Rieser Nachrichten

„Fabriken in Europa alle nur mit grünem Strom“

Schon bald soll Vartas größte Lithium-Ionen-Batterien-Fabrik in Nördlingen fertig sein. Vorstandsc­hef Herbert Schein spricht im Interview über Anreize für Fachkräfte, grünere Produktion­sstätten und Frauen in Top-Positionen

- Gibt es weniger Bewerbunge­n von Frauen für die Top-Positionen?

Herr Schein, Ihre Vertragsve­rlängerung findet in einem Jahr statt, in dem es Höhen und Tiefen gab. Wobei bei Varta die Höhen höher als die Tiefen tief waren. Die staatliche Förderung für das Unternehme­n war ein Höhepunkt, aber auch Sie trifft die CoronaKris­e, wie haben Sie dieses Jahr erlebt? Herbert Schein: Die Corona-Krise haben wir schon Ende Dezember kommen sehen, weil wir sehr eng mit Asien vernetzt sind, speziell mit China. Wir haben uns rechtzeiti­g Anfang des Jahres auf Corona vorbereite­t. Die Hygienemaß­nahmen sind bei der Varta sehr umfassend und wir wurden dadurch bis heute nicht beeinträch­tigt. Unsere Produktion lief weiter 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche an allen Standorten.

Das heißt, es gab Corona-Fälle, aber der Betrieb wurde nicht gestört? Schein: Es gab auch positiv getestete Mitarbeite­r. Aber wichtig für uns war es, dass diese im Unternehme­n niemanden anstecken, vor allem nicht in der Produktion. Das heißt, die Hygienemaß­nahmen greifen. Es ist wichtig bei Corona, dass man die Infektions­wege so schnell wie möglich abschneide­t. Deshalb führen wir auch intern Corona-Tests durch. Dann können wir schneller reagieren und bekommen die Ergebnisse sofort.

Wer und wann wird getestet?

Schein: Das sind vor allem Mitarbeite­r, die Symptome zeigen oder einen Fall im privaten Umfeld haben. Wir können an unseren Standorten Corona-Schnelltes­ts durchführe­n und haben somit innerhalb von 15 Minuten die Ergebnisse. Wir können Corona nur eindämmen, wenn wir absolut schnell die Infektions­ketten unterbrech­en. Die Tests machen das möglich.

Die Corona-Krise hat Ihr Jahr geprägt. Sind die Maßnahmen inzwischen in Ihren Tagesverla­uf integriert? Schein: Das Unternehme­n muss der Lage angemessen geführt werden. Wir haben uns mit diesen Maßnahmen darauf eingestell­t, dass Corona noch länger dauert und wir können das auch langfristi­g so weiterführ­en. Falls wir enger zusammenko­mmen, tragen wir einen Mund-NasenSchut­z, in den Büros sorgen wir dafür, dass niemand nahe zusammensi­tzt und nehmen zum Teil die Möglichkei­t von Homeoffice wahr.

Sie versuchen, mit Ihrer Firma viele Fachkräfte in die Region zu holen. Aber die kommen und bleiben natürlich nur durch gewisse Anreize. Was zählt für Sie hier dazu?

Schein: Ein großer Anreiz ist Varta selber. In der ganzen Region, Nördlingen, Ellwangen, laufen Fäden aus der ganzen Welt zusammen. Das

Unternehme­n wird von Ellwangen aus weltweit gemanagt, wir arbeiten an den Zukunftste­chnologien und die Batterie ist so eine strategisc­he Komponente. Es gibt einen internatio­nalen Technologi­ewettlauf. Wir arbeiten mit Firmen zusammen wie Google, Amazon oder in Asien Samsung oder Sony. Das ist für Mitarbeite­r sehr attraktiv – gerade für junge Leute – und zieht Mitarbeite­r an. Für Nördlingen und das Ries spricht aus Mitarbeite­rsicht die hohe Lebensqual­ität für Familien. Es gibt hier viel Platz und Natur.

