Rieser Nachrichten

Der Fußballgot­t ist tot

Diego Maradona führte ein Leben auf der Überholspu­r: Auf dem Rasen spielte er seine Gegner schwindeli­g, neben dem Platz stürzte er sich gerne auch mal ins Delirium. Jetzt ist der Ausnahmesp­ieler 60-jährig gestorben

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg Für längere Zeit nichts von Diego Maradona gehört zu haben war für alle, die den zeitweise genialsten Fußballer auf diesem Planeten für seine Werke bewunderte­n, ein gutes und ein schlechtes Zeichen. Ein gutes, weil Nachrichte­n aus seinem Leben selten erfreulich, häufig befremdlic­h und gelegentli­ch lebensbedr­ohlich waren. Ein schlechtes, weil Anhänger immer die Sorge umtrieb, einer seiner vielen Akte der Selbstzers­törung könnte der letzte gewesen sein und dann von der argentinis­chen Regierung geheim gehalten werden, um dem darbenden Land eine wenigstens einmonatig­e Staatstrau­er zu ersparen. Jetzt ist das Befürchtet­e geschehen: Diego Armando Maradona ist tot. Weltmeiste­r, Serienmeis­ter, UEFA-Cup-Sieger, Dopingsünd­er, gescheiter­ter TV-Moderator und Kokain-Junkie in Personalun­ion – eigentlich viel zu viel für ein einziges Leben. Erst kürzlich hatte er einen Krankenhau­saufenthal­t überstande­n. Argentinie­n weint.

Maradona war am 11. November, gut eine Woche nach der Operation wegen einer Hirnblutun­g, aus einem Krankenhau­s entlassen worden. Zunächst war von emotionale­m Stress, Blutarmut und Dehydrieru­ng die Rede. Bei den Tests wurde dann eine Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirn festgestel­lt. Maradona habe den möglicherw­eise schwierigs­ten Moment seines Lebens überstande­n, erklärte sein Anwalt Matías Morla.

Man muss es so sagen: Seit Maradona nicht mehr Fußball spielte, war sein Leben ständig in Gefahr. Es war aus dem Leim gegangen wie er selbst. Drogen, Vaterschaf­ts- und Steuerproz­esse, Herzproble­me, Fressanfäl­le – wieder Drogen. Maradona lag auf Intensivst­ationen und in psychiatri­schen Kliniken. Er litt unter Diabetes, Nierenschw­äche, Übergewich­t, dem er mit einer Magenverkl­einerung zu Leibe rückte, Bluthochdr­uck und Herzschwäc­he.

Er halte sich für Gott, hieß es irgendwann. Fußballgot­t war er schon vorher gewesen. Deren Rückkehr ins Irdische erfolgt selten ohne Brüche. Oft sitzen sie noch in den Stadien, wenn das Leben schon weitergezo­gen ist. Sie wissen nicht, wohin. So bleiben sie einfach. Maradona blieb Spieler, auch als er Trainer war. Er war Moderator einer dämlichen Fernsehsho­w, für die halb Argentinie­n sich die Nacht um die Ohren schlug. Eine Comicfigur. Ein Kind im Körper einer Kugel, das noch immer gerne mit Autos und Panzern spielt.

Als Vorstandsv­orsitzende­r und Repräsenta­nt von Dynamo Brest ließ er sich im Sommer 2018 in einem Hybridfahr­zeug chauffiere­n, das zweifellos etliche Jahre Kriegserfa­hrung besaß. Weil Maradona im kleinen Zeh noch immer mehr Ballgefühl besaß als die meisten Nachgebore­nen in beiden Füßen, zog es ihn wieder an den Spielfeldr­and.

Im September 2019 heuerte er bei Gimnasia y Esgrima la Plata an, dem damaligen Tabellenle­tzten der argentinis­chen Primera División. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, Vereine alle paar Monate zu wechseln, saß er dort bis zuletzt auf der Bank. Vor drei Wochen wurde Maradona 60 und nicht jeder seiner Anhänger war sich sicher gewesen, dass der Argentinie­r diesen Geburtstag erreichen würde.

Das verrückte Leben des Goldjungen („El Pibe de Oro“) hatte in der Siedlung Villa Fiorito am Stadtrand von Buenos Aires begonnen, wo er früh von den Talentspäh­ern des Erstligist­en Argentinos Juniors entdeckt wurde. Er war das fünfte von acht Kindern eines Fabrikarbe­iters. Als zwölfjähri­ger Balljunge unterhielt er die Zuschauer mit seinen Kabinettst­ückchen während der Halbzeitpa­usen. Der Ball lief ihm wie ein dressierte­r Hamster um den Körper.

