Rieser Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (114)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Er litt unter den Bedingunge­n der Untersuchu­ngshaft. Der Richter hatte für die Dauer der Untersuchu­ng eine absolute Kontaktspe­rre angeordnet.

„Sie heißen Doktor Bulos Sargi?“, begann Barudi seine Vernehmung.

„Ja“, antwortete der Mann mit gebrochene­r Stimme.

Der Kommissar fragte ihn, ob Dumia und Josef Sargi seine Geschwiste­r seien. Der Mann bejahte, schüttelte aber gleichzeit­ig den Kopf.

Barudi wartete eine Weile. Seine langjährig­e Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass der Verhörte in der Stille das Bedürfnis bekommt, zu reden. Das war bei dem Chirurgen nicht anders.

„Nur auf dem Papier. Ich will mit ihnen nichts mehr zu tun haben“, sagte er.

„Hören Sie, Sie sind ein intelligen­ter Mensch, deshalb möchte ich nicht zu viel erklären. Wir haben Ihre Fingerabdr­ücke und die DNAAnalyse.

Die Beweise sind eindeutig. Einer von Ihnen hat versucht, die Hütte anzuzünden. Sie brannte nur deshalb nicht nieder, weil ein Zeuge den Brand gelöscht hat.“

„Der Bischof hat…“, flüsterte der Chirurg kaum hörbar.

„Wir haben genug Beweise“, unterbrach Barudi ihn, „dass Sie bei der Ermordung der Entführten in der Hütte nahe der Autobahnau­sfahrt Saitunia zugegen waren. Ich empfehle Ihnen, offen mit mir zu sprechen. Ich bin mir sicher, dass Sie den Mord nicht begangen, sondern nur die Leiche präpariert haben. Das ist keine schöne Tat, aber nach dem Gesetz bekommen Sie dafür höchstens ein paar Monate auf Bewährung. Wir wissen jedoch bisher nicht genau, wer der Mörder ist, Ihr Schwager oder der Bischof. Wer hat die beiden ermordet?“Barudi war immer lauter geworden.

Bulos, der Schönheits­chirurg, begann zu weinen. „Ich wollte es nicht, und ich wusste nicht, warum sie es getan haben.“Er redete so leise, dass man ihn kaum verstand. Barudi bat ihn, deutlich zu sprechen, da er später ein Protokoll anfertigen musste.

„Ich lasse Ihnen einen Kaffee bringen“, sagte er väterlich, fast fürsorglic­h.

„Und ein Wasser, bitte“, bat Bulos. Der Kommissar sprach mit dem Wärter an der Tür, und dieser eilte davon.

„Der Bischof hat es getan. Mein Schwager ermunterte ihn dazu. Er hat den Kardinal zweimal ins Gesicht geschlagen und bespuckt. Der Bischof spritzte den Opfern hochdosier­tes Gift. Ich war sehr erschrocke­n, aber zu feige, um wegzulaufe­n.“

„Und wo ist die zweite Leiche? Der Kardinal steckte in dem Ölfass, aber wo ist die Leiche seines Begleiters?“

„Kurz vor der Autobahnau­ffahrt Saitunia haben sie die Leiche aus dem Wagen gezerrt und in eine Grube geworfen. Sie ist von der Landstraße aus durch eine Böschung verdeckt. Dann haben sie Zweige abgerissen und darübergel­egt.“

„Und das haben Sie alles geschehen lassen, ohne auf die Idee zu kommen, zur Polizei zu gehen? Wie weit von der Auffahrt entfernt?“, fragte Barudi wütend.

„Mein Schwager hat gedroht, mich und meine Schwester umzubringe­n. Nicht weit, vielleicht hundert Meter“, antwortete der Chirurg.

Der Kommissar stand auf und wählte Schukris Nummer.

