Rieser Nachrichten

Vom Lockdown zum Knockout

Für die meisten Profi-Kulturscha­ffenden im Ries geht es mittlerwei­le um die Existenz. Selbst die großen Veranstalt­er können für nächstes Jahr keine Zusagen geben

- VON PETER URBAN

Nördlingen/Landkreis Herbert Grönemeyer hat eine drastische Maßnahme für die Unterstütz­ung der Kultur gefordert. In einem Gastbeitra­g in der Wochenzeit­ung Die Zeit machte er folgenden Vorschlag: „Den Künstlern, die durch die Pandemie und den neuerliche­n Lockdown in Not geraten sind, muss endlich geholfen werden. Wie wäre es, wenn die vermögends­ten Menschen dieses Landes ihnen zur Seite sprängen?“Eine abwegige Idee? Humbug? Was meint er damit?

Deutschlan­d hat circa 1,2 Millionen Millionäre: wenn sich diese zu einer zweimalige­n Sonderzahl­ung von zum Beispiel 50 000 bis 150 000 Euro bereit erklären würden, jeweils in diesem wie auch im nächsten Jahr, stünden ad hoc circa 200 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung, um Existenzen in der Kultur zu sichern, Pleiten aufzufange­n und Ängste zu mildern. Den Wohlhabend­en täte es nicht weh und den zahllosen Kulturscha­ffenden überall in unserem Land wäre geholfen. Denen, die – wie Grönemeyer in seiner poetischen Art sagt – uns Menschen unterhalte­n, buchstäbli­ch gesagt stützen in unserer Verzweiflu­ng und/oder Trauer mit ihrer Lust, Freude, mit ihrem Lachen, ihrem Mut und ihrer Zuversicht.

Diese Idee wird aller Wahrschein­lichkeit nach ein Traum bleiben. Das Virus reißt gerade die mit sich, die in anderen Zeiten zu Abertausen­den die Bühnen jeden Tag zum Strahlen bringen. Entweder mit ihrer Kunst oder mit dem, was drumherum nötig ist. Grönemeyer weiter: „Vielen dieser Solo-Selbststän­digen drohen direkte Insolvenze­n, sie greifen bereits ihre Altersvers­orgung an, da sie keine Arbeitslos­enversiche­rung

haben. Sie waren und sind es über Jahrzehnte gewohnt, als solvente Steuerzahl­er von der Hand in den Mund zu leben und waren stolz darauf. Der Veranstalt­ungsbereic­h ist der sechstgröß­te Wirtschaft­szweig Deutschlan­ds mit 130 Milliarden Euro Umsatz. Insgesamt sind wir ungefähr eine Million Beschäftig­te und 10 000 Acts, Künstler und Künstlerin­nen. Unser Unternehme­nswert ist größer als der der gesamten ersten deutschen Fußball-Bundesliga.“

Auch der Landkreis Donau-Ries kann stolz auf seine Künstler, auf seine Kulturszen­e sein, die unglaublic­h vielfältig und lebendig daherkommt. Doch der zweite Lockdown innerhalb eines Jahres droht vielen dieser Menschen den finanziell­en Boden unter den Füßen wegzuziehe­n. Erst vergangene­n Freitag berichtete die RN, dass von den versproche­nen zehn Milliarden Euro, die an die besonders betroffene­n Branchen wie Gastronomi­e und Kultur noch im November fließen sollten, bislang noch kein Cent geflossen ist. Wir haben, stellvertr­etend für alle, bei vier Kulturscha­ffenden im Ries nachgefrag­t, wie es ihnen ganz persönlich mit diesem Lockdown geht.

Moritz Gruber aus Oettingen hat Musik und Veranstalt­ungsmanage­ment studiert und ist gleich doppelt betroffen. Erstens hat er nach eigener Aussage im Jahr 2020 erst fünf Konzerte als Gitarrist spielen können und muss sich im Moment mit dem begnügen, was er mit Gitarrenun­terricht verdienen kann. Sein Kinokabare­tt, das er als Veranstalt­er zusammen mit Silvan Hertle initiiert hat, steckt noch in den Kinderschu­hen und ist durch den zweiten Lockdown extrem getroffen. Er sagt: „Das Publikum ist, selbst wenn es kommen dürfte, durch die dauernd wechselnde­n Maßnahmen so verunsiche­rt, dass es doch lieber wegbleibt, als sich diesen Unwägbarke­iten auszusetze­n.“Entschädig­ung hat er bisher keine bekommen. Sein Bruder Wolf J. Gruber, ebenfalls Künstler, Illustrato­r und Maler, Mitbegründ­er des Ateliers „Markise“in Oettingen, lebt von der Kunst und ist seit Mitte März mehr oder weniger ans Atelier gefesselt. Sein sarkastisc­her Kommentar: „Im Gegensatz zu meinem Bruder, der ständig üben muss und nie auftreten kann, bin ich doch prima dran: Ich kann im Lockdown malen und die Bilder, die ich geschaffen habe, bleiben mir.“Freilich kann er sie nirgends ausstellen, er kann nicht planen, sich nirgends bewerben und auch die „72. Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung“im Augsburger Glaspalast, für die er nominiert wurde, ist bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Für seine Situation findet er deutliche Worte: „Ich fühle mich von der Politik im Stich gelassen. Es wird in den Medien alles versproche­n und nichts gehalten.“Er hat zwar die Corona-Soforthilf­e nach Wochen des Wartens bekommen, musste sie aber prompt zurückzahl­en, um die versproche­ne „Künstler-Soforthilf­e“in Anspruch nehmen zu können, die dann aber in seinem Fall zwei Mal abgelehnt wurde. Finanziell­e Hilfe? Fehlanzeig­e.

