Rieser Nachrichten

„Die Arbeitsbed­ingungen sind nicht attraktiv“

Wie lange halten Ärzte und Pflegekräf­te die Corona-Krise noch durch? Reichen Maßnahmen wie die Verlängeru­ng des „Lockdown light“? Wie der scheidende Chef der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft die Lage sieht

- Symbolfoto: Robert Michael, dpa Interview: Daniela Hungbaur

Herr Hasenbein, Sie sind der Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft. Wie lange halten Ihrer Ansicht nach die Krankenhäu­ser im Freistaat diese außergewöh­nliche Belastung überhaupt noch durch? Siegfried Hasenbein: Einige Kliniken sind bereits an ihren Grenzen. Dennoch bin ich zuversicht­lich und gehe davon aus, dass die bayerische­n Krankenhäu­ser auch diese zweite Welle bewältigen werden.

Was macht Sie da so zuversicht­lich? Die Uniklinik Augsburg arbeitet nach allem, was man hört, bereits am Limit? Hasenbein: Das Universitä­tsklinikum Augsburg gehört als Maximalver­sorger mit Sicherheit zu den Häusern, die bereits an ihren Grenzen angelangt und extrem belastet sind. Insgesamt aber, wenn man über ganz Bayern blickt, haben die Krankenhäu­ser ihre Grenzen noch nicht erreicht. Und wir haben im Frühjahr beobachten können, dass die Zusammenar­beit der Häuser untereinan­der sehr gut funktionie­rt hat. Man hat sich gegenseiti­g unterstütz­t, indem man sich beispielsw­eise mit Personal ausgeholfe­n oder Patienten verlegt hat. Dies ist jetzt wieder nötig und wird auch in den kommenden Wochen so bleiben.

Die Zahl der Infizierte­n sinkt in Bayern trotz des sogenannte­n „Lockdown light“nicht. Jetzt wurde zwar eine Verlängeru­ng beschlosse­n und einzelne Maßnahmen sollen verschärft werden. Doch reicht das alles aus Ihrer Sicht, um die Krankenhäu­ser zu entlasten? Hasenbein: Ich hoffe es, ich bin aber skeptisch. Aus rein medizinisc­her Sicht wäre es natürlich das Beste, wieder so einen harten Lockdown wie im Frühjahr durchzufüh­ren. Da haben wir ja gesehen, dass sich damit die Zahl der Infizierte­n relativ schnell verringern ließ. Ich habe aber auch Verständni­s für die Politiker, die einen probaten Mittelweg versuchen, weil man ja nie vergessen darf, wie viele Kollateral­schäden ein harter Lockdown mit sich bringt.

Weil Fachkräfte in den Kliniken fehlen, fordert Uwe Janssens, der Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin, eine klare Anweisung der Politik an alle Krankenhäu­ser, medizinisc­h nicht notwendige Eingriffe zu verschiebe­n. Wie beurteilen Sie das? Hasenbein: Das sehe auch ich als eine entscheide­nde notwendige Maßnahme in den kommenden Wochen. Bayern hat hier jetzt aber, wie im Übrigen andere Länder auch, reagiert: Seit diesem Montag haben wir eine Allgemeinv­erfügung, die zum Ziel hat, dass über diese nicht notwendige­n Eingriffe regional entschiede­n werden soll und muss. Nicht vergessen darf man aber bei diesem Punkt, dass den Krankenhäu­sern mit dem Wegfall von verschiebb­aren Operatione­n auch viel Geld verloren geht.

Was bedeutet das? Folgen im Frühjahr nächsten Jahres Insolvenze­n von bayerische­n Krankenhäu­sern? Hasenbein: So weit würde ich nicht gehen. Denn die Politik hat ja reagiert. Wir haben in allen bayerische­n Krankenhäu­sern im Frühjahr den Bereich der planbaren Eingriffe drastisch herunterge­fahren. Und die Politik hat Ausgleichs­zahlungen beschlosse­n. Die waren zunächst zu pauschal. Dann wurde nachgebess­ert. Alles geschah schrittwei­se und war ein sehr mühsamer Prozess. Aber: Krankenhäu­ser, die jetzt noch nachweisen können, dass sie 2020 einen wirtschaft­lichen Schaden aufgrund der Pandemie erlitten haben, haben einen Anspruch auf Ausgleichs­zahlungen. Daher würde ich sagen, dass die bayerische­n Krankenhäu­ser insgesamt durch die erste Welle wirtschaft­lich gesehen mit einem blauen Auge davongekom­men sind.

Und werden es durch die zweite Welle wohl dann auch oder?

Hasenbein: Da kommen wir jetzt zu einem höchst ärgerliche­n und für mich sehr enttäusche­nden Punkt: Die ersten Ausgleichs­zahlungen galten nur bis September. Nun hat der Bundestag zwar im sogenannte­n Bevölkerun­gsschutzge­setz wieder Ausgleichs­zahlungen für Krankenhäu­ser beschlosse­n, diese sind aber an sehr viele Kriterien geknüpft und extrem bürokratis­ch. Ich würde sogar sagen: Die neuen Ausgleichs­zahlungen gehen so an der Praxis der Kliniken vorbei, dass sie sogar versorgung­sgefährden­d sein können.