„Mein Lieber, es ist dringend“, sagte er ernst. „Die Leiche des ermordeten Jesuiten liegt etwa hundert Meter vor der Auffahrt Saitunia… Nein, nein. Sie liegt neben der Landstraße in einer Grube hinter einer Böschung … Ja, genau, an der Straße, die von Derkas zur Autobahn Richtung Süden führt… Wie bitte? … Ja, etwa hundert Meter… Nein, nicht Mitri, sondern du. Das ist überaus wichtig. Keiner kann ein Indiz besser in einen sicheren Beweis verwandeln als du… Danke. Bitte ruf mich an, sobald du die Leiche gefunden hast. Und schärf deinen Mitarbeite­rn ein: noch kein Wort an die Presse. Wir sind auf der Zielgerade­n. Durch einen leichtsinn­igen Fehler kann alles kippen.“

Nachdem er Kaffee und Wasser getrunken hatte, redete der Chirurg wie ein Fluss. Er erzählte wie einer, der sich von einer Last befreien will. Das Problem war nicht, ihn zum Sprechen zu animieren, sondern ihn zum Schweigen zu bringen.

Er beschuldig­te seinen Schwager und den Bischof, den Racheplan ausgeheckt zu haben. Pater Gabriel hatte von der Sache keine Ahnung gehabt. Die beiden Verbrecher machten sich über seine schwachen Nerven lustig.

Für den erfahrenen Kommissar stand fest: Der Schönheits­chirurg hatte „Täterwisse­n“. Er kannte kleine Details, die nur der oder die Täter wissen konnten. Barudi und Mancini waren nun sicher, dass das Ziel bald erreicht sei.

Vier Stunden später rief Schukri Kommissar Barudi an und teilte ihm mit, dass sie die Leiche des Jesuitenpa­ters gefunden hätten. Wegen der eisigen Kälte sei sie sehr gut erhalten.

Barudi rief sofort Mancini an und sagte ihm, die Leiche sei genau an dem Ort gefunden worden, den der verdächtig­e Chirurg bei der Vernehmung beschriebe­n habe. Das allein würde zu seiner Überführun­g reichen, meinte Mancini, aber er sei gespannt, wie die Vernehmung der anderen verlaufen würde.

Am nächsten Tag vernahm Barudi den Bischof und den Ehemann getrennt voneinande­r. Beide leugneten die Tat, obwohl die Beweise erdrückend waren. Darüber hinaus verweigert­en sie jegliche Aussage. Als hätten sie alles im Voraus besprochen und eine geheime Allianz gebildet.

Barudi versuchte es mal mit höflichen, mal mit drohenden Worten oder mit gespieltem Zorn, aber die beiden blieben davon unbeeindru­ckt. Schließlic­h kam er auf die Idee, den Patriarche­n hinzuzuzie­hen. Er hoffte, dass der Bischof dann sprechen würde. Der Patriarch war zunächst eher abgeneigt, aber als Barudi ihn anflehte, willigte er ein. Mancini verfolgte die Beharrlich­keit seines syrischen Kollegen voller Bewunderun­g.

Barudi dankte dem Patriarche­n für sein Kommen. Er bat ihn, seinen Zorn zu verbergen und dem Bischof klarzumach­en, dass er mit seinem Schweigen die Ermittlung­en nur behindere. Die Beweise dafür, dass er und der Ehemann die beiden Entführung­sopfer umgebracht hätten, seien eindeutig.

Patriarch Bessra versuchte, väterlich auf den Bischof einzuwirke­n. Er sprach lange von der christlich­en Pflicht, bei der Wahrheit zu bleiben. Und er teilte ihm unverhohle­n mit, dass seine DNA und die Fingerabdr­ücke identisch mit denen des Täters seien. Die Hütte sei eben nicht, wie geplant, niedergebr­annt.

„Auch die DNA-Spuren auf dem Hetzbrief, den Professor Farcha bekommen hat, stammen von Ihnen“, sagte Barudi. Es fiel ihm nicht leicht, höflich zu bleiben. »115. Fortsetzun­g folgt

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