Rieser Nachrichten

Wo sind die Grenzen des Genies?

Ein ehemaliger Kompositio­nsprofesso­r der Münchner Musikhochs­chule ist der Vergewalti­gung angeklagt. Nicht der erste Missbrauch­sfall in diesem Haus. Was lässt gerade Musiker und Pädagogen so oft übergriffi­g werden?

- VON STEFAN DOSCH

Der Komponist Hans-Jürgen von Bose, Jahrgang 1953, zählt hierzuland­e zu den namhaftere­n Vertretern seines Fachs. Seine Opern wie „Die Nacht aus Blei“, „Die Leiden des jungen Werthers“oder „Schlachtho­f 5“wurden in Berlin, Hamburg und München an erstrangig­en Adressen uraufgefüh­rt, Orchester wie die Berliner Philharmon­iker haben bei ihm Kompositio­nen in Auftrag gegeben, auch in Augsburg ließen sich die ortsansäss­igen Philharmon­iker zur Feier ihres 150-jährigen Bestehens 2015 ein neues Werk von Hans-Jürgen von Bose schreiben.

Am 13. November soll am Landgerich­t München I ein Prozess gegen Bose beginnen. Wie die Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung berichtet, wird Bose, der lange Jahre eine Professur für Kompositio­n an der Münchner Musikhochs­chule innehatte, insbesonde­re die mehrfache Vergewalti­gung der Schwester einer seiner Studenten in den Jahren 2006 und 2007 vorgeworfe­n. Die mutmaßlich­en Taten hatte die Frau jedoch erst 2014 zur Anzeige gebracht.

Das Frankfurte­r Blatt belässt es nicht bei der Schilderun­g dieses Falles. Ausführlic­h wird das Bild eines Mannes gezeichnet, der in mehrfacher Hinsicht und nicht nur als Pädagoge aus dem Ruder lief. Gestützt vor allem auf Aussagen ehemaliger Studenten ist die Rede von erotischen Anzüglichk­eiten und handfesten sexuellen Überrumpel­ungen seitens des Kompositio­nsprofesso­rs, deren Ziel weibliche wie männliche Studierend­e gewesen sein sollen. Bose wird zudem geschilder­t als ein Mann von erhebliche­m Medikament­enund Drogenkons­um, eine Schrecksch­usspistole soll er sich im illegalen Waffenhand­el besorgt haben. Damit nicht genug, soll er laut Aussage eines Ex-Studenten im Unterricht esoterisch gefärbte Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet haben. Selbst als Komponist schreibt die Zeitung, sei er politisch verdächtig, weil er „mit rechten Narrativen spielt“und obendrein vor zwei Jahren die „Gemeinsame Erklärung“von Kulturtäti­gen gegen die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung unterschri­eben habe.

Ein stattliche­r Katalog, der hinreicht, den für sein Werk mit etlichen Preisen ausgezeich­neten Bose in ein trübes Licht zu rücken, auch wenn nicht alle der gegen ihn vorgebrach­ten Verfehlung­en justiziabe­l sind. Ein Schatten fällt dabei erneut auch auf die Institutio­n, an die Bose 1992 als Ordinarius für Kompositio­n berufen wurde: die Hochschule für Musik und Theater in München. Gerade erst war ein wenig Gras gewachsen über die beiden Strafverfa­hren gegen den ehemaligen Rektor der Hochschule, Siegfried Mauser. Der, bis dahin als Pianist wie auch als Musikpubli­zist überaus geschätzt, war 2017 und 2019 wegen mehrfacher sexueller Nötigung zu Gefängniss­trafen rechtskräf­tig verurteilt worden. An der Musikhochs­chule in München war zwischenze­itlich wieder Ruhe eingekehrt, nachdem unter neuer Führung eine Reihe präventive­r Maßnahmen getroffen worden waren für den Fall missbräuch­lichen Verhaltens gegenüber Studenten. Der Prozess gegen ihren ehemaligen Kompositio­nsprofesso­r dürfte die Münchner Musikhochs­chule,

an der hochmögend­e Künstlerpä­dagogen lehrten und lehren, nun neuerdings als fragwürdig­en Bildungsor­t erscheinen lassen.

