„Die Arbeitsbedingungen sind nicht attraktiv“
Wie lange halten Ärzte und Pflegekräfte die Corona-Krise noch durch? Reichen Maßnahmen wie die Verlängerung des „Lockdown light“? Wie der scheidende Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft die Lage sieht
Herr Hasenbein, Sie sind der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Wie lange halten Ihrer Ansicht nach die Krankenhäuser im Freistaat diese außergewöhnliche Belastung überhaupt noch durch? Siegfried Hasenbein: Einige Kliniken sind bereits an ihren Grenzen. Dennoch bin ich zuversichtlich und gehe davon aus, dass die bayerischen Krankenhäuser auch diese zweite Welle bewältigen werden.
Was macht Sie da so zuversichtlich? Die Uniklinik Augsburg arbeitet nach allem, was man hört, bereits am Limit? Hasenbein: Das Universitätsklinikum Augsburg gehört als Maximalversorger mit Sicherheit zu den Häusern, die bereits an ihren Grenzen angelangt und extrem belastet sind. Insgesamt aber, wenn man über ganz Bayern blickt, haben die Krankenhäuser ihre Grenzen noch nicht erreicht. Und wir haben im Frühjahr beobachten können, dass die Zusammenarbeit der Häuser untereinander sehr gut funktioniert hat. Man hat sich gegenseitig unterstützt, indem man sich beispielsweise mit Personal ausgeholfen oder Patienten verlegt hat. Dies ist jetzt wieder nötig und wird auch in den kommenden Wochen so bleiben.
Die Zahl der Infizierten sinkt in Bayern trotz des sogenannten „Lockdown light“nicht. Jetzt wurde zwar eine Verlängerung beschlossen und einzelne Maßnahmen sollen verschärft werden. Doch reicht das alles aus Ihrer Sicht, um die Krankenhäuser zu entlasten? Hasenbein: Ich hoffe es, ich bin aber skeptisch. Aus rein medizinischer Sicht wäre es natürlich das Beste, wieder so einen harten Lockdown wie im Frühjahr durchzuführen. Da haben wir ja gesehen, dass sich damit die Zahl der Infizierten relativ schnell verringern ließ. Ich habe aber auch Verständnis für die Politiker, die einen probaten Mittelweg versuchen, weil man ja nie vergessen darf, wie viele Kollateralschäden ein harter Lockdown mit sich bringt.
Weil Fachkräfte in den Kliniken fehlen, fordert Uwe Janssens, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, eine klare Anweisung der Politik an alle Krankenhäuser, medizinisch nicht notwendige Eingriffe zu verschieben. Wie beurteilen Sie das? Hasenbein: Das sehe auch ich als eine entscheidende notwendige Maßnahme in den kommenden Wochen. Bayern hat hier jetzt aber, wie im Übrigen andere Länder auch, reagiert: Seit diesem Montag haben wir eine Allgemeinverfügung, die zum Ziel hat, dass über diese nicht notwendigen Eingriffe regional entschieden werden soll und muss. Nicht vergessen darf man aber bei diesem Punkt, dass den Krankenhäusern mit dem Wegfall von verschiebbaren Operationen auch viel Geld verloren geht.
Was bedeutet das? Folgen im Frühjahr nächsten Jahres Insolvenzen von bayerischen Krankenhäusern? Hasenbein: So weit würde ich nicht gehen. Denn die Politik hat ja reagiert. Wir haben in allen bayerischen Krankenhäusern im Frühjahr den Bereich der planbaren Eingriffe drastisch heruntergefahren. Und die Politik hat Ausgleichszahlungen beschlossen. Die waren zunächst zu pauschal. Dann wurde nachgebessert. Alles geschah schrittweise und war ein sehr mühsamer Prozess. Aber: Krankenhäuser, die jetzt noch nachweisen können, dass sie 2020 einen wirtschaftlichen Schaden aufgrund der Pandemie erlitten haben, haben einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Daher würde ich sagen, dass die bayerischen Krankenhäuser insgesamt durch die erste Welle wirtschaftlich gesehen mit einem blauen Auge davongekommen sind.
Und werden es durch die zweite Welle wohl dann auch oder?
Hasenbein: Da kommen wir jetzt zu einem höchst ärgerlichen und für mich sehr enttäuschenden Punkt: Die ersten Ausgleichszahlungen galten nur bis September. Nun hat der Bundestag zwar im sogenannten Bevölkerungsschutzgesetz wieder Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser beschlossen, diese sind aber an sehr viele Kriterien geknüpft und extrem bürokratisch. Ich würde sogar sagen: Die neuen Ausgleichszahlungen gehen so an der Praxis der Kliniken vorbei, dass sie sogar versorgungsgefährdend sein können.
