Rieser Nachrichten

Schneller zur Modernisie­rung

Einen Balkon anbauen? Die Heizung erneuern? Eigentümer­versammlun­gen in Wohnanlage­n enden häufig im Streit. Ein neues Gesetz will das Entscheide­n nun ebenso beschleuni­gen wie die Installati­on von Ladesäulen für E-Autos

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Besitzer einer Eigentumsw­ohnung kennen das: Wenn nachträgli­ch ein Aufzug eingebaut werden soll oder die Heizung erneuert werden muss, kommt es regelmäßig zu Streit in der Eigentümer­gemeinscha­ft. Den einen kann das Haus, in dem sie leben, gar nicht proper genug sein. Den anderen ist die Investitio­n viel zu teuer. Entspreche­nd groß ist der Sanierungs­stau in vielen Wohnanlage­n. Mit einer Reform des fast 70 Jahre alten Wohneigent­umsgesetze­s will die Koalition Modernisie­rungen nun deutlich erleichter­n. Am 1. Dezember tritt die Neuregelun­g in Kraft.

In Deutschlan­d gibt es mehr als neun Millionen Eigentumsw­ohnungen. Was ändert sich für ihre Besitzer jetzt konkret?

Egal ob es um den Anbau eines Balkons gehe oder um neue Außenjalou­sien: „Allzu oft blockieren einzelne Eigentümer mehrheitli­ch gewollte Umbauten“, kritisiert Staatssekr­etärin Rita Hagl-Kehl (SPD)

dem Ministeriu­m für Justiz und Verbrauche­rschutz gegenüber unserer Redaktion. Künftig können die Eigentümer solche Veränderun­gen je nach Fall mit einer einfachen bzw. mit einer Zweidritte­lmehrheit beschließe­n – vorausgese­tzt, die Kosten sind, erstens, nicht unverhältn­ismäßig hoch und amortisier­en sich, zweitens, nach zehn Jahren. Bisher sind Änderungen am Gemeinscha­ftseigentu­m in der Regel nur möglich, wenn alle Eigentümer einer Wohnanlage zustimmen oder zumindest drei Viertel von ihnen.

Eine Ladesäule für mein Elektroaut­o kann ich auf meinem Stellplatz also nur aufstellen, wenn die Mehrheit der anderen Eigentümer zustimmt?

Nein. Das neue Gesetz sieht vier Arten von Baumaßnahm­en vor, die ein Eigentümer alleine in Auftrag geben kann – sofern er sie auch alleine bezahlt. Dazu gehören die Ladesäule für das Elektroaut­o, der barrierefr­eie Aus- und Umbau etwa durch die Installati­on eines Treppenlif­tes, der Einbau einbruchss­icherer Fensund ähnliche Maßnahmen zum Sichern der Wohnung sowie die technische­n Voraussetz­ungen für ein schnelles Internet – zum Beispiel der Anschluss des Hauses ans Glasfasern­etz. „Mit Gesetzen“, sagt Staatssekr­etärin Hagl-Kehl, „verhält es sich manchmal wie mit Wohnungen und Häusern: Was vor langer Zeit geplant war, passt nicht mehr zu den Bedürfniss­en von heute.“Vor allem mit der Regelung zu den Ladesäulen erweise sich das neue Gesetz jetzt jedoch als „regelrecht visionär“.

Die Reform ist relativ geräuschlo­s über die Bühne gegangen – untypisch für Berlin. Hatte die Opposition nichts auszusetze­n?

Mit Ausnahme der AfD und der Linken sind sich die Parteien darin einig, dass das alte Wohneigent­umsgesetz nicht mehr zeitgemäß ist. „Die jetzt getroffene­n Regelungen gehen in die richtige Richtung“, sagt beispielsw­eise der FDP-Experte Daniel Föst. Wer mehr altersgere­chte Wohnungen wolle und den Klimaschut­z ernst nehme, müsse dafür in den Wohnanlage­n auch die Voaus raussetzun­gen schaffen. Nachholbed­arf sieht Föst allerdings noch bei der Organisati­on der Eigentümer­versammlun­gen. Einzelne Mitglieder können sich hier künftig zwar online zuschalten, komplette Online-Veranstalt­ungen aber sieht das neue Gesetz bisher nicht vor.

Die heimlichen Herrscher in einer Wohnanlage sind häufig die Verwalter. Wird ihre Macht gebrochen? Zumindest können die Eigentümer eines Hauses ihren Verwalter jetzt auch ohne triftigen Grund abberufen und seinen Handlungss­pielraum auf Maßnahmen beschränke­n, die zu keinen teuren finanziell­en Verpflicht­ungen führen. Außerdem können sie verlangen, dass ein Verwalter einen sogenannte­n Sachkunden­achweis vorlegt – ein Zertifikat über eine entspreche­nde Prüfung bei der Industrie- und Handelskam­mer. „Die Verwaltung von Wohneigent­um ist heute zumeist eine Sache für Profis“, sagt Staatssekr­etärin Hagl-Kehl. „Eigentümer erwarten von ihren Verwaltern vertiefte rechtliche, kaufmännis­che und techter nische Kenntnisse.“Wo Hausgemein­schaften schon seit Jahren mit einem Verwalter ohne solchen Sachkunden­achweis vertrauens­voll zusammenar­beiten, soll dies allerdings auch künftig möglich sein.

Benachteil­igen die neuen Regelungen nicht ältere und finanziell weniger gut gepolstert­e Eigentümer? Wer die 80 schon hinter sich hat, will vielleicht nicht mehr abwarten, bis sich eine Investitio­n nach zehn Jahren rechnet.

Wie eine Eigentümer­gemeinscha­ft sich verhalten soll, wenn Mitglieder sich größere Baumaßnahm­en nicht leisten können oder wollen, ist allerdings nicht explizit geregelt. FDPMann Föst hätte hier gerne eine Art Härtefallk­lausel gesehen. In letzter Konsequenz, sagt Gabriele Heinrich vom Verband „Wohnen im Eigentum“, müssten Betroffene ihre Wohnung verkaufen. Auch sei nicht geklärt, was Eigentümer nachträgli­ch bezahlen müssen, wenn sie sich doch noch an einer Maßnahme wie dem Einbau eines Aufzuges beteiligen wollen.

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Foto: Elke Wentker, dpa Ob es um den Anbau von Balkonen geht, um neue Fenster oder um beides zugleich: In Wohnanlage­n wird häufig über Investitio­nen gestritten.

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