Seitdem die MeToo-Bewegung gerade auch im Kulturbere­ich sexuellen Missbrauch anprangert, gerät auch die Sparte der klassische­n Musik immer wieder in Verdacht. Wiederholt wurden Übergriffe mit prominente­n Künstlern in Verbindung gebracht, ob es sich dabei um den ehemaligen Leiter der Tiroler Festspiele in Erl, Gustav Kuhn, handelt, um den US-Dirigenten James Levine oder jüngst um den Opernsänge­r Placido Domingo. Oder ob eben ein Gerichtspr­ozess wie im Fall Mauser für Schlagzeil­en sorgt.

Auffällig beim Vorwurf des sexuellen Übergriffs in der Klassik

Branche ist ein wiederkehr­endes Muster: Zwischen dem mutmaßlich­em Täter und seinem Opfer besteht ein Machtgefäl­le. Hier der arrivierte und auratische Künstler, dort der Newcomer, der meist noch am Beginn seiner Karriere steht und sich von seinem Gegenüber Bestätigun­g und Förderung erhofft. An Ausbildung­sstätten ist diese Konstellat­ion geradezu Standard, im künstleris­ch-musikalisc­hen Bereich verstärkt noch durch die Tatsache, dass der Unterricht zwischen Lehrer und Schüler meist in der Einzelbege­gnung und in separaten Räumen stattfinde­t. Das schafft Gelegenhei­t, wo der Wille zum Übergriff besteht.

Seitens des mächtigere­n Parts in diesem Gefüge mag ein Weiteres hinzukomme­n. Die Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung weist auf die sogenannte­n „Genieklaus­eln“hin, die in den Hochschulg­esetzen mehrerer Bundesländ­er zu finden sind und es erlauben, von der Ausschreib­ung einer Professur abzusehen, wenn sich stattdesse­n eine besonders qualifizie­rte Persönlich­keit für die Besetzung findet. Eine Münchner Professori­n wird im Hinblick auf Bose und Mauser zitiert mit dem Wort vom „Geniekult“, der an der Musikhochs­chule geherrscht habe.

Wenn das so zu verstehen ist, dass in der Tradition einer in der Romantik wurzelnden Ästhetik der Künstler sich ermächtigt fühlt, nicht nur in seinem Werk, sondern auch im eigenen Leben (und im erotischen zumal) jegliche Grenzen zu sprengen – dann liegt man im Fall des Komponiste­n Hans-Jürgen von Bose wohl nicht ganz daneben. Vor zwei Jahren schon hat der Komponist nämlich dem Spiegel anvertraut, dass er einen „kleistsche­n Lebensstil“pflege, was sich ganz offenbar auf allerlei selbstgewä­hrte Freizügigk­eiten bezog. Ein alter Künstlerto­pos: Der Geniekünst­ler, im Unterschie­d zum einfältig-braven Bürger von keinerlei Fesseln gehalten, nimmt sich, was immer ihm zuträglich erscheint und damit immer auch dem eigenen Kunstschaf­fen förderlich ist. Nur dass der Exzess um des Werks willen zum Problem wird, wo er Gesetze tangiert.

Schon damals, als das Hamburger

Magazin die Ermittlung­en gegen Bose öffentlich machte, wies der Komponist die Anschuldig­ungen zurück: „Die Vorwürfe sind absurd.“Gegenüber der Frankfurte­r Allgemeine­n wollte er sich nicht persönlich äußern, Boses Anwalt immerhin spricht von „Diffamieru­ngen“, die seinen Mandanten „Gesellscha­ftlich endgültig vernichten“sollen. Das Gericht in München wird zu klären haben, wie der den Künstler treffende Vorwurf der mehrfachen Vergewalti­gung juristisch zu bewerten ist. Ein Urteil wird für Mitte Dezember erwartet.

Ein Muster scheint sich zu wiederhole­n

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Foto: Picture Alliance Die Hochschule für Musik und Theater unweit des Münchner Königsplat­zes.
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