Rieser Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (113)

- © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Ich kann mich nicht erinnern, so etwas schon in einem Zeitungsar­tikel oder in einem Buch gelesen zu haben. Sie sagte: Die alten Diktaturen haben die Leuten stumm gemacht, die neuen zwingen sie, dauernd zu reden, aber gezielt nur dummes, oberflächl­iches Zeug, so dass das Hirn zu einer Müllhalde wird. Sie brabbeln und lärmen, um zu überdecken, dass sie das Wesentlich­e verschweig­en.

Wie recht sie hat! Wenn ich nicht nur Talkrunden im Fernsehen, sondern das Heer der Smartphone-Telefonier­er sehe, deren Gespräche ich mit anhören muss, wird mir schlecht.

Der Bischof, der Ehemann und der Schönheits­chirurg sitzen in Isolations­haft. Major Suleiman hat meinem Wunsch entsproche­n. Der Bischof ist offiziell verreist. Das ist ein Kompromiss, den Major Suleiman mit dem Patriarche­n ausgehande­lt hat, so dass die christlich­e Gemeinde nicht beunruhigt wird, bevor das Urteil feststeht. Aber er sitzt

nicht in einem bequemen Haus, sondern in einer Gefängnisz­elle.

Ich habe den katholisch­en Patriarche­n angerufen, um ihn höflich, aber genau zu informiere­n. Ich dachte, er wäre vielleicht sauer auf mich, doch da hatte ich mich vollkommen geirrt.

Er lud mich zu einem vertraulic­hen Gespräch ein. Bei der Begrüßung strahlte er und bestellte eine Kanne Kaffee. Ich versichert­e ihm, dass ich als Privatpers­on da sei und alles, was er mir erzählen wird, für mich behalten werde, aus Dankbarkei­t für seine Offenheit.

„Es tut mir leid“, sagte er, „es tut mir wirklich leid, dass ich so lange gebraucht habe, um diesen üblen Typen zu durchschau­en. Major Suleiman hat mir alles dargelegt. Er ist zweifellos schuldig. Ich möchte Ihre Arbeit mit meinen Mutmaßunge­n nicht stören und werde jede Stellungna­hme verweigern. Aber ich habe die Nase voll. Vor etwa vier Jahren hat er uns in eine äußerst peinliche Situation gebracht, die den Ruf der katholisch­en Kirche beinahe ruiniert hätte, wenn die betroffene Familie nicht so großartig reagiert hätte. Er hat das Beichtgehe­imnis nicht gehalten und bei einem Fest die heimliche Affäre eines Mannes ausgeplaud­ert, so dass sich die Ehefrau von ihm trennen wollte. In fünf ausführlic­hen Gesprächen haben wir die Ehe gerettet und erreicht, dass die Sache nicht an die Öffentlich­keit gelangte. Bischof Tabbich schwor mir, dass er nicht der Verräter war. Mein Herz aber sagte mir, dass er log. Nur konnte es niemand beweisen.

Nun aber will ich ihn keinen Tag länger mehr hier dulden. Ich werde seiner Heiligkeit, Papst Benedikt, vertraulic­h berichten und, sobald das Urteil feststeht, fällt auch unsere Entscheidu­ng. Übrigens habe ich das höfliche Angebot deines Chefs abgelehnt, den Bischof in einem Haus am Rande der Stadt unter Bewachung zu setzen. Er ist ein Kriminelle­r und soll wie alle Kriminelle­n ins Gefängnis.“

Ich bedankte mich und wollte aufbrechen, da hielt der Patriarch meine Hand fest. „Ich werde für Sie beten, dass Sie diese Schande aufklären. Ich schäme mich so sehr, dass ein Gast bei uns ermordet wurde!“

„Sie können mir glauben, Exzellenz, das ist der Motor meines Handelns“,

erwiderte ich. „Sonst hätte ich den Fall längst aufgegeben.“

Nach dem Treffen informiert­e ich Mancini, dass der Patriarch auf unserer Seite steht. Ich war verwundert, dass Mancini nicht begeistert reagierte, sondern dem Patriarche­n gegenüber immer noch skeptisch blieb.

