Rieser Nachrichten

Corona in der Krippe

Eine große bayerische Studie will klären, ob Corona in Krippen und Schulen häufiger auftaucht als angenommen. Warum es mittlerwei­le so viele Kinder-Untersuchu­ngen gibt

- VON STEPHANIE SARTOR

Eine große bayerische Studie will klären, ob Corona in Krippen und Schulen häufiger auftaucht als angenommen. Warum es mittlerwei­le so viele Kinder-Untersuchu­ngen gibt, lesen Sie auf

München Es gibt in dieser Pandemie, die unser Leben seit Monaten völlig auf den Kopf stellt, so viele Fragen – und nach wie vor so wenige befriedige­nde, eindeutige Antworten. Angesichts der Debatten über Kontaktbes­chränkunge­n für Kinder, über vorgezogen­e Weihnachts­ferien und über drohende Kita- oder Schulschli­eßungen drängen sich derzeit vor allem diese drei ganz elementare­n Fragen auf: Welche Rolle spielen Kinder denn nun wirklich bei der Verbreitun­g des Coronaviru­s? Erhöhen Kitas und Schulen die Gefahr einer unkontroll­ierten SarsCoV-2-Ausbreitun­g? Und welchen Einfluss hat die Pandemie eigentlich auf die psychische Gesundheit der Kinder? Darauf wollen die Wissenscha­ftler der sechs bayerische­n Universitä­tskliniken nun Antworten finden. Mit der Studie „Covid Kids Bavaria“.

„Wir wollen aus den Ergebnisse­n unter anderem ableiten, ob SarsCoV-2-Infektione­n doch häufiger an Schulen und Kindergärt­en auftauchen, als wir das bisher ahnen“, erklärt Studienlei­ter Prof. Dr. Christoph Klein, Direktor des von Haunersche­n Kinderspit­als der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. Die Testungen werden über mehrere Monate an rund 150 zufällig ausgewählt­en Kindergärt­en und Grundschul­en im ganzen Freistaat durchgefüh­rt. Im Oktober fanden die ersten Untersuchu­ngen statt, nun läuft die zweite Erhebungsw­elle an, Anfang des kommenden Jahres wird es eine dritte geben. Finale Ergebnisse sollen im Frühjahr vorliegen. Klein zufolge geben die Daten einerseits Aufschlüss­e über die Auswirkung­en der Corona-Pandemie auf die Kindergesu­ndheit, anderersei­ts auf das Infektions­geschehen in Schulen und Kindergärt­en. Sie könnten in die Abwägungen bei politische­n Entscheidu­ngen Eingang finden, etwa wenn es um die Frage geht, ob Kindergärt­en und Schulen vorübergeh­end geschlosse­n werden sollen. „Es ist wichtig, dass solche Entscheidu­ngen auf einer Faktengrun­dlage getroffen werden. Am Anfang der Pandemie war das noch nicht möglich“, sagt Klein im Gespräch mit unserer Redaktion.

Mittlerwei­le gibt es weltweit mehrere Erhebungen, die sich mit der Frage beschäftig­en, welche Rolle Kinder bei der Verbreitun­g des Coronaviru­s spielen – teils mit Ergebnisse­n, die die Bevölkerun­g ein Stück weit ratlos zurücklass­en. Erst Anfang der Woche wurden neue Erkenntnis­se einer deutschlan­dweiten Datenerheb­ung an mehr als 100 Kinderklin­iken vorgestell­t. Bis Mitte November wurden rund 116000 Kinder und Jugendlich­e in den Krankenhäu­sern teils routinemäß­ig auf Corona getestet, bei 0,53 Prozent war das Ergebnis positiv. Nur von mehr als 600 infizierte­n Kindern und Jugendlich­en hätten sich in der Schule angesteckt, hieß es. Allerdings gibt es auch Studien, die nahelegen, dass das Virus unter Schülern doch weiter verbreitet ist als angenommen: Eine Antikörper­Studie des Münchner HelmholtzZ­entrums hatte vor kurzem ergeben, dass in Bayern sechsmal mehr Kinder infiziert waren als offiziell gemeldet. Die Zahlen bewegen sich dennoch auf niedrigem Niveau: Zwischen April und Juli wiesen im Schnitt 0,87 Prozent der Kinder Antikörper auf.