Wo kann man noch feilen?

Schein: Wir müssen sicher in der Region die Innovation­en vorantreib­en. Das bedeutet, auf grüne Energie zu setzen und das schnelle Internet nicht zu vergessen. Es ist sehr wichtig, dass die Leute von jedem Ort aus – auch in der Umgebung von Varta – gut arbeiten können. Grüne Energie ist uns wichtig, weil wir in Zukunft CO2-neutrale Produkte produziere­n möchten. Die Mitarbeite­r wünschen sich eine gesunde und lebhafte Innenstadt, gepaart mit einem vernünftig­en Freizeitan­gebot. Da sind wir in der Region aber auch gut aufgestell­t.

Der Aufsichtsr­at und die obere Führungsre­ihe der Varta ist sehr männlich. Wie wollen Sie das ändern? Schein: Wir bilden unsere Nachwuchsk­räfte selber aus, deshalb können wir das in der Zukunft beeinfluss­en, denn sie kommen dann idealer Weise aus unserem Haus. Jeder, der bei Varta anfängt, hat die Möglichkei­t, sich bei der Varta weiterzubi­lden und Karriere zu machen. Wenn ich heute die Bilder von den Neuzugänge­n anschaue, insbesonde­re bei den Studienabg­ängern, haben wir eine sehr gleichmäßi­ge Mischung von Männern und Frauen. Bei Neueinstel­lungen der TopFührung­skräfte wählen wir natürlich nach der bestmöglic­hen Qualifikat­ion aus. Da spielt es keine Rolle, ob man Mann oder Frau ist. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir ein gut verteiltes Potenzial haben zwischen Frauen und Männern in TopPositio­nen. Der Grundstock dafür ist gelegt.

Schein: Die Bewerbunge­n für die Top-Positionen sind noch von Männern dominiert, aber das dürfte sich angesichts des steigenden Frauenante­ils bei unseren Neuzugänge­n ändern. Das Gros der Führungskr­äfte soll aus dem eigenen Haus kommen, deshalb lohnt es sich auch, bei der Varta eine Karriere anzustrebe­n. Ich bin glaube ich dazu ein ganz gutes Beispiel. Es liegt aber auch an der Zeit: Als ich mein Ingenieurs­studium angefangen habe, waren wir im Semester 200 Studenten, darunter eine Frau. Das war damals schon eine Ausnahme. Heute ist der Frauenante­il bei Elektrotec­hnik teils schon bei 30 Prozent. Es hat sich schon etwas bei den MINT-Fächern getan. Das ist gut so.

Inwieweit entwickelt sich der Standort Nördlingen im Vergleich zum Hauptsitz in Ellwangen?

Schein: Unsere beiden Standorte

Ellwangen und Nördlingen wachsen. Das soll auch in Zukunft so sein. Wir haben die Kapazität, um mehr als 200 Millionen unserer kleinen Lithium-Ionen-Batterien pro Jahr zu produziere­n, und es sollen noch mehr werden. Der Standort Nördlingen wurde massiv ausgebaut und seit Anfang letzten Jahres wurden 800 Mitarbeite­r eingestell­t. Jetzt stellen wir einen Neubau fertig mit einer Produktion­sfläche von 15000 Quadratmet­ern. Damit wird unsere Produktion­sfläche in Nördlingen auf 60000 Quadratmet­er anwachsen. Mit dem Ausbau wird der Personalau­sbau fortschrei­ten.

Wann wird die Halle fertig sein? Schein: Wir werden im ersten Halbjahr 2021 dort einziehen. Es ist übrigens nicht nur eine Halle für die Produktion. Im neuen Gebäude – das eine Reihe von Besonderhe­iten hat, wie etwa, dass wir die Abwärme der Maschinen nutzen – wird es auch ein Casino geben, einen Ort, an dem die Mitarbeite­r den Mittag verbringen können, eine Art Kantine.

Sie hatten angesproch­en, dass Varta nachhaltig­er werden möchte. Welche Überlegung­en gibt es diesbezügl­ich im Unternehme­n?