Inwiefern?
Hasenbein: Die Ausgleichszahlungen erhalten nur Häuser einer sehr hohen Notfallversorgungskategorie. Man muss wissen: Alle Krankenhäuser sind in drei Notfallstufen eingeteilt worden, je nachdem welche Infrastruktur sie vorhalten. Doch nur Häuser mit den Notfallstufen II und III erhalten nun Ausgleichszahlungen. Dadurch droht aber der ganze gegenseitige Unterstützungsprozess, der für eine sichere Versorgung der Patienten nötig ist, zum Erliegen zu kommen. Denn viele Kreiskrankenhäuser beispielsweise sind Basisversorger der Stufe I und sollen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Ausgleichszahlungen erhalten. Das ganze für die Kliniken so wichtige Austauschsystem, indem Patienten verlegt werden, mit Personal ausgeholfen wird, droht sich damit aufzulösen und die Krise zu verschärfen.
Das Personal ist das Zünglein an der Waage. Und dass Personal fehlt, das war doch schon lange vor Corona bekannt und ein Problem. Sind wir in diesen jetzt lebensgefährlichen Engpass also nicht sehenden Auges gefahren? Hasenbein: Ja, zweifellos. Der Fachkräftemangel vor allem in der Pflege beschäftigt uns seit Jahren. Zwar hat eine Pandemie, wie wir sie jetzt haben, niemand vorhersagen können. Trotzdem muss man sagen, dass man dem Fachkräftemangel zu lange und zu untätig zugesehen hat. Hier gibt es aber nicht den einen Schuldigen. Hier haben alle Beteiligten, also die Politik, die Krankenkassen, aber auch die Krankenhäuser versäumt zu handeln. Wir haben alle über den Personalmangel gesprochen, haben alle über die Belastungen des Personals lamentiert, wir meinten das auch alles ernst, aber an entschlossenem Handeln hat es uns allen gefehlt. Das ist leider so und tut uns jetzt in der Krise besonders weh.
Auch infizierte Mitarbeiter müssen nun auf den Stationen arbeiten. Hasenbein: Das ist ein sehr brisantes Thema. Selbstverständlich ist die Regel, wer infiziert ist, kann nicht arbeiten. Aber auch hier gibt es ein Aber: Wenn die Versorgungssituation gefährdet ist, ist es in wenigen Ausnahmefällen möglich und erlaubt, unter bestimmten Schutzvorkehrungen weiterzuarbeiten. Das wird in den wenigsten Fällen geschehen, rechtlich ist dies aber möglich.
Es unterstreicht aber mal wieder den Eindruck, dass die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern oft das Maß des Hinnehmbaren überschritten haben. Hasenbein: Die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern sind nicht attraktiv. Da gebe ich Ihnen recht. Das hat aber viele Gründe und nur einem den schwarzen Peter zuzuschieben, wäre nicht fair. Hier gab es über Jahre Fehlentwicklungen und Fehlanreize. Vor allem auch im Vergütungssystem.
Sie meinen die viel diskutierten Fallpauschalen.
Hasenbein: Genau. In einem pauschalen Finanzierungssystem ist immer nur ein bestimmter Beitrag für die Pflege enthalten. Da bislang die Erlöse der Krankenhäuser in einem unzureichenden Maße gedeckelt waren und die Kliniken daher unter einem enormen Spardruck standen, muss man sich nicht wundern, dass vor allem am größten Kostenpunkt, am Personal, gespart wurde. Dem hat man nun aber entgegengewirkt, indem man das Pflegepersonal aus dem großen Topf herausgenommen hat und es ein eigenes Pflegebudget gibt. Das haben wir sehr begrüßt. Nach 17 Jahren an der Spitze der Bayerischen Krankenhausgesellschaft gehen Sie jetzt Ende November in den Ruhestand. Sind Sie froh, dass Sie sich mit all den großen Herausforderungen, vor denen gerade jetzt die Krankenhäuser stehen, nicht mehr herumschlagen müssen?
Hasenbein: Hier gibt es wie so oft im Leben zwei Seiten der Medaille. Mein Entschluss, in den Ruhestand zu gehen, ist weit vor Corona gefallen und ich freue mich auf die neue Freiheit. Aber ja, ein großes Schiff zu verlassen, das sich gerade in so stürmischer See befindet, das fällt nicht leicht.