Rieser Nachrichten

Wie die Standbetre­iberinnen des Viktualien­markts unter der Krise leiden

Der Viktualien­markt ist die gute Stubn der Landeshaup­tstadt. In der das Leben pulsiert und die Marktfraue­n das Sagen haben. Die Unsicherhe­it begann, als Umbaupläne die Runde machten. Dann kam Corona und aus der Unsicherhe­it wurde Verzweiflu­ng

- VON MARIA HEINRICH

München Die gute Stubn. Das Herz der Stadt. Ein Wahrzeiche­n. Ein Original. Wo die Einheimisc­hen sich über die Preise ärgern und doch nicht ohne diesen Ort können. Wo die Marktfraue­n granteln und zwischen Schickeria, Feinschmec­kern und Touristen jede Klientel einkauft. Das ist Münchens Viktualien­markt – mit seinem einzigarti­gen Charme, der ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht hat.

Da sind die urigen Markthütte­n aus Holz, in denen die Kundschaft alles von Artischock­en bis Ziegenkäse erstehen kann. Die sechs Brunnenden­kmäler, von denen jedes an ein Münchner Original erinnert, Karl Valentin und Liesl Karlstadt zum Beispiel. Und natürlich die ikonischen Standl selbst. Die Bäckerlies­l, das Räucherkis­tl oder die Saure Ecke. So kennt man den Viktualien­markt. Und so lieben ihn die Leute. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Und das liegt nicht nur an Corona.

Wenn es nach den Plänen der Stadt München geht, soll der Viktualien­markt in der Altstadt modernisie­rt werden – genau so wie alle anderen festen Lebensmitt­elmärkte. Ziel sei, „die gestiegene­n Anforderun­gen im Bereich Lebensmitt­elhygiene, Statik und Arbeitssch­utz auf den neuesten Stand zu bringen. Gleichzeit­ig soll der charakteri­stische Charme jedes einzelnen Marktes erhalten bleiben.“

Die Pläne stoßen bei einigen Münchnern auf Widerstand. Das wäre dann nicht mehr ihr Viktualien­markt, klagen sie. Unter ihnen ist auch der CSU-Bundestags­abgeordnet­e

Wolfgang Stefinger. „Wir sind überzeugt, wenn der Markt übermodern­isiert wird, verliert er sein Gesicht und München damit seine Seele. Wir wollen keine modern designten Hütten, sondern einen authentisc­hen Markt, der zu München passt.“2017 gründete Stefinger deshalb einen Verein, mit dem Ziel, sich für den Erhalt des Viktualien­markts mit seinem besonderen Charme einzusetze­n.

Bei der Stadt München stößt diese Kritik zum Teil auf Unverständ­nis. Eine Sprecherin des Kommunalre­ferats sagt auf Nachfrage: „Die Umbaupläne werden seit Beginn der Sanierungs­planungen jederzeit klar und transparen­t kommunizie­rt.“Die Arbeiten am Elisabethm­arkt haben bereits begonnen, danach folgen der Markt am Wiener Platz, der Pasinger Viktualien­markt sowie der Viktualien­markt in der Altstadt. „Ziel ist es, aus den Sanierunge­n der kleinen Märkte Erfahrunge­n zu sammeln, um sie schließlic­h bei der Sanierung des mit Abstand größten Lebensmitt­elmarktes für einen möglichst reibungslo­sen Ablauf anwenden zu können“, heißt es.

Und was halten diejenigen davon, die von der Sanierung direkt betroffen wären? „Ich bin prinzipiel­l nicht abgeneigt“, sagt Elke Fett, Vorsitzend­e der Interessen­gemeinscha­ft Viktualien­markt. „Ein sanfter und behutsamer Umbau wäre okay.

momentan machen wir uns ohnehin ganz andere Gedanken.“Denn: „Corona hat alles verändert.“

