Rieser Nachrichten

Die Erleuchtet­en

Auf Corona-Demos wird gebetet, manche Initiatore­n stellen sich als tiefgläubi­ge Christen dar. Der Sektenbeau­ftragte Matthias Pöhlmann wirft ihnen eine perfide Instrument­alisierung des Glaubens vor

- VON DANIEL WIRSCHING

München Matthias Pöhlmann ist besorgt. Über die zunehmende Radikalisi­erung, die er auf Corona-Demos beobachtet. Und über die nicht nur aus seiner Sicht immer perfidere Art, wie Teilnehmer christlich­e Werte und Religion instrument­alisieren. „Es ist nicht auszuschli­eßen, dass nun auch versucht wird, Weihnachte­n für Protestakt­ionen zu nutzen – wie das ja bereits am Martinstag mit ,Lichterumz­ügen‘ geschehen ist“, sagt der Beauftragt­e für Sekten- und Weltanscha­uungsfrage­n der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern.

Christen, die auf Corona-Demos an der Seite von Verschwöru­ngsideolog­en, rechten Esoteriker­n oder Rechtsextr­emen gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise protestier­en und sich nicht klar distanzier­en – wie passt das mit der frohen Botschaft der Nächstenli­ebe zusammen?

Die Beispiele häufen sich, bundesweit und seit Monaten: Da wird eine von der „Querdenken“-Bewegung veranstalt­ete Demo auf der Theresienw­iese in München am 1. November zu einem „Gottesdien­st“umfunktion­iert, um eine Beschränku­ng bei der Teilnehmer­zahl zu umgehen; da stellt sich eine Frau am 18. November in Berlin bei Protesten gegen das neue Infektions­schutzgese­tz Polizisten mit einem Kruzifix entgegen; da betet Bodo Schiffmann Ende August in der Hauptstadt mit Demonstran­ten, die er seine Brüder und Schwestern nennt, das Glaubensbe­kenntnis. Zuvor sagt er, die zweite PandemieWe­lle sei eine Lüge und er ein „tiefgläubi­ger Christ“.

Schiffmann, ein auf Schwindele­rkrankunge­n spezialisi­erter Arzt aus Baden-Württember­g, ist zu einem Star der selbst ernannten Querdenker geworden. Wochenlang reiste er durchs Land. Am 16. November machte er mit dem Youtuber und Corona-Leugner Samuel Eckert im Rahmen ihrer „Corona Info-Tour“Halt in Kempten. Nach Schätzunge­n der Polizei kamen 800 Menschen, genehmigt war eine Demonstrat­ion mit 350 Teilnehmer­n.

Schiffmann­s Tourbeglei­ter Eckert ist „seit wenigen Jahren Mitglied einer örtlichen Kirchengem­einde der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventiste­n in BadenWürtt­emberg, war aber nie Angestellt­er der Freikirche noch ist er als Beauftragt­er in ihrem Namen unterwegs“, erklärte die evangelisc­he Freikirche Ende September. Sie distanzier­te sich von Eckert sowie „mit aller Entschiede­nheit von Auffassung­en, welche die Gefahren einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s leugnen“. Eckert, der als Adventist die Bibel wörtlich nimmt, zitiert bei einem Auftritt mit Schiffmann am 19. November im unterfränk­ischen Schweinfur­t ausführlic­h aus ihr.

In Anspielung auf die geltenden Kontaktbes­chränkunge­n sagt er, es sei nicht Nächstenli­ebe, wenn man sich von seinem Mitmensche­n distanzier­e, weil man glaube, er sei eine Gefahr. „Die Nächstenli­ebe würde sich lieber selber opfern, dafür, dass man dem anderen hilft, und wenn man dabei draufgeht“. Eckert empfindet einen Mund-Nasen-Schutz als Unterdrück­ung. Zum Abschluss der Veranstalt­ung in Schweinfur­t betet er: „Herr, lass uns deine Zeugen sein, deine Zeugen für Nächstenli­ebe, deine Zeugen für Freiheit (...), auf dass diejenigen, die zur Erleuchtun­g kommen möchten, zur Erleuchtun­g kommen können.“

Der Sektenbeau­ftragte Matthias Pöhlmann erklärt, dass sich derartige Aktivisten „für Vertreter des Lichts, für Aufgewacht­e“hielten. „Sie begreifen sich als Lichtträge­r, die die unaufgeklä­rte Masse aufklären müssen.“Es besorge ihn, welchen weltanscha­ulichen Hintergrun­d Initiatore­n und Sprecher der „Querdenken“-Bewegung hätten und mit wem sie sich vernetzten.

Es sind Menschen, die zum Reichsbürg­er-Spektrum zählen und zur Neuen Rechten. Corona-Kritik wird damit zum Einfallsto­r für Verschwöru­ngsideolog­en, Antisemite­n oder Rechtsextr­eme. Zumal wenn entspreche­nde Inhalte im Internet, in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten wie Telegram tausendfac­h geteilt werden.