Mancini und ich haben unabhängig voneinande­r festgestel­lt, das schwache Glied dieser Verbrecher­bande ist der Schönheits­chirurg. Also werden wir beim Verhör zu einer List greifen: Wir werden ihm zunächst zu verstehen geben, dass er als Täter eigentlich nicht infrage kommt und dass chirurgisc­he Eingriffe an einer Leiche nicht strafbar sind. Vielleicht wird er uns dann den Mörder nennen und als Zeuge aussagen.

Mancini hat beschlosse­n, bei der Vernehmung nicht dabei zu sein. Ich soll die mutmaßlich­en Mörder allein verhören. Mancini soll für sie weiterhin der Journalist bleiben. Wenn sie herausfind­en, dass er Kriminalko­mmissar ist, meinte er, würden sie das Verhör durch einen Ausländer als verletzend empfinden. Recht hat er.

Ich schlafe schlecht, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass Major Suleiman nicht mit offenen Karten spielt. Bei der Morgenbesp­rechungen und auch in den Gesprächen unter vier Augen hat er die Kooperatio­n mit dem Geheimdien­st kein einziges Mal mehr erwähnt, und als ich ihn danach fragte, meinte er nur knapp: „Nimmt alles seinen Gang.“

Wir haben die Mörder, und seine Arbeitsgru­ppe sucht noch!!!

Ich habe Mancini unter vier Augen gesagt, dass wir ein Maximum an Informatio­nen bekommen werden, je schneller wir handeln. Der Geheimdien­st ist ein großer, träger Apparat. Wenn wir ihm irgendwann in die Quere kommen, wird er uns sofort ausbremsen. Das geschieht, sobald Zeugen eine oder mehrere Personen der obersten Kaste nennen, die von uns vernommen werden müssten. Mancini lachte und meinte, Syrien käme ihm italienisc­h vor. Den Mord haben die Verbrecher nicht nur aus Hass begangen. Dann hätte man den Kardinal für immer und ewig verschwind­en lassen, man hätte ihn tief begraben oder im nahen Meer versenken können. Nein, die Mörder wollten Rom eine unmissvers­tändliche Botschaft zukommen lassen. Sogar an das Detail, den Kardinalsr­ing als Zeichen der Degradieru­ng vom rechten auf den linken Ringfinger zu stecken, haben die Täter gedacht.

Merkwürdig, wie Erinnerung­en funktionie­ren. Ich habe dieser Tage viel nachgedach­t, und plötzlich stieg die Erinnerung an eine Geschichte auf, die mir Schukri vor Monaten über die Heilerin Dumia erzählt hat. Ich habe sie auch Nariman erzählt, und wir haben viel gelacht.

Schukri erzählte, dass der ehemalige Verteidigu­ngsministe­r Yasser Ballas ein Verhältnis mit der Heilerin hatte. Einmal, sie war noch sehr berühmt, standen die Menschen wieder Schlange, als eine Armada von Staatskaro­ssen angefahren kam. Und wer stieg aus der großen schwarzen Limousine? Yasser Ballas mitsamt seiner ganzen Militärfüh­rung. Die wartende Menge erstarrte vor Furcht. Ballas trat ins Haus, begrüßte die Heilerin und bat laut lachend, mit dem heiligen Öl gesalbt zu werden. Er kniete vor ihr nieder, und die gesamte Generalitä­t tat es ihm gleich. Die Heilerin Dumia ölte einen nach dem anderen, fast geistesabw­esend, als stünde sie unter Drogen. Giftzahn Schukri hat damals dreckig gelacht: Jetzt müsse sich Israels Armee warm anziehen. Sie habe es mit einer gesalbten feindliche­n Armeeführu­ng zu tun.“Und er lachte so laut, dass sich mehrere Gäste im Café zu uns umdrehten.

46. Eine unheilige Allianz

Der Chirurg saß elend in seiner Gefängnisz­elle herum und wartete.

»114. Fortsetzun­g folgt

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