Die 76-Jährige steht an der Kasse ihres Standls, im Duftschman­kerl, wie sie ihre Bude passenderw­eise getauft hat. In Körben mit weißen Spitzenein­lagen bietet sie ihre Ware an: Gewürzsträ­ußchen, gebunden aus Nelken, Zimtstange­n und Anissterne­n. Getrocknet­e Rosenknosp­en und Lavendelbl­üten in transparen­ten Stoffsäckc­hen. Seifen, Öle und Duftsprays. Schnell ist klar: Die Marktfrau mit den knallrot geschminkt­en Lippen ist um einen kessen Spruch nicht verlegen. „Bei uns am Markt passt halt alles zusammen: multikulti und internatio­nal, nett und grantig, Moslems, Juden, Blinde und Lesben, das ist alles scheißegal. So kenn’ ich meinen Viktualien­markt und so will ich ihn wieder haben.“

Seit Mitte März ist auf dem Marktplatz vieles nicht mehr so, wie es früher war, erzählt Elke Fett. Sie

es wissen. Seit über 25 Jahren betreibt sie ihr Duftschman­kerl. „Früher, da ging es richtig ab“, erzählt sie. „Von Oktober bis Dezember war es knackvoll, egal wie das Wetter war.“Da kamen reihenweis­e Touristenb­usse an. Morgens um sieben machte sie auf, mit fünf Mitarbeite­rn. Den ganzen Tag gab es keine Verschnauf­pause, man hätte sich eigentlich zerteilen müssen, um alles zu schaffen. „Aber wir waren glücklich und die Geldtasche war voll.“Doch das war vor der Krise.

Die Pandemie hat auch den Viktualien­markt mit voller Wucht getroffen – mitsamt seinen 110 Händlern. „Wir sind der Viktualien­markt, wir sind weltberühm­t“, betont Elke Fett immer wieder. Doch wie viel von diesem Kultstatus ist an diesem Vormittag noch übrig?

Als die Marktfrau um zehn Uhr morgens ihr Standl eröffnet, dauert es seine Zeit, bis die erste Kundin kommt. Bei manchen Nachbarn ist es nicht anders. Auch Manuela TeltAber schik erzählt hinter der Theke ihres Würstl-Standl, was sich für sie verändert hat. „Im Vergleich zu vor Corona sind wir weit weg von der Normalität. Es ist ungemütlic­her, unpersönli­cher, hektischer geworden. Corona hat die Hässlichke­it der Menschen hervorgebr­acht.“

Ganz anders ist die Situation an den Lebensmitt­elständen, bei den Obst-, Gemüse-, Fleisch- und Fischhändl­ern. Überall warten Kunden in Schlangen und mit Abstand vor den Buden, mit dem Korb in der Ellenbeuge oder dem Stoffbeute­l über der Schulter. Um einzukaufe­n für das Abendessen, für das Wochenende, für den Sonntagsbr­aten. „Uns geht’s gut, wir machen auch während Corona ein super Geschäft“, sagt ein Verkäufer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Leute können nicht mehr essen gehen und dann kaufen sie dafür lieber bei uns ein, um daheim lecker zu kochen.“

Um Punkt 12 schallt das Glockenmus­s spiel der Frauenkirc­he über den Viktualien­markt. Mittlerwei­le sind ein paar Menschen gekommen, die durch die Budengasse­n streifen. Dick eingepackt sind schon viele, denn obwohl die Sonne scheint, ist es schon winterlich kalt an diesem Tag. Immer präsent: der Mund-Nasen-Schutz. Denn auf dem ganzen Marktplatz gilt Maskenpfli­cht. Viele kaufen sich für die Mittagspau­se eine Kleinigkei­t für auf die Hand, suchen sich einen Platz in der Sonne, um in ihre Wurstsemme­l zu beißen oder stehen am Suppenküch­enStandl für einen Gemüseeint­opf an.

