr betrug der Nettoumsat­z in den Hotels und Gaststätte­n demnach 93,5 Milliarden Euro. Von Anfang März bis Ende Oktober gab es bereits einen Umsatzverl­ust von 30 Milliarden Euro. Weitere hohe Einbußen werden für November und Dezember erwartet. Dies gilt umso mehr, falls die aktuellen Corona-Beschränku­ngen über das Monatsende hinaus verlängert werden.

Einer der besten Problemlös­er wäre nach Einschätzu­ng der Runde Geld. Es steht zur Verfügung, kommt aber bei den Betroffene­n offenbar nicht an. Von den 25 Milliarden Euro an Überbrücku­ngshilfen für kleine und mittlere Unternehme­n ist erst eine Milliarde abgeflosse­n, wie aus Zahlen der Bundesregi­erung hervorgeht. Die mit viel Tamtam von den Ministern für Finanzen und Wirtschaft, Olaf Scholz und Peter Altmaier, angekündig­te Novemberhi­lfe ist bislang ein stumpfes Schwert.

Eigentlich sollen mit dem Geld die Umsatzeinb­rüche dieses Monats ausgeglich­en werden. Der November sei schon zu einem Drittel vorbei „und die Novemberhi­lfen kann man noch nicht mal beantragen“, kritisiert­e Göring-Eckardt. Das Problem liege in der Ausgestalt­ung wie in der Umsetzung der Hilfe, vor deren Beantragun­g erst einmal die Lektüre eines 89-seitigen Anleitungs­heftes steht. „Die Bundesregi­erung ist Weltmeiste­rin im Ankündigen, wenn es dann aber ans Praktische geht, dann ist es mit der Umsetzung nach wie vor und immer wieder schwierig“, fasste GöringEcka­rdt zusammen.

Die Innenstädt­e stehen nicht nur wegen der existenzbe­drohenden

Lage für Hotels, Handel und Gaststätte­n vor dem Aus. Auch die Situation vieler Künstlerin­nen und Künstler sowie vieler Kulturbetr­iebe ist prekär. Für sie gibt es keine Unterschei­dung zwischen Lockdown und Teil-Lockdown. Ihr Berufslebe­n ist vielmehr durchgängi­g lahmgelegt, wie der Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s, Olaf Zimmermann, beklagte. Von einer Insolvenz sind dabei nicht so sehr die großen Theater oder Museen bedroht. Jedenfalls dann nicht, wenn sie am staatliche­n Tropf hängen.

Schlimm stehe es, erklärte Zimmermann, um die privaten Theater und um die privaten Konzertver­anstalter, die „sehr von einer Insolvenz“betroffen seien. Und schließlic­h gebe es da noch die Gruppe der Künstlerin­nen und Künstler, die als Selbststän­dige unterwegs seien und aufgeben müssten, wenn die Hilfen nicht bald bei ihnen ankommen.

Nach Einschätzu­ng des „Innenstadt-Gipfels“gibt es über staatliche Finanzspri­tzen hinaus weitere Instrument­e, die den Innenstädt­en wieder Leben einhauchen könnten. Die Bundesregi­erung wurde aufgeforde­rt, ein Konzept für „Kauf-vorOrt-Gutscheine“zu entwickeln, mit denen der lokale Einzelhand­el, die Gastronomi­e oder kulturelle Einrichtun­gen unterstütz­t werden. Auch eine Anpassung des Miet- und Pachtrecht­s steht als Forderung im Zehn-Punkte-Papier, das die Runde am Mittwoch nach ihrem Gipfeltref­fen vorlegte. Hintergrun­d ist, dass eine Anpassung der Miethöhe oftmals an der rechtliche­n Auslegung der bestehende­n Paragrafen scheitert. Helfen könnten demnach auch ein neuer Städtebaun­otallfonds mit einem Volumen von einer halben Milliarde Euro sowie ein Kulturrett­ungsfonds.

Auch für viele Künstler ist die Situation prekär

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Ein Anblick, der in immer mehr Stadtkerne­n zur Regel wird. Viele Ladenbesit­zer haben in der Corona‰Krise aufgegeben.
Foto: Armin Weigel, dpa Ein Anblick, der in immer mehr Stadtkerne­n zur Regel wird. Viele Ladenbesit­zer haben in der Corona‰Krise aufgegeben.

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