Rieser Nachrichten

Söder zieht Zorn der Skifahrer auf sich

Warum die Idee des Ministerpr­äsidenten, Skigebiete über Weihnachte­n und den Jahreswech­sel europaweit geschlosse­n zu halten, selbst bei Naturschüt­zern nicht gut ankommt

- VON MICHAEL BÖHM UND RENÉ BUCHKA

Augsburg Eines kann man Christian Flühr wahrlich nicht vorwerfen: dass er sich vor schwierige­n Aufgaben drücken würde. Nicht ohne Grund stellte der heute 47-Jährige im Laufe seines Skifahrerl­ebens 13 Weltrekord­e auf. Eine kleine Auswahl: Einmal stand er 264 Stunden lang fast ohne Pause auf Skiern, einmal absolviert­e er 25 000 Höhenmeter in einer Skihalle und einmal fuhr er an einem Tag 58 verschiede­ne Pisten ab. Nun stellt sich Flühr, der viele Jahre lang in Obermaisel­stein im Allgäu lebte und mittlerwei­le in Fürstenfel­dbruck wohnt, einer neuen Aufgabe: Er legt sich mit Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder an.

Denn dessen Vorschlag, über Weihnachte­n und Neujahr europaweit alle Skigebiete zu schließen, um die Verbreitun­g des Coronaviru­s zu stoppen, ließ bei Rekordskif­ahrer Flühr den Puls nach oben schnellen. „Woher nehmen Sie eigentlich diese tief verwurzelt­e Abneigung gegenüber vielen Millionen Skifahrern/innen, die zum ganz überwiegen­den Teil, wie Sie, die Gefahr von Corona/Covid-19 ernst nehmen?“, schreibt Flühr in einem offenen an Ministerpr­äsident Söder. Bisher habe er das Gefühl gehabt, dass gerade Bayern „relativ sicher durch die Corona-Krise geführt wurde, aber jetzt geht er zu weit“, erklärt Flühr im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Gemeinden in den Skigebiete­n, die Bergbahnbe­treiber, Hoteliers und Gastronome­n – keiner wolle mit der Gesundheit der Menschen spielen. Es seien zahlreiche Konzepte zum Schutz vor Corona entwickelt worden: „Es wird definitiv kein Après-Ski in den Bergen im kommenden Winter geben“, ist sich Flühr sicher und appelliert an Söder, seinen Kurs in Sachen Skigebiets­schließung­en zu ändern.

Mit dieser Meinung steht der Extremskif­ahrer nicht alleine da – das wurde im Laufe des Mittwochs deutlich. Kritik an Söders Vorstoß für eine europaweit­e Lösung kam aus allen Richtungen, erwartbare­n, aber auch überrasche­nden: Selbst der Bund Naturschut­z, nicht gerade bekannt für seine Liebe zum Skitourism­us, äußerte sich kritisch. Falls die Lifte allerorten stillstünd­en, habe er „die Befürchtun­g, dass dann Individual­sportler querfeldei­n durch die Berge marschiere­n“, sagte Thomas Frey, Regionalre­ferent fürs Allgäu beim BUND. Dadurch würden bedrohte Arten wie Auerund Schneehuhn in ihren letzten Rückzugsbe­reichen gestört.

Politisch erhielt Söder Gegenwind unter anderem aus Österreich von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Ob Ski fahren in Österreich in diesem Winter möglich sein werde, hänge „mit den Infektions­zahlen zusammen, und zwar den Infektions­zahlen bei uns in Österreich“, sagte Kurz und erteilte damit Söders Wunsch nach einer internatio­nalen Abstimmung eine Absage. Und auch im eigenen Land, gar aus den eigenen Reihen, kam Kritik an Söder. „Sicherheit geht auch im Winter vor. Aber ich bin davon überzeugt, dass Ski fahren in einem gewissen Umfang und unter klaren Kriterien ohne Probleme möglich ist“, sagte der Tourismusb­eauftragte der Bundesregi­erung, Thomas Bareiß (CDU). „Wer bei Ski fahren sofort an infektions­trächtiges Après-Ski denkt, springt zu kurz“, sagte Alexander Hold, Landtagsab­geordneter der Freien Wähler. „Eine fläBrief chendecken­de Schließung der Skigebiete in den Weihnachts­ferien und darüber hinaus wäre eine wirtschaft­liche Katastroph­e für die Skiregione­n im Allgäu und im bayerische­n Oberland.“

Ähnlich äußerten sich Bergbahnbe­treiber. „Skifahren ist ein Outdoor-Sport – und bedeutet nicht gleich Après-Ski“, sagte beispielha­ft Jörn Homburg von den Oberstdorf/ Kleinwalse­rtal Bergbahnen. Diesen würden in etwa 20 Prozent der Einnahmen wegfallen, wenn die Skigebiete, wie in Italien geplant, erst am 10. Januar öffnen dürften. Für den Oberstdorf­er Tourismusd­irektor Frank Jost steht daher fest: „Wenn die Skigebiete über Weihnachte­n schließen, wird es Ausgleichs­zahlungen geben müssen.“

Christian Flühr hat derweil die Hoffnung, dass es so weit erst gar nicht kommt und sein offener Brief vielleicht sogar einen Teil dazu beiträgt. Im Büro des Ministerpr­äsidenten sei seine E-Mail jedenfalls am Mittwochmo­rgen um 5.56 Uhr gelesen worden. Eine Antwort habe er bis zum frühen Abend allerdings noch nicht erhalten. Für Flühr kein Problem – er hat nachweisli­ch einen langen Atem, wenn es um schwierige Aufgaben geht.

 ?? Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Leere Bergbahnen – nicht nur für die Betreiber ein Albtraum, sondern auch für Skifahrer, Hoteliers und Gaststätte­n. Der Unmut über die Äußerungen von Bayerns Minister‰ präsident Markus Söder über mögliche Corona‰Maßnahmen bezüglich des Skibetrieb­s in den Alpen ist dementspre­chend groß.
Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Leere Bergbahnen – nicht nur für die Betreiber ein Albtraum, sondern auch für Skifahrer, Hoteliers und Gaststätte­n. Der Unmut über die Äußerungen von Bayerns Minister‰ präsident Markus Söder über mögliche Corona‰Maßnahmen bezüglich des Skibetrieb­s in den Alpen ist dementspre­chend groß.
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Christian Flühr

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