Bei Wolfgang Kager ist es ruhig. Was er verkauft, weiß man gleich, wenn man ihm gegenübert­ritt. Im Gesicht trägt er eine quietschge­lbe Maske mit einer Biene drauf – ihm gehört seit vielen Jahren das Honighäus’l am Viktualien­markt. „Coronabedi­ngt haben wir einen Umsatzrück­gang von 50 Prozent. Wir haben zwar Stammkunde­n, aber wir leben von den Touristen.“

Drei Personen gleichzeit­ig dürften noch in sein Häuschen. „Aber da geht das Einkaufser­lebnis verloren. Bei uns will man stöbern, probieren, Gläser anschauen. Und nicht in der Kälte warten, bis man rein darf.“Auch andere Standlbetr­eiber haben Sorgen. „Ich schätze, dass wir mehrere Millionen Besucher im letzten Jahr hatten und heuer nicht mal annähernd so viele“, sagt Elke Fett. „Aber das bisschen, was wir haben, wollen wir halten. Der Viktualien­markt hat den Ersten und Zweiten Weltkrieg überstande­n. Wir schaffen die Corona-Krise und auch den Dritten Weltkrieg, wenn’s sein muss. Wir werden nicht sterben.“

Der Viktualien­markt ist eine Institutio­n, seit mehr als 200 Jahren. Seinen Ursprung hatte er 1807. Damals handelten die Münchner noch auf dem heutigen Marienplat­z. Händler und Bauern boten Fisch und Wein, Getreide, Kartoffeln, Rüben, Milch, Eier und allerlei Tiere an. Der frisch gekrönte bayerische König Max I. Joseph verlegte den Markt schließlic­h. „Hoch und Nieder, Arm und Reich finden sich hier zusammen, um für des Leibes Nothdurft und Ergetzen zu sorgen, ein jeder, wie er es vermag“– so kommentier­te das Stadtblatt die Eröffnung des neuen Standortes.

Seinen Namen bekam der Markt wohl Anfang des 19. Jahrhunder­ts. Das Wort Viktualien leitet sich vom lateinisch­en victus ab, das übersetzt so viel wie Vorräte oder Lebensmitt­el heißt. Lateinkenn­tnisse galten zu dieser Zeit eben als schick.

1944 legten dann Bombenangr­iffe Teile der Altstadt in Schutt und Asche, auch der Markt wurde zerstört.

Einer sagt: Wir wollen keine modern designten Hütten

Es gibt viele Sorgen – und etwas Hoffnung

Nach dem Krieg gab es Pläne, den Platz neu zu bebauen, jedoch anders als zuvor. Hochhäuser vielleicht? Oder eine Stadtautob­ahn? Solche Pläne scheiterte­n am Protest der Münchner – die ihren Markt so behalten wollten, wie er ihnen ans Herz gewachsen war.

„Auf dem Viktualien­markt einen Stand haben, das will jeder“, erzählt Elke Fett. „Aber für die Arbeit ist kaum einer geschaffen.“Man müsse knallhart sein, nicht wehleidig, und viel aushalten können. „Wir Marktfraue­n sind zäh und haben den Ruf, dass wir granteln. Aber dass der Viktualien­markt weltberühm­t ist, kommt nicht von ungefähr. Das haben wir erarbeitet.“

Was der Viktualien­markt in der Vergangenh­eit einmal war, hilft der Marktfrau ein wenig über die Unsicherhe­it in dieser Zeit. Bang blickt die 76-Jährige auf die kommenden Monate, auf das Weihnachts­geschäft und darauf, wie es mit Corona bis zum Ende des Jahres weitergeht. Und trotz der vielen Sorgen gibt sich Elke Fett auch ein wenig hoffnungsv­oll: „Wir Händler wollen als Freiluftma­rkt in der Altstadt den Besuchern zeigen, was wir können.“Jeder wolle seinen Stand für die Weihnachts­zeit richtig schön herausputz­en und dekorieren. „Wir können sinnlich sein, wir können weihnachtl­ich sein, wir sind nett. Wir bringen einfach Gefühle rüber.“

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Foto: Ralph Peters/Imago Images Das Einkaufser­lebnis sei verloren gegangen, beklagen die Standbetre­iber. Es kommt nur noch ein Bruchteil der bisherigen Kunden.
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Elke Fett betreibt das Duftschman­kerl und ist Sprecherin der Marktleute.
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Fotos (2): Maria Heinrich Wolfgang Kager ist Chef des Honig‰ häus’l.

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