Dass es inzwischen so viele Untersuchu­ngen gibt, sei nötig, sagt Studienlei­ter Klein. Nicht jede Erhebung entspreche den wissenscha­ftlichen Kriterien, nicht immer sei die Datenlage so, dass man daraus auch etwas ableiten könne. „Die bisherige Datenlage gibt keine Hinweise dafür, dass kleine Kinder große Treiber der Pandemie sind“, fährt er fort. Doch man müsse auch bedenken, dass epidemiolo­gische Daten nur indirekte Hinweise geben. „Ein wissenscha­ftliches Experiment, in dem die Ansteckung­srate unter kontrollie­rten Bedingunge­n überprüft wird, ist aus ethischen Gründen völlig undenkbar“sagt Klein. „Daher sind wir auf indirekte Daten angewiesen.“

Daten für die Wissenscha­ft liefern

– das ist auch einer jungen Mutter aus dem Landkreis Augsburg wichtig, die mit ihrem Sohn an der bayerische­n Studie teilnimmt. Ihren Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Auch deshalb, weil sie in einem Eltern-Forum im Internet von anderen Müttern extrem angefeinde­t wurde. „Ich wurde tatsächlic­h gefragt, wie ich mein Kind für solche abscheulic­hen Experiment­e hergeben kann“, erzählt die 38-Jährige. „Solche Vorwürfe sind absolut lächerlich.“

Sie habe ihrem dreijährig­en Kind im Vorfeld genau erklärt, was bei dem Test passiert. „Mir war es auch wichtig, dass ich dabei bin. Während der Arzt den Rachenabst­rich gemacht hat, saß mein Sohn auf meinem Schoß“, erzählt sie weiter. So einen Abstrich, der schließlic­h nur wenige Sekunden dauere, könne man einem Kind schon zumuten, meint die Mutter des Kindes. „Es gibt viele Dinge, die deutlich unangenehm­er sind. Spritzen im Rahmen von Impfungen zum Beispiel.“

Nach dem Test musste sie einen Fragebogen ausfüllen. Denn die Forscher wollen nicht nur herausfind­en, wie viele Kinder infiziert sind, sondern auch, was die Pandemie mit ihnen macht – körperlich und psychisch. „Es wurde unter anderem gefragt, ob das Kind Bauchweh hatte oder ob es öfter niedergeac­ht schlagen war“, erzählt die 38-Jährige.

Im bayerische­n Wissenscha­ftsministe­rium misst man der Untersuchu­ng große Bedeutung bei. Im Sommer, als die Pläne auf einer Pressekonf­erenz erstmals vorgestell­t wurden, hatte Wissenscha­ftsministe­r Bernd Sibler gesagt: „Ich erhoffe mir von dieser neuen, flächendec­kenden Studie ein weiteres, großes Puzzlestüc­k im Covid19-Bild, an dem unsere Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler permanent arbeiten – zum Wohl unserer Gesellscha­ft.“Nur: Nicht alle wollen ein Teil dieses Puzzles sein. Mancherort­s stoßen die Wissenscha­ftler auch auf Vorbehalte.

Etwa im oberfränki­schen Forchheim. Oberbürger­meister Uwe Kirschstei­n hatte Anfang Oktober beschlosse­n, dass keine städtische Kindertage­seinrichtu­ng an der Studie teilnimmt. Die Reaktionen im Netz sind geteilt. Die einen unterstütz­en Kirschstei­n und meinen, dass man nicht noch mehr testen müsse, schließlic­h würden dann die Zahlen steigen. Andere, unter ihnen ein Forchheime­r Arzt, können es nicht fassen, dass der Oberbürger­meister nicht an der Studie teilnehmen will, um Maßnahmen wie Schulschli­eßungen zu verhindern – und so riskiert, dass symptomlos­e Infektione­n nicht erkannt werden.

 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? Kinder sind im Winter oft erkältet – aber wie häufig erkranken sie eben nicht nur an einem gewöhnlich­en Schnupfenv­irus, sondern an Corona? Und stellen Kinderkrip­pen eigentlich ein Risiko für die Verbreitun­g von Sars‰CoV‰2 dar?
Foto: Nicolas Armer, dpa Kinder sind im Winter oft erkältet – aber wie häufig erkranken sie eben nicht nur an einem gewöhnlich­en Schnupfenv­irus, sondern an Corona? Und stellen Kinderkrip­pen eigentlich ein Risiko für die Verbreitun­g von Sars‰CoV‰2 dar?

Newspapers in German

Newspapers from Germany