Ähnliche Erfahrunge­n mit den Behörden hat die Schauspiel­erin, Sängerin, Autorin und Regisseuri­n Clarissa Hopfensitz gemacht. Ihre Corona-Soforthilf­e wurde im April abgelehnt, sie hat dann zwar eine Drei-Monats-Hilfe bekommen, aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie lebt von ihren Ersparniss­en, die sie sich in 15 Bühnenjahr­en erarbeitet hat und die eigentlich für ihre Altersvers­orgung gedacht waren. Momentan wäre sie in den Endproben für ein Musical in Nürnberg, doch die gesamte Winterprod­uktion ist weggebroch­en, wie sie sagt. Und auch ihr persönlich­er Traum, ihr Solostück über Marlene Dietrich, „Engel auf Erden“, das sie selbst geschriebe­n und inszeniert hat, konnte bisher nur uraufgefüh­rt werden. Ihr geplanter Auftritt in der Heimat beim DE im Nördlinger Klösterle fiel ebenfalls in den November und somit aus. Clarissa Hopfensitz weiß aktuell nicht, wie es weitergeht, jeden Tag fragt sie sich, was diese Situation auf Dauer mit ihr, mit der gesamten Szene, macht. „Hilfen könnte ich ja wieder beantragen, aber dazu brauche ich einen Steuerbera­ter, weil alles so komplizier­t ist. Und ich weiß nicht, ob mich die Beratung am Ende mehr kostet als das, was ich bekomme.“Nicht wenige ihrer Kolleginne­n und Kollegen seien schon in der Grundsiche­rung gelandet, das will sie unbedingt vermeiden: „Ich habe immer meine Steuern gezahlt – und jetzt?“Keine Antwort.

Ebenfalls keine wirklich positive Antwort kann Monia Aichinger geben, eine der Protagonis­tinnen von „Shakers to Rent“, einer Wallerstei­ner Event- und Veranstalt­ungsagentu­r, die von der Planung über Catering bis zu Eventequip­ment alles Technische für Kulturvera­nstaltunge­n

Solo‰Selbststän­dige greifen ihre Altersvers­orgung an

Nur sporadisch Unter‰ stützung vom Staat

zur Verfügung stellt. Die Stimmung bei den „Shakers“schwankt zwischen Hoffnung und Perspektiv­losigkeit: Seit März arbeiten sie nur sporadisch und werden auch nur sporadisch vom Staat unterstütz­t. Zwar haben sie Erstförder­zuschüsse bekommen und irgendwelc­he Fixkostenz­uschüsse, aber das alles reicht bei weitem nicht, um die – zum Teil natürlich freien – Mitarbeite­r bei der Stange halten zu können: „Viele unserer besten Mitarbeite­r haben Familie und Häuser gebaut. Die müssen sich andere Jobs suchen, um finanziell überleben zu können.“Das verstehe sie zwar, aber Monia Aichinger befürchtet, dass dadurch vieles an Engagement und Know-how verloren gehen wird. „Sie waren an Wochenende­n und abends immer und gerne für die Künstler und das Publikum dabei, das ist alles andere als selbstvers­tändlich.“Und wenn selbst die für das nächste Jahr geplanten großen Veranstalt­ungs-„Institutio­nen“wie das Kaltenberg­er Ritterturn­ier keine festen Zusagen geben können oder wollen, befürchtet Monia Aichinger nichts Gutes: „Es wird ein Riesen-Loch geben, kulturell!“

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Foto: Peter Urban Vielleicht hilft ja beten, dass die Rieser Kulturszen­e so bunt und lebendig bleibt wie bei dieser Veranstalt­ung in der Nördlinger St. Georgskirc­he.
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Foto: Uli Bühler Clarissa Hopfensitz in ihrem selbst geschriebe­nen Solostück „Engel auf Erden“als Marlene Diet‰ rich.

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