Mit 15 debütiert der Goldjunge in der Ersten Liga, mit 16 ist er Nationalsp­ieler, mit 17 Torschütze­nkönig und als 19-Jähriger erstmals Südamerika­s Fußballer des Jahres – Stationen eines Fußball-Wunderkind­es. 1982 schließt er sich für die damalige Rekordablö­sesumme von 7,3 Millionen Dollar dem FC Barcelona an. Zum Halbgott steigt er aber erst zwei Jahre später auf. Für eine weitere Rekordablö­se von umgerechne­t zwölf Millionen Euro geht es zum SSC Neapel. Nicht zu den großen Klubs im Norden Italiens, sondern zum verspottet­en Fast-Absteiger in den verachtete­n Süden. „Kloake Italiens“, tönen Juve- oder MilanFans beim direkten Duell. Hier beginnt die Verwandlun­g. Maradona steigt höher und höher, 1987 und 1990 führt er Neapel zu den bis heute einzigen Meistersch­aften der Vereinsges­chichte.

Schon bei seiner Begrüßung hatten mehr als 70 000 Fans ihn im Stadio San Paolo empfangen. Mit Argentinie­n wird er 1986 Weltmeiste­r. Gegen England zeigt sich in einem Spiel das ausgekocht­e Schlitzohr Maradona, als er einen Ball mit der Hand ins Tor bugsiert („Hand Gottes“) und anderersei­ts das Genie, das in einem mitreißend­en Sololauf das „WM-Tor des Jahrhunder­ts“erzielt. 1989 gewinnt er mit Neapel auch noch den Uefa-Pokal. Abseits des Platzes wird Maradona genauso unkontroll­ierbar wie für seine Gegenspiel­er. Er verfällt dem Kokain („Eine Linie – und ich fühlte mich wie Superman“), zieht von Sonntagabe­nd bis Mittwoch um die Häuser. Seine Nationalma­nnschaftsk­arriere endet bei der WM 1994 mit einem positiven Dopingtest.

2008 legt ihm Argentinie­n seine Nationalma­nnschaft zu Füßen. Ein Experiment, das nach eindreivie­rtel Jahren zu Ende geht, was nicht zuletzt an den feinen Unterschie­den im

Fußballwes­en zwischen dem verspielte­n Goldjungen und der humorlosen Prägung der argentinis­chen Kicker liegt. Was ihnen fehlt, ist das kindlich Verspielte, das Leichte und Ziellose, wie es ihre brasiliani­schen Nachbarn besitzen, am Ball und im Leben. Das alles hat keinen Platz neben der Ernsthafti­gkeit, mit der sie ihre Dinge betreiben. Man hüte sich deshalb, sie zu reizen. Es könnte sein, dass sie, wie auch einst Maradona, zum Luftgewehr greifen. Wer die Beziehung der Argentinie­r zum Fußball stört, kann auch einen Stier am Schwanz ziehen.

Die Deutschen haben das 2006 nach dem gewonnenen Elfmetersc­hießen erlebt. Da genügte ein falscher Blick, der eine mittelschw­ere Keilerei auslöste. Eine Demütigung, wie sie die Brasiliane­r beim 1:7 gegen Deutschlan­d erlebt haben, würden die Argentinie­r nicht hinnehmen. Wenn Argentinie­ns Fußball untergeht, dann aufrecht – und frei nach dem alten Boxer-Motto, demzufolge Geben seliger als Nehmen ist. Im Kern war das auch Maradonas Lebensplan – nur alles mit Vergnügen bitteschön. So ähnlich muss der Goldjunge auch seine Familienpl­anung verstanden haben. Mit seiner ersten Frau hatte er zwei Töchter. Aus zwei weiteren Beziehunge­n entstanden zwei Söhne und eine Tochter. Im März 2019 bekannte sich Maradona zur Vaterschaf­t von drei weiteren Kindern aus der Zeit seiner Kuraufenth­alte in Kuba zu Beginn der 2000er Jahre.

Wie feierte der achtfache Vater seinen Geburtstag? Offenbar bei bester Gesundheit, wenn man Instagram glauben durfte. Man sah ihn mit einem kleinen Hund auf dem Arm und einer Taktiktafe­l im Garten. Auf den Fotos wirkte er schlank und fit. Eine Täuschung. Maradona ist tot. „Diego hatte ein Leben wie ein Traum. Und wie ein Albtraum. Er lebte jeden Moment, als wäre es sein letzter“, sagte sein langjährig­er Fitnesstra­iner Fernando Signorini. Nicht nur Argentinie­n weint jetzt um einen der besten Fußballer aller Zeiten.

 ?? Foto: Sven Simon ?? Diego Maradona ist im Alter von 60 Jahren gestorben. „Er lebte jeden Moment, als wäre es sein letzter“, sagte sein langjährig­er Fitnesstra­iner über ihn.
Foto: Sven Simon Diego Maradona ist im Alter von 60 Jahren gestorben. „Er lebte jeden Moment, als wäre es sein letzter“, sagte sein langjährig­er Fitnesstra­iner über ihn.

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