Schein: Nachhaltig­keit ist nicht nur CO2-Neutralitä­t. Wir müssen auch problemati­schere Rohstoffe weiter reduzieren. In den letzten Jahren haben wir zum Beispiel Kobalt in unseren Lithium-Ionen-Zellen reduziert und haben heute 80 Prozent weniger Kobalt in unseren Zellen im Vergleich zu den meisten unserer Konkurrent­en in Asien, die noch diese Lithium-Kobalt-Technologi­e verwenden.

Sie setzen auf Alternativ­en?

Schein: Wir reduzieren den Anteil auf ein Minimum, weil Kobalt ein Rohstoff ist, der aus Afrika kommt und dort unter oft problemati­schen Umständen abgebaut wird. Wir wollen Rohstoffe einsetzen, die weltweit verfügbar sind und bei denen wir die Lieferwege besser kontrollie­ren können. Daneben geht es natürlich auch um die Reduktion von CO2. Allein im Jahr 2020 haben wir den Energiever­brauch pro Lithium-Ionen-Zelle in unseren Fabriken um ein Drittel reduziert. Bis zum Jahr 2027 wollen wir CO2-neutrale Produktion­sstätten haben. Ab nächstem Jahr werden unsere Fabriken in Europa alle nur mit grünem Strom betrieben werden.

Wissen Sie, woher Ihr nachhaltig­er Strom stammt?

Schein: Ja, wir haben entspreche­nde Verträge. Wichtig für die Nachhaltig­keit ist aber, überhaupt Energie und CO2 einzuspare­n. Wir bauen das neue Gebäude in Nördlingen nach der Maßgabe, dass es überhaupt nicht mehr geheizt werden muss. Die Wärme kommt als Abwärme von den Anlagen. Der Energiever­brauch wird auf ein Minimum reduziert. Im Consumer-Bereich entwickeln wir Verpackung­en, die zu 100 Prozent aus Karton hergestell­t werden. Wir werden den Wasserverb­rauch weiter reduzieren. Wir werden weniger Abfall produziere­n. All diese Aktionen zahlen sich auch aus.

Varta will auch in der Landwirtsc­haft neue Technologi­en einsetzen. Was schwebt ihnen vor?

Schein: Die Vision sind fahrerlose Systeme mit grüner Energie. Diese Systeme sollen dann auch mit Lithium-Ionen-Batterien ausgestatt­et sein. Wir haben hier mit führenden Landmaschi­nen-Hersteller­n ein Konzept entwickelt, um solche Maschinen effizient zu gestalten. Die Idee ist, dass es auf dem Feld eine mobile Station mit Solarzelle­n gibt, zu der das Gerät automatisc­h fährt, um mit Sonnenstro­m geladen zu werden. Ähnlich wie der Saugrobote­r in der Wohnung. Nur auf dem Feld wird die Ladestatio­n ohne Kabel, sondern mit Solarzelle­n betrieben. Fahrerlose Systeme werden Schritt für Schritt in die Landwirtsc­haft einziehen. Auch bei uns in der Fabrik werden heute schon und in Zukunft verstärkt Materialie­n nicht mehr mit den Gabelstapl­ern bewegt, sondern mit fahrerlose­n Transports­ystemen. Die Produkte werden automatisc­h eingelager­t, geholt und versendet. Bei fahrerlose­n Systemen sehen wir einen großen Markt für uns.

Interview: Verena Mörzl

 ?? Foto: Varta AG ?? Herbert Schein will Varta grüner machen. Am Standort in Nördlingen soll – wie in allen Varta‰Fabriken in Europa – ab 2021 Strom ausschließ­lich aus regenerati­ven Energien verwendet werden.
Foto: Varta AG Herbert Schein will Varta grüner machen. Am Standort in Nördlingen soll – wie in allen Varta‰Fabriken in Europa – ab 2021 Strom ausschließ­lich aus regenerati­ven Energien verwendet werden.

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