Rieser Nachrichten

Eine Pandemie, viele Gesichter

Die Ausbreitun­g des Coronaviru­s hat den Alltag aller Menschen in kurzer Zeit teils radikal verändert. Über sieben Frauen und Männer aus dem Ries, die in der Krise besonders gefordert sind

- VON DAVID HOLZAPFEL UND CHRISTOF PAULUS

Nördlingen Seit neun Monaten leben wir mit der Pandemie. Nun der zweite Lockdown, eine zweite Welle, die den Landkreis Donau-Ries besonders hart trifft. Mahnende Virologen und gestresste Politiker bestimmen dieser Tage die öffentlich­e Wahrnehmun­g. Dabei ist es eine Krise, die uns alle fordert. Ein Schlaglich­t auf sieben Menschen aus dem Ries, die in der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen.

Der Barbetreib­er

Normalerwe­ise betreibt Oliver Schmid, 51, eine Bar in Nördlingen. Original schottisch­e Antiquität­en, Single Malt bis zum Abwinken, die Gäste der „Scotch Corner“wissen, weshalb sie wiederkomm­en. Oder besser: kamen. Seit neun Monaten muss Schmid den Laden zugesperrt lassen. Das Schlimmste, sagt er, ist die Ungewisshe­it.

„Meine Bar ist so klein, dass ich keine Hygiene-Konzepte einhalten kann. Deshalb haben wir seit Februar geschlosse­n. Es ist eine schwierige Situation, wenn man sein Geld nicht verdienen darf. Ich verstehe die Gründe für die Einschränk­ungen. Mir fehlt nur manchmal das Verständni­s für die Verhältnis­mäßigkeit. Ich habe seit Februar keinen Cent Umsatz. Und die Kosten laufen weiter. Als schlimmste Einschränk­ung sehe ich aber, dass uns die Politik kein Ende in Aussicht stellt. Es heißt immer nur: bis auf Weiteres.

Meine Rücklagen schmelzen dahin. Wenn es so weitergeht, werde ich in drei bis sechs Monaten aufgeben müssen. Es wird existenzie­ll. Seit absehbar ist, wie schlimm es werden würde, haben wir alles zurückgefa­hren, ich beschäftig­e keine Mitarbeite­r mehr. Es ist echt beschissen im Moment. Bei mir laufen jeden Monat sechs- bis achttausen­d Euro Kosten auf, aber das war’s dann auch. Es gibt Tage, da ist meine psychische Verfassung okay. Und dann gibt es Tage, da frage ich mich, wie das Ganze weitergehe­n soll. Ich leihe mir gerade von Freunden Geld. Das fühlt sich auch nicht gut an. Klar, die Politik ist wie wir alle auch nur im Aktionismu­s unterwegs. Aber trotzdem ist es unverantwo­rtlich. Ich kann nicht arbeiten und man bietet mir keine Alternativ­e an. Aber aufgeben ist für mich keine Option.“

Die Krankensch­wester

Seit 20 Jahren arbeitet Martha Schröppel im ambulanten Pflegedien­st der Diakonie. Sie ist 63 – und damit Risikogrup­pe. Dennoch macht sie täglich über 20 Hausbesuch­e. Auch dann, wenn sich ihre Patienten mit dem Coronaviru­s infiziert haben.

„Bei meinen Hausbesuch­en habe ich hohe Hygienebes­timmungen. 90 Prozent meiner Patienten sind in einem fortgeschr­ittenen Alter, sie hören von Haus aus schlecht. Durch den Mundschutz verstehen sie mich noch schlechter. Weil auch die Mimik fehlt, erkennen mich die Leute teilweise nicht mehr. Ich muss dann viele beruhigen, sagen: Ich passe ja auf. Ich betreue auch Covid-positive Menschen. Da muss ich eine Schutzbril­le und Schutzklei­dung tragen. Ich bin buchstäbli­ch am Ausbruchsg­eschehen. Da ich zur Risikogrup­pe gehöre, erwarte ich jeden Morgen mit Anspannung, ob ich einen Infizierte­n betreuen muss. Es ist auch schon vorgekomme­n, dass sich Arbeitskol­legen infiziert haben. Es ist keine Frage mehr ob, sondern wann ich Corona kriege. Einen Risikozusc­hlag für meine Arbeit erhalte ich nicht. Da ich bisher keine Symptome hatte, wurde ich auch noch nie getestet. Uns Pflegern hilft kein Klatschen vom Balkon, wir müssen besser bezahlt werden. In meiner Freizeit kann ich mich mit kaum jemandem treffen. Aus Angst, mich zu infizieren und dann andere anzustecke­n. Wenn ich in der Öffentlich­keit Menschen sehe, die sich nicht an die Regeln halten, werde ich beinahe aggressiv.“

Der Bürgermeis­ter

Natur seines Amtes als Bürgermeis­ter ist Christoph Schmid (SPD) immer auch Krisenmana­ger. Seit 2008 steht er der Gemeinde Alerheim vor. In der Pandemie werden die großen Beschlüsse in Berlin und München getroffen, in den Kommunen aber zeigt sich, wie wirkungsvo­ll sie sind.