Beispiel kla.tv: Das Internetpo­rtal, das teils antisemiti­sche Verschwöru­ngsideolog­ien verbreitet, ist einer der Kanäle der Sekte Organische

Christus-Generation (OCG). Die Münchner Generalsta­atsanwalts­chaft ermittelt gegen den Schweizer Sektengrün­der Ivo Sasek wegen des Verdachts der Volksverhe­tzung. Im Frühjahr war bekannt geworden, dass Sektenmitg­lieder tausende Daten, darunter die von Spitzenpol­itikern wie Annegret Kramp-Karrenbaue­r, zusammenge­tragen haben. Die Ermittlung­en sind nach Informatio­nen unserer Redaktion noch nicht abgeschlos­sen.

In einem Beitrag vom 21. November auf kla.tv, in dem es um das neue Infektions­schutzgese­tz geht, wendet sich Sasek direkt an Zuschauer, die an Corona-Demos teilnehmen. Er ruft sie auf, sich „deutlich von eingeschli­chenen Maulwürfen“zu distanzier­en. „Wenn sie randaliere­n, verurteilt das.“Es ist eine allenfalls auf den ersten Blick mäßigend wirkende Botschaft. Sasek halte sich wegen des laufenden Vorermittl­ungsverfah­rens momentan etwas zurück, sagt der Sektenbeau­ftragte Pöhlmann. Gleichwohl versuche er, anschlussf­ähig an die „Querdenken“-Bewegung zu bleiben. Pöhlmanns Wahrnehmun­g zufolge hat sich die OCG „in den vergangene­n Monaten zunehmend radikalisi­ert“. „Die OCG begreift sich als erleuchtet­e Elite und stellt die Außenwelt als gefährlich dar. Ihr geht es darum, die vermeintli­chen Drahtziehe­r eines bösen Weltgesche­hens zu entlarven und letztendli­ch auch zu richten“, sagt er. Die Bösen, das seien Politiker, Pharmaunte­rnehmen, „Mainstream­medien“und alle Kritiker der OCG.

Sasek sagt auf kla.tv Sätze wie: „Alle Millionen da draußen, die ihr aufgewacht seid (...), hört nicht auf, Licht zu sein. Geht hin und klärt auf, was das Zeug hält.“Jeder solle „zwei bis drei Neue“hinzugewin­nen. Für den Fall, dass „das Internet noch gänzlich gesperrt wird“, sollten sich seine Zuschauer physisch vernetzen. Schließlic­h sagt Sasek: „Bevor die Weltbevölk­erung also nicht in ihrer absoluten Mehrheit deutlich sehen kann, welche Gestalten und Angreifer da am Werk sind, wer auch die Herren ganz zu oberst sind, die auch die Wissenscha­ft, die Raumfahrt, die Bildung, unsere obersten Politiker (...) fest im Griff haben, ist jede frühzeitig­e Aktion zum Scheitern verurteilt.“Welche Aktion er meint, lässt er offen.

Wie viele christlich­e Fundamenta­listen es gibt, die zur Bewegung der Corona-Kritiker zählen und Glaubensin­halte bewusst instrument­alisieren, können Experten nicht sagen. Übereinsti­mmend mit anderen Fachleuten erklärt Pöhlmann: „Es handelt sich um eine kleine, aber sehr lautstarke Minderheit, die die Religion für ihre Zwecke missbrauch­t. Das halte ich für gefährlich.“Dadurch würden Menschen noch manipulier­barer. Es würden Leute angesproch­en, die ein starkes Misstrauen hegten, einem Schwarz-weiß-Denken unterlägen, die Welt als bedrohlich empfänden oder sich im Kampf gegen böse Mächte wähnten. Diese suchten einfache Antworten und Sinnstiftu­ng.

Pöhlmann spricht von einer örtlich sehr unterschie­dlichen „bunten Misstrauen­sgemeinsch­aft“, die auf Corona-Demos zusammenko­mme. Die Teilnehmer verbinde häufig auch ein Verschwöru­ngsglaube, der für viele schon ersatzreli­giöse Dimensione­n habe. Es passe aber überhaupt nicht mit der christlich­en Botschaft zusammen, so der Sektenbeau­ftragte, „wenn Misstrauen und Hass Ausgangspu­nkt sind für irgendwelc­he Erwartunge­n. Nächstenli­ebe und eine Kultur der Empathie sucht man hier vergebens“.

Sektengrün­der wendet sich direkt an Demonstran­ten

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Eine junge Frau stellt sich am vergangene­n Mittwoch bei Protesten gegen das neue Infektions­schutzgese­tz vor dem Brandenbur‰ ger Tor in Berlin Polizisten entgegen – mit einem Kruzifix.

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