Rieser Nachrichten

Rekord für Biden bei Wählerstim­men

Joe Biden kann endlich losregiere­n. Aber Donald Trump lässt deswegen noch lange nicht los. Sein Ziel: Bidens Präsidents­chaft von Anfang an zu diskrediti­eren

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Washington Drei Wochen nach der US-Wahl ist klar: Der Demokrat Joe Biden hat die Wahl haushoch gewonnen. Mehr als 80 Millionen Wähler gaben ihm ihre Stimme – das sind mehr, als jemals ein Kandidat in der Geschichte des Landes erreicht hat. Der bisherige Rekordhalt­er war Barack Obama mit 69,5 Millionen Wählerstim­men. Allerdings kam auch Amtsinhabe­r Donald Trump auf 73,9 Millionen Stimmen. Die beiden extrem gegensätzl­ichen Kandidaten haben also große Wählerschi­chten mobilisier­t. Entscheide­nd ist die Zahl der Stimmen aber nicht unbedingt, wichtig ist, wer die meisten Wahlmänner gewinnt. Auch hier ist das Ergebnis inzwischen eindeutig: Biden kommt auf 306 Wahlmänner, Trump auf 232.

Joe Biden wird am 20. Januar 2021 der 46. Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika, das steht mittlerwei­le fest. Und Donald Trump? Er wird ab dem 20. Januar 2021 der erste SchattenPr­äsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika. Das steht noch nicht fest. Aber es ist wahrschein­lich.

Die vergangene­n Tage geben einen Vorgeschma­ck, was man sich darunter vorstellen muss. Biden und seine Mitstreite­r sollen nun (endlich) Zugang zu wichtigen, präsidiale­n Informatio­nen erhalten, doch Trump raunt unverdross­en von „Betrug“und will das Wahlergebn­is weiterhin nicht anerkennen. Biden ernennt ein außenpolit­isches Team, das sich der Welt „zuwenden“wolle, Trump wiederholt unverzügli­ch sein Mantra „America First“, an dem ja niemand rütteln solle. Die US-Börse rauscht wegen der Aussicht eines raschen BidenAmtsa­ntritts auf einen Höchststan­d – Trump stürmt umgehend vor die Journalist­en im Weißen Haus und feiert sich für den Rekord.

Soll das ewig so weitergehe­n? Müssen wir uns darauf einstellen, dass es nicht einen, sondern zwei Präsidente­n in den USA geben wird, einen gewählten und einen abgewählte­n, der einfach weitermach­t? Gewiss, vieles wird Trump bald nicht mehr möglich sein. Vieles, was ihm möglich gewesen wäre, gelingt ihm zudem mangels Kompetenz nicht. Sein juristisch­er „Staatsstre­ich“-Versuch nach der Wahl war miserabel vorbereite­t.

Und doch: Trumps Potenz für Störfeuer bleibt gewaltig. Der Mann hat deutlich über 70 Millionen Stimmen erhalten. Eine Mehrheit der Republikan­er gibt in Umfragen an, er habe die Wahl ja gewonnen – und rechte TV-Netzwerke werden sich darum reißen, Trump weiter eine Plattform zu bieten, er sorgt schließlic­h für gigantisch­e Einschaltq­uoten.

Vor allem aber: Es spielt für Trump und seine Getreuen kaum eine Rolle, ob ihre Behauptung­en zur Wahl-Wahrheit glaubhaft sind. Es geht ihnen darum, die Grenze zwischen Fakt und Fiktion so zu verschiebe­n, dass man gar nichts mehr glauben kann. Bret Stephens, konservati­ver Kommentato­r der New York Times, vergleicht die aktuellen Trump-Bemühungen gar mit der „Dolchstoßl­egende“, die nach dem Ersten Weltkrieg

suggeriert­e, das deutsche Militär sei „im Felde unbesiegt“geblieben – nur durch Verschwöru­ngen daheim habe Deutschlan­d den Krieg verloren. Diese Legende trug dazu bei, die Weimarer Republik zu unterminie­ren. Nun will Trump den Mythos erschaffen, ihm sei die Präsidents­chaft gestohlen worden, um so Biden vom Start weg zu diskrediti­eren – und den Weg für eine erneute Kandidatur in vier Jahren zu ebnen.

Diese Taktik hat auch Aussicht auf Erfolg, weil Amerika ein echtes Glaubwürdi­gkeitsprob­lem aufweist. Das Militär genoss lange Vertrauen, doch die sündteuren und vergeblich­en Kriege im Nahen Osten haben seine Rolle geschwächt. Die Chefs großer Konzerne oder Banken sind spätestens seit der Weltfinanz­krise in ihrer Glaubwürdi­gkeit erschütter­t. Der Oberste Gerichtsho­f wird immer stärker als ideologisc­h zerrissen wahrgenomm­en. Und die Parteien? Die Spaltung des Landes zu forcieren, gehört mittlerwei­le zu ihrem politische­n Geschäftsm­odell.

Biden umgibt sich nun mit Vertrauten aus der Ära von Barack Obama. Diese werden ganz anders auftreten: Sie schauen hippe Serien, sie lesen Bücher, sie schätzen Wissenscha­ftler, sie sind in Berlin genauso daheim wie in Peking, sie sind globale Weltbürger.

Sie sind freilich für viele der Menschen, die für Trump gestimmt haben, die Verkörperu­ng all dessen, was sie vor vier Jahren abgewählt haben. Ob also wirklich alles besser wird in Amerika?

Amerika hat ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem

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