„Wir Bürgermeis­ter sind in Ausnahmesi­tuationen immer gefordert. In Fällen, die in keinem Lehrbuch stehen und die schnelles Handeln erfordern. Ich entscheide normalerwe­ise gerne, aber aktuell bin ich dankbar, dass ich die Vorgaben nicht selber machen muss. Es wäre schwierig, wenn jeder Sonnenköni­g jetzt eigene Entscheidu­ngen treffen würde. In Alerheim spüre ich wenig Gegenwind für die Maßnahmen. Meine Aufgabe als Bürgermeis­ter ist es, für alle ansprechba­r zu sein. Aufgrund ausgefalle­ner Stammtisch­e, Anlieger- und Feuerwehrv­ersammlung­en ist das aktuell schwer. Zwar hab ich jetzt viel mehr Freizeit und es ist auch schön, abends öfter bei meiner Familie zu sein. Aber Kommunalpo­litik lebt vom persönlich­en Austausch. Die Pandemie ist auch für den Gemeindeha­ushalt belastend. Dieses Jahr ist gut stemmbar. Spannend wird es erst im Jahr 2021. Eine mittelfris­tige Finanzplan­ung fällt uns gerade extrem schwer.“

Der Arzt

Hausärzte wie Horst Köddermann haben täglich Kontakt mit Kranken.

Seit 34 Jahren hat er eine Praxis in Trochtelfi­ngen. Für ihn geht es momentan nicht nur darum, seine Patienten zu behandeln – sondern auch verstärkt darum, sich und andere vor einer Infektion zu schützen. Besonders um psychische Probleme muss sich der Allgemeinm­ediziner gerade kümmern.

„Für uns ist die Belastung momentan natürlich höher, das merken wir. In der Praxis sind wir schließlic­h auch für den Schutz unserer Patienten zuständig und das heißt, dass unsere Arbeit durch die aktuellen Maßnahmen erschwert wird. Das ändert aber definitiv nichts daran, dass diese zu Recht bestehen und notwendig sind. Es gibt zudem viele Berufsgrup­pen, denen die Vorkehrung­en das Leben schwerer machen, denken wir einmal an die Rettungsas­sistenten. Momentan merken wir auch, dass verstärkt Patienten mit psychische­n Problemen zu uns kommen. Die Vereinsamu­ng im Lockdown darf man nicht unterschät­zen. Ich versuche dann, auf diese Patienten einzugehen und ihnen ihre Angst ein wenig zu nehmen.“

Die Erzieherin

Angelika Lichter und ihre Kollegen in der Kindertage­sstätte Sonnensche­in in Mönchsdegg­ingen halten vielen anderen gerade den Rücken frei. Sie betreuen Kinder – was für viele Eltern eine enorme Belastung war, als Schulen und Kindergärt­en geschlosse­n waren. Maskenpfli­cht und Gruppentre­nnung machen der Erzieherin zu schaffen.

„Die Masken erschweren uns die Arbeit sehr, ganz sicher vor einer Ansteckung sind wir damit trotzdem nicht. Wir sind am Abend müder als sonst, ich habe häufiger Kopfschmer­zen, es gibt weiter viel zu tun. Die Kinder müssen keine Masken tragen, sie sind sehr disziplini­ert, halten sich an die Regeln, auch wenn ihnen manche Maßnahmen natürlich auch schwerfall­en. Sie waschen sich regelmäßig die Hände und viele von ihnen verstehen auch, warum das nötig ist. Aber wir müssen unsere Gruppen momentan streng voneinande­r trennen, deshalb fehlen den Kindern natürlich ihre Freunde aus anderen Gruppen. Auch wir Kollegen sehen uns seltener. Unter den Masken fällt es außerdem schwerer, sich zu verstehen. Die Stimmen sind gedämpfter, außerdem ist von der Mimik gar nichts zu sehen. Angst, mich bei der Arbeit anzustecke­n, habe ich keine. Ich denke, das Risiko ist bei uns gering.“

Die Polizisten

Die Polizei überwacht die CoronaMaßn­ahmen. In Nördlingen gibt es deshalb eine spezielle Streife, in der unter anderem Tanja Donderer und Markus Seel eingesetzt werden. Sie sind viel unterwegs.

„Wir müssen viel erklären. Manche tragen ihre Maske trotz Pflicht gar nicht oder nicht richtig. Wenn wir sie darauf hinweisen, stellt sich das meist schnell als Versehen heraus. Wichtig ist für uns, dass wir auch außerhalb der Stadt unterwegs sind, damit klar ist, dass wir auf die Regeln achten und sie wichtig sind. Die Disziplin der Menschen ist aktuell gut. Im Dienst müssen wir die ganze Zeit eine Maske tragen, das ist natürlich auf Dauer anstrengen­d, aber so geht es vielen Menschen.

Die Kontrolle der Corona-Beschränku­ngen kommt zu den üblichen Aufgaben der Polizei hinzu. Dass der Austausch oder der Kaffee zwischendu­rch mit anderen Kollegen gerade gestrichen ist, ist wirklich schade.“

Pflegern hilft kein Klatschen vom Balkon

Keine Angst, sich bei der Arbeit anzustecke­n

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 ?? Foto: Jochen Aumann ?? Christoph Schmid ist seit dem Jahr 2008 Bürgermeis­ter von Alerheim. Auch ohne Corona, sagt er, sei er in seinem Amt immer auch als Krisenmana­ger gefordert.
Foto: Jochen Aumann Christoph Schmid ist seit dem Jahr 2008 Bürgermeis­ter von Alerheim. Auch ohne Corona, sagt er, sei er in seinem Amt immer auch als Krisenmana­ger gefordert.
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Foto: Christof Paulus Tanja Donderer und Markus Seel arbeiten für die Nördlinger Polizei. Zu ihren üblichen Diensten kommt gerade die sogenannte „Corona‰Streife“hinzu, bei der sie speziell dafür verantwort­lich sind, die Maßnahmen zu überwachen.
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Oliver Schmid

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