Inwiefern?

Hasenbein: Die Ausgleichs­zahlungen erhalten nur Häuser einer sehr hohen Notfallver­sorgungska­tegorie. Man muss wissen: Alle Krankenhäu­ser sind in drei Notfallstu­fen eingeteilt worden, je nachdem welche Infrastruk­tur sie vorhalten. Doch nur Häuser mit den Notfallstu­fen II und III erhalten nun Ausgleichs­zahlungen. Dadurch droht aber der ganze gegenseiti­ge Unterstütz­ungsprozes­s, der für eine sichere Versorgung der Patienten nötig ist, zum Erliegen zu kommen. Denn viele Kreiskrank­enhäuser beispielsw­eise sind Basisverso­rger der Stufe I und sollen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Ausgleichs­zahlungen erhalten. Das ganze für die Kliniken so wichtige Austauschs­ystem, indem Patienten verlegt werden, mit Personal ausgeholfe­n wird, droht sich damit aufzulösen und die Krise zu verschärfe­n.

Das Personal ist das Zünglein an der Waage. Und dass Personal fehlt, das war doch schon lange vor Corona bekannt und ein Problem. Sind wir in diesen jetzt lebensgefä­hrlichen Engpass also nicht sehenden Auges gefahren? Hasenbein: Ja, zweifellos. Der Fachkräfte­mangel vor allem in der Pflege beschäftig­t uns seit Jahren. Zwar hat eine Pandemie, wie wir sie jetzt haben, niemand vorhersage­n können. Trotzdem muss man sagen, dass man dem Fachkräfte­mangel zu lange und zu untätig zugesehen hat. Hier gibt es aber nicht den einen Schuldigen. Hier haben alle Beteiligte­n, also die Politik, die Krankenkas­sen, aber auch die Krankenhäu­ser versäumt zu handeln. Wir haben alle über den Personalma­ngel gesprochen, haben alle über die Belastunge­n des Personals lamentiert, wir meinten das auch alles ernst, aber an entschloss­enem Handeln hat es uns allen gefehlt. Das ist leider so und tut uns jetzt in der Krise besonders weh.

Auch infizierte Mitarbeite­r müssen nun auf den Stationen arbeiten. Hasenbein: Das ist ein sehr brisantes Thema. Selbstvers­tändlich ist die Regel, wer infiziert ist, kann nicht arbeiten. Aber auch hier gibt es ein Aber: Wenn die Versorgung­ssituation gefährdet ist, ist es in wenigen Ausnahmefä­llen möglich und erlaubt, unter bestimmten Schutzvork­ehrungen weiterzuar­beiten. Das wird in den wenigsten Fällen geschehen, rechtlich ist dies aber möglich.

Es unterstrei­cht aber mal wieder den Eindruck, dass die Arbeitsbed­ingungen in Krankenhäu­sern oft das Maß des Hinnehmbar­en überschrit­ten haben. Hasenbein: Die Arbeitsbed­ingungen in Krankenhäu­sern sind nicht attraktiv. Da gebe ich Ihnen recht. Das hat aber viele Gründe und nur einem den schwarzen Peter zuzuschieb­en, wäre nicht fair. Hier gab es über Jahre Fehlentwic­klungen und Fehlanreiz­e. Vor allem auch im Vergütungs­system.

Sie meinen die viel diskutiert­en Fallpausch­alen.

Hasenbein: Genau. In einem pauschalen Finanzieru­ngssystem ist immer nur ein bestimmter Beitrag für die Pflege enthalten. Da bislang die Erlöse der Krankenhäu­ser in einem unzureiche­nden Maße gedeckelt waren und die Kliniken daher unter einem enormen Spardruck standen, muss man sich nicht wundern, dass vor allem am größten Kostenpunk­t, am Personal, gespart wurde. Dem hat man nun aber entgegenge­wirkt, indem man das Pflegepers­onal aus dem großen Topf herausgeno­mmen hat und es ein eigenes Pflegebudg­et gibt. Das haben wir sehr begrüßt. Nach 17 Jahren an der Spitze der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft gehen Sie jetzt Ende November in den Ruhestand. Sind Sie froh, dass Sie sich mit all den großen Herausford­erungen, vor denen gerade jetzt die Krankenhäu­ser stehen, nicht mehr herumschla­gen müssen?

Hasenbein: Hier gibt es wie so oft im Leben zwei Seiten der Medaille. Mein Entschluss, in den Ruhestand zu gehen, ist weit vor Corona gefallen und ich freue mich auf die neue Freiheit. Aber ja, ein großes Schiff zu verlassen, das sich gerade in so stürmische­r See befindet, das fällt nicht leicht.

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Ärzte und Pflegekräf­te arbeiten in den Krankenhäu­sern am Limit.
 ??  ?? Siegfried Hasenbein, 63, ist Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­s‰ gesellscha­ft. Der Be‰ triebswirt lebt in Friedberg.
Siegfried Hasenbein, 63, ist Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­s‰ gesellscha­ft. Der Be‰ triebswirt lebt in Friedberg.

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